Fliegen ist heute günstiger denn je und wird für lang ersehnte Fernreiseziele oder spontane Wochenendtrips gerne in Anspruch genommen. Dass dieses Verhalten nicht nur klimaschädlich ist, sondern somit auch zu Lasten künftiger Generationen geht, zeichnet Sofia Dunz diese Woche bei uns nach.
Vor einem Jahr habe ich ein Semester in Cardiff (Wales) studiert. Mit den dort gewonnenen Freund*innen habe ich mich im Februar in Köln getroffen. Das gemeinsame Wochenende war so schön, dass das nächste Treffen schon in Planung ist: Place to be ist Madrid, weil dort zwei Freund*innen wohnen. Und es sind nur drei Klicks bei einem der Flugportale und etwa 80€, die mich von einem Wiedersehen trennen. Doch im Moment hadere ich noch, ob ich nicht doch eher die teurere, viel längere und mühsamere Zugfahrt auf mich nehmen und auf diesem Wege in die spanische Hauptstadt gelangen soll. Denn ich stelle mir die Frage: Wer bezahlt eigentlich den Flug, wenn ich nur 80€ auf den Tisch lege?
Für 20€ nach London?
Wähle ich das Flugzeug, so wäre ich eine von über 4 Mrd. Passagier*innen, die jährlich durch die zivile Luftfahrt befördert werden. Umgerechnet auf die Weltbevölkerung bedeutet das: mehr als jede*r zweite Mensch besteigt ein Mal im Jahr ein Flugzeug. Schenkt man jedoch den Zahlen von Germanwatch und Atmosfair Glauben, so haben lediglich 7% bzw. 5% der Weltbevölkerung je ein Flugzeug betreten.1 Daher sehen Expert*innen in der zivilen Luftfahrt großes Wachstumspotential. Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu befördern, die Preise so gering wie möglich zu halten; mit anderen Worten: die ganze Welt mobil zu machen.
Zunächst scheint auch nichts dagegen einzuwenden zu sein. Je mehr Menschen fliegen, desto billiger werden die Flüge und desto mehr Leute können sich wiederum einen Flug leisten. Zumindest in Europa scheint das schon gut zu funktionieren; für 20€ steht einem Wochenende in London nichts mehr im Wege. Manch eine*r könnte hier gar mit sozialer Gerechtigkeit argumentieren – günstiges Fliegen macht Kurz- und Fernreisen, das Kennenlernen anderer Kulturen und das Ermöglichen ganzer Lebensträume für immer mehr Menschen erschwinglich.
Doch die rosarote Welt des Fliegens hat auch ihre Schattenseiten. Von Dumpinglöhnen der Billigfluggesellschaften, nicht fertig gestellten Flughäfen und Lärmbelästigung will ich hier gar nicht anfangen. Es ist vielmehr eine Schattenseite, die uns alle früher oder später betreffen wird: die durch das Fliegen entstehende Umweltbelastung.
Vielfliegende Wohlstandsökos mit Bambus-Kaffeebecher in der Hand
Eine für das Klima und die Umwelt verträgliche CO2-Belastung liegt bei 2,5 Tonnen CO2pro Kopf/Jahr. In Deutschland liegt der Durchschnittswert bei 11,5 T pro Kopf/Jahr und somit deutlich über der Belastungsgrenze. Neben Industrie, Massentierhaltung und (SUV-)Verkehr, ist auch das Fliegen für diese Zahl nicht unerheblich.2 Allein ein Langstreckenflug von Frankfurt am Main nach San Francisco und zurück hat einen CO2 -Ausstoß von 5,48 Tonnen pro Passagier zur Folge. Zu den konkreten Auswirkungen titelte der SPIEGEL-Reporter Christoph Seidler: Klimawandel: Flug nach San Francisco – fünf Quadratmeter Arktiseis weg – wohlgemerkt pro Passagier*in. Diese Zahlen sollten alarmieren angesichts der bedrohlich kleingewordenen Arktis und ihrer Folgen: Anstieg des Meeresspiegels, veränderte Meerestemperatur und nicht zu erahnende Auswirkungen auf das komplexe und einzigartige Ökosystem unserer Erde, in dem eine kleine Veränderung eine ganze Kettenreaktion unermesslichen Ausmaßes auslöst.
