Alle Menschen sind schön, so wie sie sind. Der Verbreitung dieser positiven Einstellung gegenüber unserem Körper verschreibt sich die Bewegung rund um den Hashtag #BodyPositivity. Elisabeth Fock fragt kritisch nach, ob diese Bewegung fördert, was sie fördern will, und überlegt, was religiöse Bildung zum Thema beizutragen hat.

Unter dem Hashtag #BodyPositivity versammelt sich eine neuere Bewegung auf Instagram, die gegenwärtigen Schönheitsnormen etwas entgegenzuhalten hat: Alle Körper sind schön (#AllBodiesAreGoodBodies). Aktivist*innen möchten dabei auf immer noch herrschende Schönheitsnormen aufmerksam machen, die eine Vielzahl an Menschen ausschließen. Sie werben dagegen für mehr Diversität – in der Mode, der Werbung und schließlich auch in der Sichtbarmachung von Körpern. Einhellig rufen sie zu mehr Selbstliebe fernab von gängigen Schönheitsidealen auf.1 Klingt auf den ersten Blick sehr überzeugend, oder?

Dekonstruktion I: Wer inszeniert sich und was ist schon normal?

Mit #BodyPositivity inszenieren sich vorrangig Mädchen und junge Frauen im Netz, indem sie vermeintliche Problemzonen oder nicht normschöne Körperteile sichtbar machen: „Dehnungsstreifen sind für Bodypositivisten ‚Tigerstripes‘, wer dick ist, hat ‚size sexy‘, Cellulite ist ‚poetry carved into the skin‘.“2

Es geht darum, auf körperliche Vielfalt jenseits der Standards hinzuweisen. Das umfasst unterschiedliches Körpervolumen, die Sichtbarmachung unreiner Haut, Behinderungen und körperliche Einschränkungen. Häufig meint es allerdings Bildmontagen von Frauen, die als normschön gelten und durch Vorher-/Nachherpostings darauf aufmerksam machen, „dass sie je nach Licht, Aufnahmewinkel oder Kleidung doch nicht gänzlich makellos seien“.3 Damit widerspricht sich jedoch diese vermeintlich diversitätssensible Körperlichkeit.

Denn es werden erneut vorherrschende Schönheitsnormen an junge Menschen herangetragen und Druck ausgeübt, indem sich Schönheit nun an der richtigen Haltung misst. Es gilt, den eigenen Körper zu feiern, zu lieben, richtig zu inszenieren; und gefordert wird es oftmals von Menschen, die selbst als „normschön“ gelten.

Jugendliche befinden sich in der Phase der Adoleszenz wie nie zuvor in einer starken Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Er wird zum „Schlachtfeld“, auf dem alle inneren Konflikte und Wünsche ausgetragen werden.4 In dieser sensiblen Entwicklungsphase erleben sie solche medialen Aushandlungen besonders verstärkt. Gerade die digitale Matrix begünstigt die Quantifizierung des Körpers, der perfektioniert werden will.5 #BodyPositivity wehrt sich zwar gegen diese Quantifizierung und kann somit eine Entlastung für juvenile Körperwahrnehmung bedeuten, aber gleichzeitig verlangt nun (medial) anerkannte Schönheit das richtige Mindset, was ebenso zu Drucksituationen für Jugendliche werden kann. Nicht jede*r muss seine Akne schön oder normal finden, oder?6

Und was ist schon normal? Die Kategorie „normal“ kann nämlich ohne sein Gegensatzpaar „unnormal“ nicht bestehen; darin liegt eine gewisse Paradoxie: „Beide Kategorien sind Konstruktionen, die stark voneinander abhängig sind und sich immer wieder ändern, je nachdem, wer über die Deutungshoheit verfügt.“7 Wenn also gesagt wird, alle Körper sind normal, wäre zu fragen, was davor als nicht normal gegolten hat und wovon sich diese neue Normalität abgrenzt.

