„Bald wird man nicht mehr behaupten dürfen, dass die Homosexualität – wie die katholische Kirche es lehrt – eine objektive Unordnung im menschlichen Leben darstellt.“, befürchtet Joseph Ratzinger im April 2005, kurz vor seiner Wahl zum Papst. Seither hat sich viel verändert: In 22 Ländern weltweit gibt es sie, die gleichgeschlechtliche Ehe (Stand: Mai 2017). In Deutschland seit dem 30. Juni 2017. Sie kam überraschend, schnell, und mit einer satten Mehrheit von 63%. Selbst in der Unionsfraktion fand das Gesetz 75 Befürworter*innen (knapp 25% der Abgeordneten).
Und ewig grüßt das Murmeltier
Was aber haben „Mutti“ Merkel und „Mutter Kirche“ gemeinsam? Beide sind dagegen – auch im Jahr 2017. kath.net postet am 30. Juni ein Meme mit der Aufschrift „Black Friday“. Gemäßigtere Stimmen (ZdK) wollen wenigstens das Wort „Ehe“ gepachtet wissen (zu welchem Zweck auch immer), Koch und Marx äußern Bedenken. Grundtenor: Toleranz ja, „Ehe“ nein. Spannend ist an dieser Stelle aber auch „ein Bewusstsein von dem, was fehlt“: Anders als 2015 (Irland) taucht keine „Niederlage für die Menschheit“-Rhetorik mehr auf.
Steinbruch Bibel1
Steckt dahinter ein Eingeständnis? Darüber lässt sich nur spekulieren. Über valide, exegetische Argumente nicht:
Der Begriff „Homosexualität“ taucht weder im AT noch im NT auf. Lediglich sexueller Verkehr zwischen Männern wird unter bestimmten Umständen verurteilt, so z.B. in Lev 18,22, wo es um die Sicherung von Nachkommenschaft für das Volk und die scharfe Abgrenzung zu fremden Kult(ur)en geht. Diese Stelle wird in Lev 20,13 aufgegriffen: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft […]“, so die alte EÜ. Die neue EÜ von 2016 liefert eine folgenreiche Neuinterpretation: „[…] beide haben den Tod verdient“. Diese Präzisierung wird der hebräischen Formulierung (mot jumatu) gerecht, da sie weniger forensisch als vielmehr paränetisch zu deuten ist; es handelt sich um ein passivum divinum. Wenn aber nicht ein Mensch, sondern Gott der Richter ist – „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“
Die ach so eindeutigen Belege im NT sind nicht aussagekräftiger: Paulus erwähnt gleichgeschlechtlichen Verkehr als eines von vielen Merkmalen der gefallenen Schöpfung. Dabei unterstellt er eine freie Entscheidung zur Homosexualität (was nach aktuellem Stand der Wissenschaften falsch ist) und hat nur sexuelle Akte vor Augen. Er denkt nicht im Geringsten an gleichgeschlechtliche Liebe.
Die Bibel ist – und das mag für fundamentalistische Ohren unerfreulich sein – argumentativ wenig hilfreich, die gleichgeschlechtliche Ehe abzulehnen. Nimmt man die expliziten Stellen im Kontext, wie es Dei Verbum 12 fordert, liefert weder das AT noch das NT eine Grundlage für die pauschale Missbilligung von Homosexualität.
„Besessen“, nicht „geliebt“
Ganz vorbei ist es mit dem biblizistischen Spaß, wenn man sich vor Augen führt, welches breitere Konzept von Ehe und Familie das AT im Hinterkopf hat: Es geht um die Herstellung legitimer Erben bzw. wirtschaftliche Absicherung. Explizit kommt dieser Gedanke im hebräischen Wort für „Ehemann“ (ba’al) zum Ausdruck; es stammt von der Wurzel „besitzen/beherrschen“ (b’l). Die Ehefrau wird mit dem passiven Partizip dazu bezeichnet: „Besessene“ (bə‘ula). Ganz unromantisch bedeutet „Hochzeit“ im biblischen Sinne also, dass die Frau vom Besitz des Vaters in den Besitz des Mannes übergeht. Dort hat auch die Mitgift ihren historischen Ort und noch heute findet sich ein Rudiment dieses Verständnisses im Brauch, dass der Vater die Braut zum Altar führt. Mit dem romantischen Ideal einer Liebeshochzeit im heutigen Sinne hat das wohl wenig zu tun. Deshalb ist kritisch zu hinterfragen, ob „das“ biblische Eheverständnis überhaupt relevant oder gar normativ für aktuelle Diskurse sein kann.