Doch obwohl die Dringlichkeit für klimabewusstes Handeln spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen in der Bevölkerung weithin bekannt ist, scheinen sich viele Menschen gerade in Bezug aufs Fliegen nicht einschränken zu wollen. Munter fliegen wir weiter um die Welt um Beziehungen zu pflegen, den Sinn des Lebens zu finden oder einfach nur ein perfect world-picture für unsere (Facebook-)Friends und Instagram-Follower zu kreieren. Zugleich benutzen wir stabile Trink- und Glasflaschen, coffee to go-Becher aus Bambus, Recycling-Papier und ernähren uns saisonal und regional. Und das alles, um dem Klimawandel entgegenzuwirken und unser Gewissen zu beruhigen. Dass an der Küste Westafrikas den Menschen das Wasser buchstäblich zum Hals steigt und weltweit die rote Liste der bedrohten Arten immer länger wird, blenden wir ach so bewusst lebenden „Wohlstandsökos“ gekonnt aus. Denn insgeheim wissen wir, dass sich unser westlicher Lebensstandard, darunter die hohe Flugmobilität, nicht durch kleine „klimabewusste“ Handlungen im Alltag kompensieren lässt.
Risikoreiches Glücksspiel auf Kosten künftiger Generationen
Eine der vom Klimawandel am meist betroffenen Gruppen kann jedoch nicht zu Wort kommen: Die Generation von morgen. Und schnell stellt sich die Frage: Müssen wir zukünftige Generationen in unserem gegenwärtigen Handeln überhaupt bedenken? Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum begründet intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit vorrangig damit, dass niemand etwas für die Umstände und den Zeitpunkt seiner Geburt kann. Allein deshalb muss jede*r sein*ihr Handeln vor heutigen und zukünftigen Generationen verantworten können.3 Sicherlich ist es schwierig zu erahnen, was die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen sein werden und danach das eigene Handeln auszurichten. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die menschlichen Grundbedürfnisse von morgen – und dazu zählt eben auch eine unversehrte Umwelt – den unsrigen sehr ähnlich sein werden. Die Annahme, dass zukünftige Generationen weniger Ressourcen bedürfen und Lösungen für unsere heutigen Probleme haben werden, beruht auf einem risikoreichen Glücksspiel.
Die Wahrheit ist aber auch: Wir sind bereit dieses Risiko zu tragen. Das zeigt der aktuell vorherrschende Lebensstil in den Industrieländern. Die zivile Luftfahrt verdeutlicht das Dilemma. Aus gegenwärtiger Perspektive schafft die zivile Luftfahrt Millionen von Arbeitsplätzen und steigert das BIP-Wachstum4 – sie schafft also genau das, was unser derzeitiges Wirtschaftssystem der neoklassischen Mikroökonomie braucht um den Fortbestand von Wohlstand zu sichern. Gute Gründe also für die nationale Politik, die zivile Luftfahrt aktiv zu fördern. Es tangiert uns (noch) nicht, dass gleichzeitig das Ökosystem der Erde und somit die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen massiv bedroht wird. Die Grundannahme unseres derzeitigen Wirtschaftssystems ist, dass Wachstum keine Grenzen hat und Ressourcen endlos vorhanden sind. Doch unsere Erde ist endlich (Club of Rome 1972)5, und spätestens seit dieser Erkenntnis funktioniert die gerechte Verteilung von Gütern zwischen Generationen und damit auch eine klimaverträgliche Umweltbelastung nicht mehr.
Climate change is real. Seriously.
Damit heute nicht schon verbraucht ist, was morgen lebensnotwendig ist, bedarf es des Handelns von Politik, verschiedensten Institutionen und schließlich auch des Individuums. Um unser klimaschädliches Handeln effektiv und konsequent zu ändern, müssen wir uns aus unserer Komfortzone heraus bewegen, d.h. auch uns selbst in unserer Konsum-, Reise-, und Wirtschaftsfreiheit beschränken. Sicherlich bedeutet das kurz- und mittelfristig gesehen, dass nicht die neueste Mode im Schrank hängt, der Wochenendtrip nach London ausbleibt, man sich im nächsten Sommerurlaub an der Adriaküste statt auf den Malediven bräunt und das social-network-Profil sich wieder mehr an nicht-exotischen Bildern erfreut. Langfristig ist es sicherlich auch Aufgabe von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zukunftsfähige und klimaverträgliche Mobilitätskonzepte umzusetzen, den Faktor Ökologie mit in die BIP-Berechnungen einfließen zu lassen, Wachstum nicht als das Maß aller Dinge zu sehen, dem Lobbyismus nicht mehr Beachtung zu schenken als den eigenen Kindern, Klimapolitik nicht nur in einer Randnotiz zu erwähnen und Anreize für klimafreundliches Verhalten zu schaffen.
