Markus Söder verhängt eine Kreuz-Pflicht in Bayerns Behörden – das Kreuz sei Symbol der geschichtlichen und kulturellen Prägung (Bayerns). Lukas Wiesenhütter wehrt sich gegen eine solche Interpretation des christlichen Symbols und sieht die Theologie in der Pflicht, sich in den Diskurs einzumischen.

Erinnert Ihr Euch noch an das Schwein auf den AfD-Wahlplakaten? Da strahlte einen im Spätsommer 2017 ein Ferkel an, das nur darauf wartete, einmal als Haxe die Identität des Abendlandes zu verteidigen. Ein patriotisches Schweinchen Babe mit dem Spruch: „Der Islam? – Passt nicht zu unserer Küche.“

Jetzt ist dieses Niveau nicht leicht zu kopieren, und ich will es auch mit nichts vergleichen. Dennoch fühlte ich mich daran erinnert, als Markus Söder vergangene Woche in den Kreuzzug zog. Der Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ wird mal auf sehr plumpe, mal auf seriösere Art durchdekliniert. Die Anordnung, Kreuze in allen staatlichen Behörden aufzuhängen, zählt sicher zur seriösen Variante. Und dennoch ist es ein eigenartiger Vorgang, wenn ein – oder das? – zentrale christliche Zeichen als Ausdruck freistaatlichen Kulturguts verordnet wird. Wird das Kreuz zum offiziellen bayerischen Identitätsmarker, liegt der Verdacht nahe, dass es eher ausgrenzt als zusammenführt – daher schlägt dem Entscheid ja auch seit Tagen zu Recht Kritik entgegen.

Nun dürfen Wahlkämpfer*innen auch einmal übertreiben, keine Frage. Ich habe aber mehr und mehr den Eindruck, dass es zur Hauptaufgabe der Theologien wird, an die Bedeutung religiöser Sprache oder Symbole zu erinnern und sie gegen Vereinnahmungen und Reduktionen zu verteidigen. Das aktuelle Beispiel ist dankenswert eindeutig. Dennoch wird hier etwas deutlich, das auch sonst passiert: Religion wird zur Chiffre für gute Erziehung, Volkstümelei oder Folklore, für ein Heimatgefühl oder ein „Das haben wir hier schon immer so gemacht.“ „Christliche Werte“ und die „christlich-jüdische Tradition“ sind schließlich politische Dauerbrenner, die den Vorteil haben, dass sie en passant rhetorisch bemüht werden und leicht im Nebulösen verbleiben können.

Hoffnungszeichen und Provokation – kein Museumsstück

Das Kreuz kann das nicht. Sich ein antikes Hinrichtungsinstrument an die Wand zu hängen, braucht einen plausiblen Grund. Die Warnung vor der Sinnentleerung ist keinesfalls neu. Ursula Nothelle-Wildfeuer hat schon vor einigen Jahren formuliert:

Zugespitzt: Jesus Christus ist nicht Mensch geworden, hat nicht gelebt, ist nicht gekreuzigt und begraben worden, nicht auferstanden von den Toten, damit sein Kreuz im 21. Jahrhundert Erinnerungsstück an einst bessere, d.h. selbstverständlicher christliche Zeichen ist […].1

Das Kreuz ist kein Museumsstück; es verkörpert die Hoffnung auf einen Gott, der auch dann noch Möglichkeiten hat, wo alles bereits verloren ist. Es erzählt die Geschichte eines Gottes, der dem Menschen nachgeht bis in den Tod – und „der uns allein mit den Mitteln der Liebe an sich binden will.“2 Das Kreuz steht für einen Gott, der sich von Leid und Unterdrückung berühren lässt, der solidarisch mit den Menschen ist. Das Kreuz bezeugt die einzigartige Hoffnung – über die in diesem Blog unlängst geschrieben wurde – auf einen Gott, dessen Liebe unbedingt gilt und die auch dann noch retten kann, wenn Menschen es nicht mehr können. Das Kreuz ist ohne die Botschaft von Leben, Sterben und Auferstehung Jesu sinnentleert. Mit den Worten des großen Karl Rahner (dessen Theologie man übrigens auf Twitter folgen kann):