Roma locuta
Und die Tradition? Sie habe doch schließlich „einen“ Ehebegriff hervorgebracht, der schlicht Homosexuelle ausschließe. Hier muss aus systematischer Perspektive differenziert werden: Während der alte Codex Iuris Canonici von 1917 die Ehe als Vertrag (can. 1012) und „Heilmittel der Begierde“ (can. 1013) beschreibt, dessen finis primarius (Erstzweck) die Fortpflanzung ist, stellt Gaudium et spes die personale Kategorie „Gemeinschaft der Liebe“ (GS 47) an die erste Stelle und setzt damit spürbar neue Akzente. Ehe ist nicht mehr „Vertrag“, sondern „Bund“, in dessen Zentrum das Wohl der Partner*innen steht, so der CIC/83 (vgl. c. 1055).
In GS 48 heißt es allerdings sodann: „Durch ihre natürliche Eigenart sind die Institution der Ehe und die eheliche Liebe auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet und finden darin gleichsam ihre Krönung.“ Sind Schwule und Lesben also doch außen vor?
Hier kommt eine unscheinbare und kaum beachtete Norm ins Spiel: „Unfruchtbarkeit macht die Eheschließung weder unerlaubt noch ungültig“ (c. 1084 § 3). Anders formuliert: Die Möglichkeit, Kinder zu bekommen, ist nicht conditio sine qua non einer Ehe, sondern ihre „Krönung“. Damit gibt es kein einziges Unterscheidungskriterium zwischen der Ehe von Mann und Frau und derer von zwei Frauen oder Männern, die alle gleichermaßen gut oder schlecht die Wesenseigenschaften der Ehe, d.h. Treue, Einheit und Unauflöslichkeit, leben können.
Gender mich nicht voll
Gar kein Unterscheidungskriterium? Doch, das Geschlecht. Bzw. ein statisch vorgestelltes Konzept von unveränderlichen sex=gender-Einheitswesen. Steht man auch sonst der Gender-Wissenschaft kritisch gegenüber, so muss man wenigstens das Eine zugestehen: Es ist in Fachkreisen unstrittig und heuristisch sinnvoll, „sex“ und „gender“ zu unterscheiden. Das hat auch für die katholische Ehevorstellung bisher völlig ausgeblendete Konsequenzen. Schnell entpuppen sich vor diesem Hintergrund die Lieblingsargumente der Gegner*innen der gleichgeschlechtlichen Ehe als Schuss ins Knie: Gen 1,27 hat keinen Begriff von körperlicher Geschlechtlichkeit („sex“) vor Augen, sondern soziale Rollen i.S.v. „gender“. Interessanterweise wird der Mensch (hebr. ha’adam) in Gen 1 in seiner weiblichen (nəqevah) und männlichen (zakhar) Ausprägung geschaffen und erhält davon unabhängig (plötzlich im Plural) Aufträge von Gott. Es wird in keinster Weise zwischen „Mann“ und „Frau“ differenziert. Völlige Gleichstellung. Die beiden Begriffe (‘iš bzw. ‘išah) tauchen erst in Gen 2 auf, aber erst in Gen 3, d.h. „nach“ dem Sündenfall, werden geschlechtsspezifische Strafen verhängt.
