Über das lange Oktoberwochenende vom 3.-5.10.2025 fand das 17. Hohenheimer-Theologinnen Treffen der AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V. in Stuttgart-Hohenheim statt. Frieda Kries war dabei und teilt für die y-nachten-Leser*innen ihre Tagungsbeobachtung.
Alle zwei Jahre trifft sich das Netzwerk AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V. Ziel, dessen Ziel es ist, die wissenschaftliche Arbeit und die Situationen von Theolog*innen in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft sichtbar zu machen und zu verbessern. Das Thema „Weite Räume -Theologie(n) neu denken“ warf den Blick auf die Fragen, welche theologischen Räume einmal gründlich aufgeräumt werden müssen, welche Räume besser verlassen werden sollten und welche Räume noch unentdeckt auf Personen und Ideen warten.
Blick von außen: Räume von Theologie werden oft nicht gesucht, noch seltener gefunden
Zunächst galt die Perspektive der Außenwahrnehmung: Im Rahmen einer Podiumsdiskussion am Freitagabend brachten Susanne Kränzle (Hospizleitung), Thomas Pilz (Geschäftsführender Unternehmer) und Derya Şahan (Fachstelle Extremismusdistanzierung) ihre beruflichen Erfahrungen aus den Bereichen Hospiz- und Palliativbewegung, Wirtschaft und Sozialarbeit sowie davon ausgehend Anfragen an die Theologie ein. Derya Şahan gab eine allgemeinverständliche Übersetzung theologischer Diskurse in Auftrag, Suanne Kränzle formulierte praktisch-seelsorgliche Fragen im Bereich Sterben, und Thomas Pilz sprach etwas vage davon, wie es gelingen kann, wieder überzeugend vom Christ*in-Sein in der Gesellschaft zu sprechen.
Einen gesellschaftlichen Auftrag – so mein Eindruck – bekommen wir Theolog*innen jedoch nicht automatisch. Selbst in Räumen, die vermeintlich direkt mit Theologie assoziiert werden könnten (ethische Fragen am Lebensende, wirtschaftsethische Problemsituationen, Debatten um religiös begründete Radikalisierungen etc.), wird die Theologie in der Praxis nur selten angefragt.
Die Räume, in denen wir Theolog*innen uns (alltäglich) bewegen, müssen wir gastfreundlicher, attraktiver, (an-)sprechender gestalten – weniger ausgehend von unseren Überzeugungen und Sicherheiten, sondern aufmerksam für die Lebensrealitäten unserer Mit-Welt – um so „den Himmel offen1 zu halten. In der Raum-Metapher hieße das dann: raus aus den Kellern, Fenster auf, Dächer abdecken (vgl. Mk 2,1-12)!
Neuer Raum: BarCamp
Nach den Blicken von außen folgten die (Ein-)Blicke nach innen. Die Methode „BarCamp“, auch bekannt unter dem Namen „Open Space“, ist maximal partizipativ und lebt vom Austausch auf Augenhöhe: Die Teilnehmer*innen legen selbstständig und mitunter spontan Inhalte und Ablauf für sogenannte Sessions fest. Jede*r kann Sessions anbieten und an den Sessions anderer teilnehmen. Zwar hatten einige Mitglieder der Jungen AGENDA, die knapp die Hälfte der Tagungsteilnehmer*innen ausmachten, sich schon auf ihrem Treffen im Frühjahr in dieser Tagungsmethode probiert, doch war das entschiedene Raum-Bereiten für die konkreten Anliegen der Teilnehmer*innen für die Meisten ein Novum. Schaute man also in das Programmheft, fehlten Vorträge, Inputs und Workshops von bekannten und weniger bekannten Personen gänzlich. Durch die mutige Wahl des Vorbereitungsteams, eine neue Methode auszuprobieren, konnten stattdessen passend zum Tagungsthema „weite Räume“ betreten werden, um „Theologie(n) neu [zu] denken“.
No-Go-Areas, Sehnsuchtsräume und interdisziplinäre Neu-Orte
Die Dynamik nahm ihren Lauf und so lautete nach einer Session zur Relevanz theologischer Räume das Fazit: mehr Konkretes.