Dekonstruktion II: Werbekampagne und damit erneute Objektifizierung

Hashtags erleichtern die mediale Kommunikation, erhöhen aber auch die algorithmische Sichtbarkeit, was gerade für Marketingzwecke genutzt wird. Influencer*innen bedienen sich somit dieses Hashtags, um ihre Kontoaktivität zu erhöhen und damit für Werbeaufträge attraktiver zu werden.8 Mit hohem authentischem Wirkungsgrad werben sie für mehr Selbstliebe und suggerieren, dass man mit dem Konsum des beworbenen Produktes seinem Körper etwas Gutes tut; Body Positivity zum günstigen Preis – klingt verlockend und so einfach.

Dabei geschieht erneut das, wogegen sich Bodypositivist*innen eigentlich wehren. Der Körper wird objektiviert und zum Aushandlungsort für gesellschaftliche Normen. Denn körperliche Inszenierung lädt oftmals zu Verzerrungen ein; egal unter welchem Hashtag das geschieht. Die binäre Ordnung der Digitalität „kann ein Zerrspiegel sein, in dem Wichtiges verschwindet und Unauffälliges übergroß verzerrt wird“.9 Biologische und virtuelle Schönheit stimmen nicht mehr überein.10

Es geht nicht um den eigenen Körper, sondern um ein ästhetisiertes Projekt, das sich als Objekt erneut Normierungen aussetzt.

Dekonstruktion III: Selbstinszenierung, Selbstvergötterung und das Konzept Selbstliebe

Körperliche Selbstinszenierung stellt für Jugendliche eine wichtige Form der Expression dar. Im positiven Sinne kann das bedeuten, dass Jugendliche im Austausch mit anderen emotionale Unterstützung erfahren und Social Media als Erprobungsraum für die eigenen Ich–Identitäten erleben.11 Führt die Konfrontation mit überzogenen Schönheitsidealen zum Anpassungsdruck, kann Body Positivity eine alternative Deutung für juvenile Körperlichkeit sein. Alle Körper dürfen, ja sollen sein. Gleichzeitig stellt sich dabei aber auch die Frage, wann Selbstinszenierung im Sinne von Identitätskonstruktion zur Selbstvergötterung wird: „Sich selbst und der Welt ständig sagen, wie schön man ist, um sich dann von der Welt sagen zu lassen, wie schön man ist, soll ein probates Mittel gegen den Schönheitswahn sein?“12

Kurz gefragt:

Wann wird aus der viel geforderten Selbstliebe Selbstvergötterung?

Ein möglicher Ausweg: #BodyNeutrality oder was religiöse Bildung anzubieten hätte

Aber wie geht dann körperliche Selbstannahme ganz ohne Selbstoptimierung oder Narzissmus? Ein möglicher Ausweg ist ein anderer Hashtag: #BodyNeutrality.

#BodyNeutrality fordert zu einem gleichgültigen Verhältnis zum Körper auf. Es zählen die inneren Werte: „Du musst deinen Körper nicht lieben und nicht hassen, am besten denkst du einfach weniger über ihn nach, dann hast du mehr Zeit für andere Sachen.“13 Eigentlich ein wohl bekanntes Mantra. Und auch wenn es an Charme nicht verloren hat und durchaus seine Berechtigung hat, wird es gegenwärtigen gesellschaftlichen (Ausschluss)mechanismen leider nicht gerecht. Denn faktisch herrschen immer noch Ungleichbehandlungen, wenn beispielsweise Menschen, die normschön gelten, mehr Gehalt bekommen oder im Beruf als erfolgreicher gelten.14 Diese Zurücksetzungen werden mitunter verstärkt durch die Herkunft oder eine andere Ethnie. Solche „Mehrfachdiskriminierungen, die sich nur begrenzt durch ein positives Verhältnis zum eigenen Körper ausgleichen lassen“15, können genauso wenig mit Gleichgültigkeit bearbeitet werden.

