Filmproduktionen aus Hollywood sagen indirekt auch vieles über die gesellschaftlichen Idealvorstellungen Amerikas aus. Andreas G. Weiß analysiert hierbei die oft messianisch anmutenden Inszenierungen des US-Präsidenten.

Man hat sich auch als europäische*r Kinobesucher*in durchaus schon an eine gewisse apokalyptische Schlagseite in US-amerikanischen Filmproduktionen gewöhnt. Die Szenarien sind vielfältig, die Wucht der dargestellten Geschehnisse raubt Menschen weltweit den Atem. Seien es nun reale Ereignisse der Vergangenheit (etwa „Pearl Harbor“ oder „9/11“) oder fiktive Gegenwartsfantasien („Independence Day“, „2012“, „Armageddon“) – ihnen gemeinsam ist der Hang zu einer dramatisierenden Inszenierung endzeitlicher Bedrohungsbilder. Sie treffen damit offenbar einen zentralen Nerv des Publikums.

Wenn die Welt schon unterzugehen droht, dann wenigstens mit einem großen Knall. Besser noch: Mit einem Kampf von Licht und Finsternis, bei dem ein „heiliger Rest“ auserwählter Menschen das drohende Weltende entweder abwenden oder zumindest überleben kann („Deep Impact“). Die Inszenierungen werden scheinbar von Film zu Film realistischer, die Kinobesucher*innen weltweit in das filmische Spektakel hineingezogen. Ihnen wird abgerungen, dass sie im Kinosaal selbst in den Abgrund des drohenden Weltunterganges blicken, um dann einsehen zu müssen, dass ein Ausweg nur im Bewusstsein auf menschliche Tugenden und mit einem harmonischen Teamwork transnationaler Zusammenarbeit gefunden werden kann. Quasi: Moralisierender Nebeneffekt erfolgsheischender Hollywood-Firmen.

Filmische Narrationen als Zeitmarker

Mit solchen Storylines lässt sich nicht nur ausgezeichnet Geld verdienen, sondern die damit verbundenen Rettungsfantasien und Erlösungsfiguren transportieren nicht selten Botschaften, die auch politisch und oftmals religiös virulent sind. Diese liegen zwar häufig unter einer auf Action und Dramatik getrimmten Oberfläche verborgen; wer sich aber die Mühe macht, etwas tiefer unter die mitunter recht dünne Fassade von Hollywoods Filmhandlungen zu blicken, erkennt, wie politische Botschaften, gesellschaftliche Stigmata und menschliche Angstszenarien transportiert werden. Mit ihnen werden Schrecken angesprochen, die höchst real sind. Hinter den Fiktionen stehen oftmals politische oder soziale Unsicherheiten, die es in Form filmischer Narrationen auf die Leinwand schaffen.

So seicht manche der Handlungen zunächst erscheinen, offenbaren die darin verarbeiteten Motive jedoch mehr: Sie werden zu Zeitmarkern, die den Filmproduktionen ihren jeweils gegenwartsbezogenen Stempel aufdrücken. Ihre angezielte Wirkung nährt sich geradezu an den gesellschaftspolitischen Hoffnungs- und Bedrohungsszenarien, die die Menschen real oder scheinbar durchmachen. Insofern spiegelt die Unterhaltungsindustrie durchaus jene Haltungen wider, die die Menschen in ihrer alltäglichen Selbstwahrnehmung begleiten.

Die reale Furcht der Menschen, die sich aus einem Mix von Bedrohung und Erlösungshoffnung aufbaut, findet auf diese Weise in den Kinosälen ihren Einschlag. Dass gerade in den Vereinigten Staaten seit der Mitte des 20. Jahrhunderts auch von einigen freikirchlichen Kreisen das nahe Ende der Welt, der Kampf zwischen dem „auserwählten Rest“ und den Mächten der Finsternis erwartet wird, spielt den Autor*innen solch zerstörerischer Filmvisionen spürbar in die Hände: Endzeit ist immer, Bedrohung stets aktuell – nur, wer im Bewusstsein einer plötzlich hereinbrechenden Bedrohung sein Leben gestaltet und sich dabei auf die wahren Prinzipien menschlichen Lebens konzentriert, kann überleben. Der „Judgment Day“, der Tag des jüngsten Gerichts, wirkt in vielen US-amerikanischen Glaubensgruppen als ein Katalysator für die irdische Lebensführung: Der liebende Vater wird für jene sorgen, die sich selbst am meisten für die Ideale eingesetzt haben, die er verkörpert.

… und dann kommt der Präsident

Was für zahlreiche Beobachter*innen den US-amerikanischen Vaterkomplex a lá Hollywood perfekt macht: Die Schlüsselrolle in Storylines vieler US-Endzeitstreifen spielt häufig der „erste Mann“ im Staat. Ja, der erste Mann – denn nur selten wird das „glass ceiling“, die scheinbar für Frauen undurchdringbare Decke, die unsichtbare Barriere in der US-amerikanischen Politik auch in filmischen Inszenierungen durchbrochen. Der Anführer der „Nation Under God“ sollte selbst im filmischen Drama lieber eine starke Persönlichkeit mit Y-Chromosom bleiben. Sicher ist sicher. Althergebrachte Geschlechterrollen in „God’s Own Country“ werden somit in den Massenproduktionen á la Hollywood auch für die nachkommenden Generationen noch weiter einzementiert: Der US-Präsident, als sichtbares Symbol einer wahren Erwählungsgestalt des US-amerikanischen Volkes, muss eine Führungspersönlichkeit sein, die für das Land einstehen kann.