In diesem Sinne ging es anschließend ganz konkret um den Auftrag von Theologie angesichts der sozialökologischen Krise und globaler Gerechtigkeitsthemen. Auch die Raum-Metapher war weiterhin präsent: unter dem Stichwort „choose your fights“ suchten Theolog*innen nach Kriterien für wirksame Diskursräume.
Dabei stand die Frage „Welche Räume betrete ich, an welchen gehe ich entschieden vorbei?“ im Mittelpunkt. Ebenso wurden spirituelle Räume und auch Nicht-Räume aufgedeckt. So ist bei vielen die Sehnsucht nach liturgischen Räumen für die eigene und gemeinsame Gottesbeziehung groß, die bestehenden Räume erscheinen aber oft wenig einladend. Im Laufe der Tagung wurden weitere Sessions zu vielfältigen Themen angeboten: Poetische Gottesrede und die Verbindung von Theologie zu Lyrik, Musik, Kunst und Popkultur; Informationen über die Verbindungen zum lateinamerikanischen Schwesternnetzwerk Teologanda und dem 3. Kongress lateinamerikanischer und deutschsprachiger Theologinnen in Argentinien im Oktober 2026; eine Einführung in Themenzentrierte Interaktion (TZI); ein kirchenhistorischer Blick zurück anlässlich 1700 Jahre Konzil von Nizäa; Suche nach interdisziplinären Orten für Theologie; neue theologische Studiengänge; Vernetzungen zu Mutterschaft und akademischem Weg, zu Mental Health sowie zu Herausforderungen für FLINTA* in der Theologie und nicht zuletzt interaktive Überlegungen zu öffentlichen Räumen wie Instagram.
Auch ohne ein vorher ausgearbeitetes Programm blieben die Räume der Akademie nicht leer. Im Gegenteil, überall waren Theolog*innen miteinander im Austausch, hörten sich gegenseitig zu und teilten großzügig, kreativ, inhaltlich und persönlich ihre Erfahrungen.
Es war genug Raum für die vielen Themen, die sonst zwischen einer Tasse Kaffee und einem Stück Marmorkuchen in den Pausen zu wenig Geltung bekommen.
Blick nach vorne: große Fragen und Aufbruchsstimmung
Am Ende der Tagung stehen große Fragen: Wie können theologische Beiträge zu gesellschaftsrelevanten Diskursen gelingen? Wie werden wir in Lehre, Verkündigung und wissenschaftlicher Reflexion anschlussfähig für andere Disziplinen? Und wie sehen diese weiten Diskursräume aus, in denen wir frei atmend und von unserer Mit-Welt inspiriert Theologie treiben können?
Als Neuling im AGENDA-Netzwerk bin ich beeindruckt vom Austausch über Generationen und Berufsgruppen hinweg. Ich sehe die Bemühungen und das Ringen um einen Vertrauensraum, der gerade in den hierarchisch strukturierten Konstellationen von Wissenschaft und Kirche notwendig ist. Die Offenheit, voneinander zu lernen, war spürbar groß.
Pastorale, gesellschaftliche und wissenschaftliche Expertise trifft im AGENDA-Netzwerk aufeinander. Mir wird bewusst: diese beruflichen Felder sind untrennbar miteinander verwoben; wir inspirieren uns gegenseitig und sind auf Kooperationen angewiesen.
Die BarCamp-Sessions haben methodisch dazu beigetragen, dass wir Theolog*innen nicht nur als Publikum und Zuhörende, sondern eigenständig und aktiv einen theologischen Reflexionsraum füllen konnten. Nach diesem intensiven Theologie-internen Austausch freue ich mich nun wieder auf Begegnungen mit Nicht-Theolog*innen, auf theologisch noch unentdeckte Räume.
Hashtag der Woche: #raumfürtheologie
Beitragsbild: @hannahbusing
1Loffeld, Jan: Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Das Christentum vor der religiösen Indifferenz, Freiburg i. Br. 2024, 165.