Deshalb verbieten sich offenbarungstheologische und naturalistische Fehlschlüsse der*dem aufmerksamen Leser*in. Die Schrift lehnt nicht nur homosexuelle Liebe nicht ab, sondern kann darüber hinaus weder als Patenturkunde für den Ehebegriff herhalten noch eine heteronormative Anthropologie begründen. Und dabei war noch nicht von fundamentaleren Einwänden die Rede! „Welcher Gott will welches Gesetz?“, fragt Magnus Striet bspw. in der HK 01/2015 und P. Knauer SJ argumentiert, dass biblische Moralnormen nur Offenbarung im „uneigentlichen Sinne“ sind und keine andere Gültigkeit beanspruchen können als vernünftige.2
Kairos
Bleiben die praktischen Konsequenzen. Hier taucht bewusst das subjektive „Ich“ zum ersten Mal auf: Ich bin überzeugt, dass die Kirche an einem Scheideweg steht. In einer Zeit, in der immer weniger Menschen sich konfessionell gebunden fühlen und eine immer breitere Masse der „Amtskirche“ den Rücken kehrt, kann die Kirche sich keine weiteren zwölf Jahre Homophobie in der Ratzinger‘schen Form leisten. Außerdem bleibt sie sich selbst nicht treu, wenn sie einerseits ein intimstes Gespräch mit Gott im Gewissen für möglich hält (vgl. GS 16), gleichzeitig aber homosexuelle Liebe kategorisch ablehnt. Wie kann es sein, dass so viele mit sich selbst ringende Gewissen in derselben Form irren? Ganz subjektiv gesprochen: Meiner Wahrnehmung nach steht einer lauten, homophoben Minderheit innerhalb des Gottesvolkes eine überwältigende Masse an Befürworter*innen homosexueller Beziehungen entgegen – diesseits und jenseits von Ambo und Altar. Aus meiner persönlichen Erfahrung kenne ich viele in der Kirche sehr engagierte Homosexuelle; ob in der Verbandsarbeit, in Pfarrei- und diözesanen Gremien oder im Klerus.
Dass die Kirche keine Zeit mehr zu verspielen hat, merke ich, wenn ich mit Kommiliton*innen in der Philosophie zu tun habe. Kurz erregtes, dann fragendes Stutzen ist die harmloseste Reaktion auf mein Outing als Theologe; bei postkritischen Denker*innen kommen auch schonmal Beleidigungen vor. Folgt man keiner unbiblischen und nicht jesuanischen, sektiererischen „Heilig‘ Rest“-Doktrin, müssen zügig inhaltlich kohärente und pastoral verantwortbare Lösungen her.
Zudem geht es hier nicht um eine abstrakte theologische Frage, sondern die Debatte hat für „Betroffene“ existentielle Relevanz. Man denke an die spektakulären Coming-Outs von Krzysztof Charamsa oder David Berger, die paradigmatisch für eine Vielzahl von Kirchenmännern stehen, die dazu nicht den Mut haben. Mit allen neurotisierenden, sexualdevianten und kirchenzersetzenden Folgen.
Quo vadis?
Teile der Kirche sind auf einem guten Weg, aber der status quo ist längst nicht befriedigend. So schön Barmherzigkeit und Toleranz bspw. sind, so sehr setzen sie doch ein Machtgefälle voraus. Homosexuelle in der Kirche wollen und verdienen weder das eine, noch das andere – noch gar „Achtung, Mitleid und Takt“, wie es der Katechismus (Nr. 2358) fordert. Sie verdienen Akzeptanz und Gleichstellung – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Es gibt keine theologischen Spitzfindigkeiten mehr zu diskutieren. Was oben nur angerissen wurde, hat spätestens Stephan Goertz in seinem beeindruckenden Sammelband zum Thema Homosexualität und Katholische Kirche theologisch-wissenschaftlich unhintergehbar geklärt. Die biographische Relevanz und der sensus fidelium (die getaufte Form des „Zeitgeist“) drängen nun auf Änderungen. Ja, es ist ein zum Himmel schreiender Skandal, dass angst- und schambehaftete Unsicherheiten zu immer spitzfindigeren, immer unnötigeren Scheindiskursen über eine Wirklichkeit führen, die nur in theologischen Lehrbüchern existiert. Will man nicht die Möglichkeit zum Sakramentenempfang an Geschlechtsvorstellungen längst vergangener Zeiten knüpfen, führt kein Weg an einer katholischen Ehe für alle vorbei. Der*dem aufmerksamen Leser*in mag aufgefallen sein, dass so natürlich auch bei anderen Sakramenten zu fragen ist, ob ein bestimmtes Geschlecht zum Empfang vorausgesetzt werden kann…
Es bleibt also durchzusetzen und zu hoffen: Durchzusetzen, dass in kirchlichen Kreisen Homophobie aktiv geahndet wird. Es gibt, gab schon immer und darf Homosexualität in der Kirche geben. So zumindest das Fazit eines Interviews der FAZ mit Prof. Ansgar Wucherpfennig SJ, der ein entsprechendes Seelsorgeangebot der Stadtkirche Frankfurt unterstützt. Bei einer Podiumsdiskussion ergänzte er, es müsse für „Betroffene“ endlich möglich sein, angstfrei in der ersten Person über das Thema Homosexualität zu sprechen – auch innerhalb der Kirche.