Zurück zu der Ausgangsfrage: Wer bezahlt nun meinen Flug nach Madrid? Die 80€ für den Flug gehen zwar von meinem Konto ab, aber die langfristigen Kosten überlasse ich zukünftigen Generationen. Während ich mir ein schönes Leben mache, sollte ich mir dann auch eine gute Antwort überlegen, weshalb meinen Kindern und Enkelkindern nicht mehr möglich ist, was für mich ganz selbstverständlich war. Denn ich, genauso wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, können sich nicht hinter Nichtwissen verstecken. Vielmehr müssen wir uns eingestehen, dass es Bequemlichkeit, Egoismus, Abwälzen auf andere und Angst vor Verlust des Wohlstands sowie gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderung waren, die uns davon abgehalten haben zu handeln. Doch damit werden und dürfen sich unsere Kinder zu Recht nicht zufrieden geben. Vielleicht wäre ein Anfang damit gemacht, die viel längere, teurere und umständlichere Zugfahrt als Option zu wählen. Durch den beträchtlichen Einfluss, den jeder Flug auf die Umwelt hat, kann gerade hier jede*r Einzelne den Unterschied machen. Denn jeder Flug, der nicht geflogen wird, gibt den Menschen, der Politik und der Wirtschaft ein kleines bisschen mehr Zeit, die Brisanz des Klimawandels zu begreifen und nach Lösungsvorschlägen zu suchen. Nur so werden auch zukünftige Generationen die Schönheit und Einzigartigkeit unsere Erde bewundern, genießen und erleben können.
Hashtag der Woche: #Wohlstandsökö
(Beitragsbild: @JESHOOTScom)
1 Ruppel, Paul Sebastian (2015): Flugmobilität als Herausforderung für Umwelt und Forschung. In: Psychologie & Gesellschaftskritik (2/3), S. 129–150.
2 Ebd., S. 129–150.
3 Ott, Konrad; Döring, Ralf (2011): Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit. 3. Aufl. Marburg: Metropolis-Verl. (Beiträge zur Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, 1). Nussbaum, Martha Craven (2010): Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit. 1. Aufl. Berlin: Suhrkamp.
4 Stecker, Bernd (2016): Tourismus. In: Konrad Ott, Jan Dierks und Lieske Voget-Kleschin (Hg.): Handbuch Umweltethik. Stuttgart: J.B.Metzler, S. 297–304.
5 Meadows, Dennis (1980): Die Grenzen des Wachstums. Bericht d. Club of Rome zur Lage d. Menschheit. 364. – 373. Tsd. Reinbeck: Rowohlt Taschenbuch (Rororo, 6825).
Danke für den Beitrag, Sofia! Die Sache ist wirklich kompliziert, denke ich, denn selbst wenn du es schaffst, anstelle des Fluges die Busreise nach Madrid auf dich zu nehmen, wird es in späteren Fällen in deinem Leben wohl nicht mehr nur um Bequemlichkeit und Luxus gehen, sondern auch um das „gute Leben“ im ganz positiven Sinne. Ich denke da zum Beispiel an ein familienfreundliches Vorstadthäuschen im Vergleich zu einer engen oder lauten Stadtwohnung. Da braucht man dann vielleicht auch ein Auto … Die besagten 2,5 Tonnen CO2 sind bei solch einem Setting wahrscheinlich schwer zu erreichen.
Noch ein kleiner Hinweis: Den Club of Rome würde ich nicht so selbstverständlich anführen, denn von deren Prognosen in den 70ern hat ja vieles nicht gestimmt, oder?
Hallo Michael, danke für deinen Kommentar! Anspruch meines Artikels war es das Paradoxon meiner Generation aufzuzeigen. Obwohl wir klimaaufgeklärt sind, in der Stadt (viele ohne Auto) leben, uns saisonal und regional ernähren, fliegen wir durch die Weltgeschichte, weil uns alles offen steht und wir auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, Freiheit, neuen Kulturen und schönen Bildern sind. Dabei hat das Fliegen einen so immensen CO2-Ausstoß pro Kopf, dass sich das ökologisch in keiner Weise kompensieren lässt. Dennoch bezeichnen wir uns als Ökos oder klimabewusst, weil wir das oberflächlich zu sein scheinen, dabei sind wir eigentlich genau das Gegenteil dazu. Denn das Fliegen ist einer der größten individuellen Handlungen die man in Bezug auf den Klimawandel tun oder eben lassen kann. Dass der Klimawandel nicht nur durchs Nichtfliegen gelöst werden kann, sondern auch auf anderen Ebenen angegangen werden muss, ist mir durchaus bewusst, doch dies in seiner Gänze aufzuzeigen war nicht Intension meines Artikels.
Sicherlich hat sich nicht alles aus dem Bericht des Club of Rome bewahrheitet, allerdings ist die Erkenntnis der endlichen Ressourcen eben doch grundlegend für die Diskussion um den Klimawandel und Szenarioanalysen, gerade, wenn man auch zukünftige Generationen in Betracht nimmt. Das Buch „2052 – der neue Bericht an den Club of Rome“ von Jorgen Randers gibt einen guten Einblick, was von Dennis Meadows´ „die Grenzen des Wachstums“, 40 Jahre nach dem Erscheinen, hängen geblieben ist.