Im Oktober 2018 tagt im Vatikan die von Papst Franziskus einberufene Jugendsynode. Samuel Klein blickt auf bisher Erreichtes und formuliert seine Vision einer Kirche, in der junge Menschen eine entscheidendere Rolle spielen.

Was findet in diesem Jahr vom 3.-28. Oktober in Rom statt? Die ordentliche Bischofssynode zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“. Ziemlich uninteressant meinen vielleicht viele. Was steht denn schon Wichtiges auf der Tagesordnung, verglichen mit den Aufregerthemen der vergangenen Synoden oder gar der möglichen Aufhebung des Pflichtzölibats auf der kommenden Synode im Amazonasgebiet? Noch bevor die Synode begonnen hat, entschwindet sie bereits dem öffentlichen Interesse, überlagert vom Streit deutscher Bischöfe über die richtige Fortführung von Amoris Laetitia oder Debatten über das Aufhängen von Kreuzen. Und dennoch kann es sein, dass diese Synode im Herbst mehr bewegen wird, als ihr bisher zugetraut wird.

Die Vorsynode – Einheit und Vielfalt

Im März dieses Jahres fand in Rom zur Vorbereitung der Bischofssynode erstmalig (und hoffentlich nicht einmalig) eine Vorbereitungssynode statt. Die Teilnehmer*innen: 300 junge Menschen aus der ganzen Welt; Christ*innen, Muslim*innen, dezidierte Atheist*innen. Zusätzlich beteiligten sich mehrere tausend junge Menschen über die sozialen Netzwerke. Sie kamen zu einem gemeinsamen Enddokument, das zur Erstellung des Instrumentum Laboris (Arbeitspapier für die Synode, Anm. d. Red.) dienen wird. Wer das Dokument in der mittlerweile veröffentlichten deutschen Übersetzung liest, wird vielleicht enttäuscht sein. Verhütung, Abtreibung, Homosexualität, Zusammenleben, Ehe – die „heißen Eisen“ werden genannt und … keine Lösung ist in Sicht. Die jungen Menschen stellen lediglich fest: Wir sind uns uneinig.

Aber hey, Moment mal, wie krass ist das denn? Zwei Meinungen in einem Dokument stehen sich unversöhnt gegenüber, Unterschiede werden klar benannt. Kein Kompromisstext, in dem sich alle irgendwie wiederfinden können und der am Ende wenig aussagt, à la „Hauptsache, wir sind uns einig …“. Kommt es jetzt zur viel gefürchteten Gefährdung der Einheit? Die katholische Kirche kurz vor dem Auseinanderbrechen, weil sich die Jugend uneins ist, wie, wo, wann und mit wem man Sex haben sollte oder darf? Nie im Leben! Einen einzigen Absatz widmen die Synodenteilnehmer*innen diesen Themen. Ihre Botschaft: „Wir sind katholisch und wir haben dennoch in einigen Punkten unterschiedliche Vorstellungen von kirchlicher Lehre.“ Punkt. Weiter im Text.

Meine Güte, welche Leichtigkeit, welche Befreiung. Haben wir für dieses Bekenntnis wirklich erst dreihundert junge Menschen gebraucht? Die Katholische Kirche ist eine weltweit erfolgreich agierende Gemeinschaft von Gläubigen. Sie ist so vielfältig, wie es eine solche Organisation sein muss, sie war es und wird es wohl auch in Zukunft bleiben. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Gemeinsamkeiten über alle Grenzen hinweg nicht der vielleicht wichtigste Schatz der Katholischen Kirche sind. Wie sonst hätten sich die 300 Jugendlichen auf den gemeinsamen Text einigen sollen? Warum hätten Sie überhaupt ein gemeinsames Dokument verfassen sollen, wenn Sie nicht auch etwas verbunden hätte? Doch da gibt es unbestritten einiges: Der Glaube an Jesus von Nazareth, die Menschwerdung, der tägliche Einsatz für das Reich Gottes, die Würde des Menschen als Abbild Gottes, gemeinsame Feste und liturgische Feiern (und ja, auch hier sind viele Formen möglich, wir können trotzdem zusammen feiern), gemeinsames Gebet … die Liste ließe sich noch lange fortführen. Also alle tief durchatmen: Wir können uns streiten, wir können sogar uneins sein – und die katholische Einheit? Save!

Die Entscheidungsfrage

So viel zum lang Bekannten. Die Synodenteilnehmer*innen heben sich ihr Charisma für eine viel wichtigere Frage auf und formulieren: „Die Kirche muss junge Menschen stärker in Entscheidungsprozesse einbinden und ihnen verantwortliche Leitungspositionen ermöglichen. Diese Positionen müssen in der Pfarrei, der Diözese, auf nationaler und internationaler Ebene, sogar in einer Kommission des Vatikans sein.“1 Die jungen Menschen stellen die Machtfrage. Wer entscheidet in der Kirche, wohin es in Zukunft geht?