Aber was wäre dann eine alternative Lösung? Was können wir Jugendlichen für die eigene körperliche Identitätsarbeit anbieten? Religiöse Bildung könnte hier meines Erachtens drei Angebote machen:

  • Ausbildung einer kritischen Medienkompetenz: Zunächst müssen Jugendliche darin geschult werden, die unterschiedlichen Interessen und Mechanismen im digitalen Raum zu dechiffrieren. Laden Influencer*innen wirklich zu körperlicher Selbstannahme ein oder verbirgt sich dahinter eine subtile Marketingstrategie? Hierfür gilt es, (religiöse) Medienkompetenz einzuüben.16
  • Kritische Unterscheidung zwischen Selbstvergötterung und Selbstliebe: Zudem gilt es anzuerkennen, dass Jugendliche Social Media als Experimentierfeld für die Sichtbarmachung des eigenen Körpers nutzen. Juvenile Identitätskonstruktionen sind somit körperbezogen und vollziehen sich medial. #BodyNeutrality kann daher nur wenig überzeugen. Andersherum meine ich aber auch, dass eine überzogene Body Positivity, die nur der eigenen Selbstvergötterung dient, nicht zu einem gelingenden Selbstverhältnis hilft.
  • Philosophisch-theologische Deutungen anbieten: Schließlich braucht es angemessene Deutungsangebote, was Selbstliebe bedeutet. Selbstliebe ist christlich gesprochen notwendige Voraussetzung für Nächstenliebe, heißt es doch im biblischen Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“. Eine gesunde Beziehung zu sich selbst bleibt laut Erich Fromm damit nicht bei sich, sondern ist auf den Anderen ausgerichtet. Der Selbstsüchtige ist dagegen ebenso nicht fähig den Anderen zu lieben wie sich selbst.17 Andere theologische Deutungen können der Schöpfungs- und Rechtfertigungsgedanke sein, die vor aller Selbstliebe die Annahme des Menschen durch Gott stark machen.18 Jugendliche müssen sich dann in ihrer Körperlichkeit nicht erst beweisen, sondern sind vor aller Körperinszenierung bereits so gewollt und angenommen.19

Hashtag der Woche: #BodyPositivity


Beitragsbild: Billie auf unsplash

1 Grebe, Anna, #BodyPositivity auf Instagram. Marketingkonzept oder Aufruf zu echter Selbstliebe?, in: Erwachsenenbildung. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis 68 (2022), 2, 62.

2 Schlüter, Nadja, Body Positivity ist mir zu anstrengend. Meine Cellulite toll finden zu müssen, stresst genauso sehr wie das Schönheitsideal vom perfekten Körper, in: https://www.jetzt.de/gender/body-positivity-der-zwang-sich-schoen-finden-zu-muessen-nervt [zuletzt geprüft am: 26.06.2023].

3 Grebe, Anna, #BodyPositivity auf Instagram. Marketingkonzept oder Aufruf zu echter Selbstliebe?, in: Erwachsenenbildung. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis 68 (2022), 2, 62.

4 Vgl. Baeck, Sylvia, Psychogene Ess- Störungen, Jugendliche im Krieg mit ihrem Körper und ihrer Seele, in: Forum Sexualaufklärung und Familienplanung. Körper 1/2006, 36.

5 Vgl. Göppel, Rolf, Erwachsen werden. Der pubertierende Körper aus bio- psycho- sozialer Perspektive, in: Niekrenz, Yvonne/Witte, Matthias (Hg.), Jugend und Körper. Leibliche Erfahrungswelten, Weinheim 2011, 37f.

6 Vgl. auch Schlüter, Nadja, Body Positivity ist mir zu anstrengend. Meine Cellulite toll finden zu müssen, stresst genauso sehr wie das Schönheitsideal vom perfekten Körper, in: https://www.jetzt.de/gender/body-positivity-der-zwang-sich-schoen-finden-zu-muessen-nervt [zuletzt geprüft am: 26.06.2023].