Dabei kommt es weniger darauf an, welcher Partei der US-Präsident in den Geschichten angehört, vielmehr macht die besondere Aura des Amtes seine Funktion in solchen Erzählungen perfekt. Auffallend oft ist es nämlich der heldenhafte Präsident, der den siegreichen Gegenangriff in die Wege leitet oder – wie im filmischen Spektakel von „Independence Day“ – den Kampf mit den gewalttätigen Eindringlingen selbst aufnimmt.

Dies entspricht nicht zufällig jener Rolle, die der US-Präsident im nationalen (idealtypischen) Gesellschaftsbewusstsein der USA innehat. Mit der Führungsgestalt an der Spitze der Regierung verbindet sich nach wie vor in zahlreichen Kreisen die Erwartung, dass dieser Mensch auch die Vorreiterrolle der USA innerhalb der weltpolitischen Ordnung sicherstellt. Die messiashafte Storyline passt einfach zu gut, als dass man sie in den filmischen Spektakeln nicht aufnehmen würde – und sei dies die unvorstellbare Gewalt eines über ihn zusammenstürzenden Flugzeugträgers (wie in Roland Emmerichs „2012“) Märtyrerstatus eingeschlossen.

Messias von Amtes her?

Das Bild vom idealtypischen Mann im Weißen Haus, dem fürsorglichen Familienvater, dem gläubigen Ehemann und gewissenhaften Staatsmann regt auch heute noch die Fantasie zahlreicher US-Wählergruppen an. Der US-Religionssoziologe Robert Bellah hat diesen quasi-religiösen Blick auf den US-Präsidenten bereits 1967 analysiert: Der „Man in Charge“ sei nicht nur ein sterblicher Mensch. Für viele Amerikaner*innen ist er es, der die Nation und ihre Verantwortungsrolle in der Welt zusammenhält – mit ihm verbindet sich das gesamte Erwählungsbewusstsein einer Nation. Um dieses Bild zu wahren, werden alle medialen und werbetechnischen Hebel in Bewegung gesetzt – denn mit der Autorität des Amtes verbindet sich auch die Glaubwürdigkeit des gewählten Präsidenten. So jedenfalls die Theorie.1

Dabei kann es durchaus vorkommen, dass man im filmischen US-Präsidenten keinen sterblichen Mann, sondern eben einen Actionhelden zu Gesicht bekommt, der für sein Volk, das Wohl der Menschheit und das Schicksal seiner Nation Tod und Verderben in Kauf nimmt. Wer in den filmischen Darbietungen im Ledersessel des Weißen Hauses Platz nimmt, muss zumindest in der Lage sein, dass er drohenden Untergangszenarien todesverachtend die Stirn bietet.

Die Konsequenzen solcher religionspolitischen Fantasien reichen weit. Sie dringen bis in die medialen Brennpunkte des Filmgeschäfts ein. Fast kein Medienunternehmen kann es sich leisten, nicht auf die Forderung dieses religionspolitischen Vaterkomplexes einzugehen. Gerade in den USA muss der Präsident inszeniert werden. Entweder um dem Nationalbewusstsein des „God bless America“ gerecht zu werden oder – im schlimmsten Fall –, damit man von der äußerst fehlerhaften Person im realen „Oval Office“ ablenkt.

Die Macht des Kinos

Kino, Film und Fernsehen sind somit nicht einfach neutral. Das waren sie nie. Sie generieren Stimmungen, sie verarbeiten gesellschaftlich virulente Themen, gleichzeitig kann mit ihnen aber auch Wählerpotential geschlagen werden. Die Unterhaltung von Menschen innerhalb von gesellschaftlichen Strukturen hat insofern auch oftmals einen politischen Zweck („panem et circenses“), jedenfalls aber immer erheblichen Einfluss darauf, wie sich die Menschen innerhalb dieses Gefüges selbst wahrnehmen. Man denke etwa an die filmischen Machwerke ideologischer Diktaturen.

Kino in einem freien Markt wird auch nie von gesellschaftspolitischen Themen und Ängsten getrennt sein. In seinen Sälen kann Stimmung generiert, aber auch reguliert und aufgeladen werden. Visualisierte Hoffnungsstrategien produzieren den realen Wunsch nach solchen Bedingungen. Was Filme aber wiederum auf die Leinwand bringen, ist weniger eine seichte Unterhaltung oder harmlose Wunschvorstellung. Mit ihr kommt nicht selten eben jene gefährliche Vorstellung eines „starken Mannes“ auf die Leinwand, die zahlreiche Parteien ihrerseits wieder zu nützen wissen. Dass diese Problematik keinesfalls neu ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Dennoch erlebt man besonders im Zeitalter einer sich steigernden Medienproduktivität immer mehr die Notwendigkeit, sich die – auch durchaus oftmals unbewussten – manipulativen Kräfte innerhalb der Unterhaltungsmedien vor Augen zu führen.

Hashtag der Woche: #hollywoodiscalling


(Beitragsbild @Ahmet Yalçınkaya)

1 Bellah, Robert N., Civil Religion in America, in: Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences (96/1967), 1-21.

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dr. andreas g. weiß

ist Theologe und Religionswissenschaftler mit Forschungsaufenthalten in den USA und promovierte 2018 an der Universität Salzburg mit der Arbeit "Der politische Raum der Theologie" in den Fächern Fundamentaltheologie und Dogmatik. Der Referent im Katholischen Bildungswerk Salzburg ist Mitglied der »American Academy of Religion« (AAR). Zur Situation in den USA schreibt er regelmäßig in der österreichischen Zeitschrift »Die Furche« und als Gastautor der »Salzburger Nachrichten«.

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