Wir reden in der Kirche nicht gerne über Macht. Viel lieber reden wir über Ämter, Aufgaben, Geweihte und Laien sowie die bekannte „wahre Gleichheit“ (vera aequalitas)2. Das bisherige System ist schnell erklärt3: Kirche ist hierarchisch verfasst. Das Leitungsamt kommt allein den Geweihten (Männern) zu (Papst, Bischöfe, Priester). Macht wird von oben nach unten ausgeübt. Die Entwicklung dieses Systems lässt sich geschichtlich rekonstruieren und bedarf daher einer sachlichen Begründung jenseits des Traditionsarguments. Kirchenhistoriker*innen arbeiten dazu interessanter und informativer, als ich es hier im Stande bin. Stattdessen kommen mir andere Fragen in den Sinn, wie z.B.: Steht die hierarchische Verfasstheit der Kirche in einem Widerspruch zu demokratischer Mitbestimmung?

Auch in einer demokratischen Gemeinschaft gibt es Ämter. Personen werden in diese Ämter gewählt. Sie treffen Entscheidungen und sie leiten im Sinne der Gemeinschaft. Sie üben Aufgaben aus, die der Papst, die Bischöfe und die Priester bisher in der Kirche ausüben. Ein entscheidender Unterschied besteht in der Frage: Wie kommt man zu dem Amt?

Nach kirchlicher Auffassung werden Menschen von Gott zu ihrem Amt berufen. Berufung? Moment, das war doch das Thema der Synode, oder? Gibt es aber einen Widerspruch zwischen dem Berufungsgedanken und demokratischer Mitbestimmung? Überhaupt nicht! Das beste Beispiel ist die Papstwahl. Es obliegt der katholischen Dogmatik aufzuzeigen, wie der Heilige Geist die Bischöfe bei ihrer Wahl leitet; es bleibt phänomenologisch eine Mehrheitswahl. Wie wäre es, wenn dieses Beispiel Schule machen würde?

Was Kirche von Jugendverbänden lernen kann

Bevor mir als Autor, zugegeben auch Träumer, gleich das Katholisch-Sein abgesprochen wird oder der Ketzereivorwurf aus der Schublade springt – einen kurzen Moment Kopfkino: Auf allen Ebenen kirchlicher Hierarchie entschiede man sich dazu, die Berufung der zukünftigen Amtsträger*innen nicht nur von einigen wenigen prüfen zu lassen (denn auch das ist natürlich eine immer wieder zu treffende Entscheidung), sondern von der Gemeinschaft. Leiter*innen und Leitungsteams von Gemeinden, Seelsorgeeinheiten und Diözesen würden demokratisch gewählt, gerne auch kirchlich/liturgisch beauftragt. (Das Amt der geistlichen Leitung in den Jugendverbänden bietet hier langjährig erprobte Praxiserfahrung.) Weiter würden alle demokratisch gewählten Leitungspersonen in Gremien auf allen Ebenen Entscheidungen gemeinsam treffen.

Was würden wir gewinnen? Vor allem Legitimität und Glaubwürdigkeit. Vorbei wäre es mit dem Vorwurf „die da oben, wir hier unten“. Vorbei mit der Kluft zwischen Amt und Basis. Dialogprozesse müssten nicht mühevoll ins Leben gerufen werden, sie wären Teil des Systems. Eine Entscheidung wird dann von allen getragen, wenn Sie verstanden und noch mehr, wenn möglichst viele am Entscheidungsprozess beteiligt waren. Das Phänomen Franziskus macht es deutlich. Er setzt auf synodale Prozesse und gewinnt damit viele Kritiker*innen der Römischen Kurie zurück.

Was würden wir verlieren? Natürlich ist die Kirche etwas anderes als ein Staat, der einfach „nur“ versucht, das Zusammenleben seiner Bürger*innen bestmöglich zu regeln. Es geht in der Kirche auch um die inhaltliche kirchliche Botschaft – das Evangelium. Aber vor der Verantwortung können wir uns mit diesem Argument nicht drücken. Es ist eine menschliche Entscheidung, kirchliche Lehre und Struktur autoritär gegen Weiterentwicklung abzuschotten. Es ist eine menschliche Entscheidung, stattdessen möglichst viele an der Zukunft von Kirche zu beteiligen. Papst Franziskus hat sich entschieden. Wofür werden wir uns entscheiden?

Hashtag der Woche: #participate


[1] Schlussdokument der Vorsynode, S. 14.

[2] Das heißt, alle werden gleichbehandelt, nicht im allgemein gebräuchlichen Sinn von gleich, sondern jede*r entsprechend seiner*ihrer von der Kirche zugedachten Rolle.

[3] Wer möchte, kann das Ganze sehr differenziert nachlesen in Lumen Gentium oder (wer es wirklich im juristischen Detail wissen möchte) im guten alten CIC.

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samuel stauß

(*1993) war 2011/12 als FSJler in Peru und studierte 2012-2017 Katholische Theologie in Freiburg. Seit 2018 ist er als Referent für Theologie und Jugendpastoral beim BDKJ Diözesanverband Köln tätig.

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