7 Grebe, Anna, #BodyPositivity auf Instagram. Marketingkonzept oder Aufruf zu echter Selbstliebe?, in: Erwachsenenbildung. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis 68 (2022), 2, 63.

8 Vgl. ebd.

9 Pirker, Viera, Religionspädagogik in der digitalen Transformation. in: Tomberg, Markus/Verburg, Winfried (Hg.), RU 4.0. Religiöse Bildung und Digitalisierung (= 15. Arbeitsforum für Religionspädagogik), Fulda 2020, 15.

10 Vgl. Teschmer, Caroline, Körperlichkeit und virtuelle Welten. Körperlichkeit und virtuelle Welten. Geht dem Religionsunterricht die Körperlichkeit verloren?, in: Schambeck, Mirjam/Verburg, Winfried (Hg.), Wie Religion für Krisen taugt. Zum Beitrag religiöser Bildung in Krisenzeiten (= 17. Arbeitsforum für Religionspädagogik 2022), Göttingen 2023, 205.

11 Vgl. Pirker, Viera, Social Media und psychische Gesundheit. Social Media und psychische Gesundheit. Am Beispiel der Identitätskonstruktion auf Instagram, in: ComSoc 51 (2018), 4, 472.

12 Schlüter, Nadja, Body Positivity ist mir zu anstrengend. Meine Cellulite toll finden zu müssen, stresst genauso sehr wie das Schönheitsideal vom perfekten Körper, in: https://www.jetzt.de/gender/body-positivity-der-zwang-sich-schoen-finden-zu-muessen-nervt[zuletzt geprüft am: 26.06.2023].

13 Ebd.

14 In der hier aufgeführten Studie wird allgemein der Faktor Schönheit in Bezug auf Erfolg im Beruf bei Frauen und Männern untersucht. Dabei zeigt sich, dass bei Frauen Schönheit deutlich mehr Einfluss auf das Gehalt nimmt als bei Männern: Vgl. Sierminska, Eva/ Singhal, Karan, Does it pay to be beautiful?, in: https://wol.iza.org/articles/does-it-pay-to-be-beautiful [zuletzt geprüft am 29.06.2023].

15 Vgl. Grebe, Anna, #BodyPositivity auf Instagram. Marketingkonzept oder Aufruf zu echter Selbstliebe?, in: Erwachsenenbildung. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis 68 (2022), 2, 63.

16 Vgl. bspw. Heger, Johannes, Digital, medial, egal? Religiöse Kompetenz angesichts einer mediatisierten Welt, in: Tomberg, Markus/Verburg, Winfried (Hg.), RU 4.0. Religiöse Bildung und Digitalisierung (= 15. Arbeitsforum für Religionspädagogik), Fulda 2020, 33-60.

17 Vgl. Fromm, Erich, Die Kunst des Liebens, Zürich 1980, 80-88.

18 Zum Rechtfertigungsgedanken im religionspädagogischen Kontext vgl. u. a. Teschmer, Caroline, Körperlichkeit und virtuelle Welten.Geht dem Religionsunterricht die Körperlichkeit verloren?, in: Schambeck, Mirjam/Verburg, Winfried (Hg.), Wie Religion für Krisen taugt. Zum Beitrag religiöser Bildung in Krisenzeiten (= 17. Arbeitsforum für Religionspädagogik 2022), Göttingen 2023, 202.

19 Vgl. auch Fock, Elisabeth, Der menschliche Körper in der Krise? Gesellschaftliche Krisen als anthropologische Krisen, in: ÖRF 30 (2022), 2, 39f.

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elisabeth fock

hat Latein und katholische Religionslehre auf Lehramt studiert und ihr Referendariat 2020 absolviert. Aktuell ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Theologischen Fakultät Freiburg und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Jugendtheologien und der Frage nach einer religionspädagogisch verantworteten Anthropologie.

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