Zu hoffen bleibt, dass Joseph Ratzinger mit seiner eingangs zitierten Prophezeiung richtigliegt: „Bald wird man nicht mehr behaupten dürfen, dass die Homosexualität […] eine objektive Unordnung im menschlichen Leben darstellt.“ – zu Recht.
Hashtag der Woche: #bunterFreitag
1 Die meisten Gedanken in diesem Abschnitt sind den Aufsätzen von Th. Hieke und M. Theobald in St. Goertz: „Wer bin ich, ihn zu verurteilen? Homosexualität und katholische Kirche“, Freiburg i.Br. 2015 entnommen.
2 Vgl. Knauer, P.: Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, Freiburg i.Br. 61991, 89–111.
Der Titel müsste etwas reißerischer und es regnet Klicks.
Ansonsten ein gut katholisches Thema, bei dem mir ein Insider allemal lieber ist, als ideologische Trittbrettfahrer.
Leider ist mir vor lauter Sternchen*gedönse im Text fast das Bier der Hand gefallen, als ich mit meinem Bagger gespielt habe. Hat sich die Redaktion schon mal Gedanken gemacht, warum der Genus bei „Einparkhilfe“ weiblich ist? Hat nichts mit Rollenbildern zu tun, oder?
Wenn wir schon dabei sind: Ich würde das starke Argument des Patriarchats im AT, noch vor der Sicherung der Nachkommenschaft anwenden, d.h. die klare Rollenabgrenzung und klare Verhaltensmuster von Mann und Frau, die maßgeblich und entscheidend waren für alle Formen außerordentlichen Verhaltens: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft…“.
– just my two cents
By the way: etwas weniger Latinismen und der Text würde auch bei Nicht-Theologen Anklang finden. Dazu mein Hashtag der Woche: #binnensprache
Cheers
Lieber Mr. Thomas,
Danke für den Kommentar, der vor hilfreichen Tipps ja nur so strotzt. Was wir uns (sehr ironiefrei) zu Herzen nehmen wollen, ist der Hinweis auf die Latinismen. Unsere Sprache sollte nicht zu kompliziert sein und (ganz wie Sie schreiben) auch für Nicht-Theolog*innen verständlich.
Die Sternchen bleiben. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass wir sie furchtbar romantisch finden. Sachliche Gründe gäbe es zwar auch, die könnte man sogar an verschiedenster Stelle nachlesen, aber das scheint Sie recht wenig zu interessieren.
Umgekehrt erlauben wir uns, Ihnen den Rat zu geben, beim nächsten redaktionskritischen Kommentar selbst etwas mehr Wert auf die redaktionelle Sauberkeit des eigenen Beitrags zu legen. #zeichensetzungundso
Cheers
Liebe Ms. Spies,
ich bereue meine Zeichensetzung im kleinen Kommentarfeld. Da war ich wohl mit dem Smartphone zu hektisch, als ich mein blaues Hemd anziehen wollte und den Bagger beiseitelegte. 😉 Das passiert mir häufiger, dickes SORRY.
Übrigens, Romantik fand ich als Argument gar nicht so unsexy, aber Typo, Ästhetik und Lesefluss, sind schwere Gegner dieser romantischen *Sternchen. In dem Sinne sind sachliche Diskussionen mit mir darüber wirklich ermüdend.
Schön, dass Sie auch an die Nicht-Theologen denken. Danke!
Cheers.
#sternchenpower
Das ist mal 1 witzige Antwort!
Schönheit ist eine Frage des Zeitpunktes. (Sprachliche) Ästhetik ändert sich ständig und der Verständlichkeit von Texten tun die Sternchen keinen Abbruch. Lassen wir es dabei 😉
Interessante Meinung. Man hätte fast einen Artikel draus machen können. Das Thema bringt Klicks.
So long. 😉
@Thomas: Der Genus zusammengesetzter Substantive ergibt sich m.W. im Deutschen nach dem letzten der Substantive. Damit ist der Genus der Einparkhilfe der gleiche wie bei „die Hilfe“.