Denn seit Er niedergefahren ist in das Unterste, gibt es keinen Abgrund des Daseins mehr, in den hineingestürzt man nicht das ewige Leben auf seinem Grund finden könnte.3

Auf diesen Glauben vertrauen Menschen im Leben und Sterben; sie setzen auf diese Option. Ich verstehe jeden, der das als frommes Wunschdenken abtut und jede, die dies angesichts der Katastrophen in der Welt für zynisch und absurd hält. Das Kreuz kann Hoffnung geben oder provozieren, es hat in den vergangenen Jahrhunderten Debatten über seine Bedeutung ausgelöst, die längst nicht ausgefochten sind und an denen sich die Theologie bis heute abarbeitet (Stichwort: Anselm), um dem Begriff der „Erlösung“ näherzukommen. Es taugt aber nicht als Identitätssicherung der eigenen Kultur – in Abgrenzung gegen andere. Sonst läuten irgendwann die Kirchenglocken nur noch deshalb, weil sie kein Muezzinruf sind.

Das Politikum des Kreuzes 

Dabei hat das Kreuz durchaus eine politische Seite, seine Botschaft gehört keineswegs nur in die Sakristei. Wer sich von der Solidarität Gottes mit den Leidenden berühren lässt und dies als die Grundlage seines politischen Handelns sieht, verdient Respekt. Und auch Kardinal Marx, der aus manchen christlichen Kreisen gerade Kritik für seine skeptischen Worte gegenüber dem Kreuzentschluss bekommt, hat ein Buch mit programmatischem Titel veröffentlicht: „Christ sein heißt politisch sein.“4 Um diese Botschaft zu entfalten, darf das Kreuz allerdings nicht von seinem Sinn getrennt werden. Wird das christliche Heilssymbol zum Zeichen der „geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“, rangiert es irgendwo neben Maßkrug und Lederhosen.

Jakob Augstein hat dazu kürzlich auf Spiegel Online provokant formuliert:

Söder hat gesagt, das Kreuz sei „nicht ein Zeichen einer Religion, sondern für die geschichtlich-kulturelle Identität und Prägung Bayerns“. Da bangt man um die Seele des bayerischen Ministerpräsidenten und möchte ihm gleich den Beichtvater schicken. Denn das Kreuz ist, bitteschön, das Symbol für die Erlösung, das Sinnbild des Leidens und der Herrschaft Jesu Christi. Jedenfalls, wenn man Christ ist. Aber – mal im Ernst: Wer ist schon Christ?

Immerhin: Über mangelnde gesellschaftliche Relevanz kann sich die Theologie derzeit eigentlich nicht beklagen. Liebe Theolog*innen, zitiert 1 Petr 3,15, entstaubt die Moltmann-Ausgaben, sucht die Dogmatikskripte raus. Es ist 2018 und Deutschland redet darüber, was das Kreuz bedeutet.

Hashtag: #kruzifix


(Beitragsbild: @thorton4)

1 Nothelle-Wildfeuer, Ursula: Ärgerlich konkret. Das Kreuz in der Öffentlichkeit. In: Knop, Julia; Nothelle-Wildfeuer, Ursula (Hrsg.): Kreuz-Zeichen. Zwischen Hoffnung, Unverständnis und Empörung, Ostfildern 2013; 13-29. 24.

2 Stosch, Klaus von: Cur Deus homo? https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/kath-theologie/Systematische_Theologie/Prof._Dr._Klaus_von_Stosch/Publikationen/3._Artikel_Articles/18._Cur_Deus_homo.pdf. 12.

3 Rahner, Karl: Was heißt Auferstehung? Zu Karfreitag und Ostern. Freiburg 1985. 23.

4 Marx, Reinhard Kardinal: Christ sein heißt politisch sein. Wilhelm Emmanuel Ketteler für heute gelesen. Freiburg 2011.

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lukas wiesenhütter

studierte katholische Theologie in Freiburg und Jerusalem, zudem hat er einen Master in Near and Middle Eastern Studies an der SOAS in London erworben. Derzeit ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Paderborn und arbeitet dort an seiner Promotion zum Theodizeeproblem in Islam und Christentum.

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