Maschinenrevolution, feministische Kunst und Spiritualität – eine ungewöhnliche Verbindung, die seit den 1960er-Jahren radikale Fragen nach Körper, Geschlecht und Transzendenz stellt. Laura Brauer führt in die techno-spirituelle Bildwelt von Künstlerinnen wie Lynn Hershman Leeson, Deborah Sokolove und Donna Haraway ein und zeigt, wie die* Cyborg zur Schlüsselfigur einer neuen, emanzipatorischen Utopie zwischen Immanenz und Transzendenz wurde.

Seit den 1960er-Jahren und der Entstehung der Computerkunst begannen Künstler:innen und Theoretiker:innen, die Schnittstellen von Technologie, Körperpolitik und Spiritualität neu zu vermessen. Ihre ästhetische Erprobung und Okkupation neuer Technologien wie des IBM 7090, Z64 Graphomat, Sketchpads und Plottern in Bild, Text und Code gehörten zu den frühesten Entwürfen feministischer Utopien im digitalen Zeitalter.

Im Zentrum steht der Versuch, religiös tradierte Vorstellungen von Geschlecht und Gesellschaft zu hinterfragen – und in der technologischen Transformation des Körpers neue Formen von Selbstermächtigung und Transzendenz zu entwerfen.

Die Cyborg-Idee in der Kunst der 1960er-Jahre

Nur wenige Jahre, nachdem der Begriff „Cyborg“ (Cybernetic Organism) von den Wissenschaftlern Clynes und Kline in der Zeitschrift Astronautics im September 1960 zum ersten Mal für einen kybernetischen Organismus verwendet worden war, visionierte Lynn Hershman Leeson diese hybriden Wesen. Figurationen wie die Mixed-Media-Zeichnung X-Ray Woman (1966) oder Cyborg with a Heart Transplant (1968) dürfen rückblickend als Schlüsselbilder einer Ästhetik gelten, in der sich Körper und Maschine durchdringen, und die Kunst zu einem Experimentierfeld für theologische Existenzfragen machte. Die Blickenden erhalten Einsicht in das technisch bewegte Innenleben einer weiblich gerahmten Silhouette, deren Qualität als Cyborg sich gleich einer neuartigen Landkarte offenbart, die Natur mit Mechanik verschmelzen lässt. Die X-Ray Woman wird zur Projektionsfläche für neue Vorstellungen von Identität, Geschlecht und Spiritualität.

Hürden und Ausnahmen: Frauen in der Computerkunst

In dieser frühen Phase, zugleich Geburtsstunde der Computerkunst, blieb Frauen der Zugang zu Computern, die sich erst allmählich aus Militär- und Informationstechnologie in kulturelle Kontexte ausweiteten, weitgehend verwehrt. Allerdings blieb es auch in den Folgedekaden und eigentlich bis heute die Ausnahme, dass Theologinnen sich selbst an der Schaffung digitaler Kunst versuchten. Eine dieser Ausnahmen verkörpert die Computerkünstlerin – und nunmehr emeritierte Professorin des Wesley Theological Seminary – Deborah Sokolove. In einem ihrer frühesten Aufsätze zur Computerkunst The Image in the Magic Box (1990) betont sie die Bedeutung der Verschränkung von Computerkunst und „hypermedia“ als elektronische Erweiterungen des Buchbegriffs. Diese Sicht spiegelt sich auch in ihren Computerkunstwerken der 1980er, in denen sie – angelehnt an die Ästhetik von Stundenbüchern und Altären – Laserprint-Serien z.B. von Jahreszeiten erschuf. Mit ihrer Zusammenführung christlicher Buchdrucktradition und generativer Technologie versuchte sie gleichsam, religiösen Bildpraktiken einen Platz im „Informationszeitalter“ (zurück-)zuerobern; ein Ansatz, mit dem sie unter Digitalkünstlerinnen eher isoliert blieb.

Feministische Digitalkunst der 1980er- und 1990er-Jahre

In den 1980er- und 1990er-Jahren blühte auch die feministische digitale Kunst in Europa auf, zu deren Vorreiter:innen Irma Hünerfauth mit ihrer ganz eigenen Form techno-spiritueller Kunst gezählt werden darf. Mit ihren sogenannten Künstlergebetbüchern, die sie aus Mikroelektronik-Schrott fertigte, dringt sie in die männlich dominierte Domäne der Schrottplastik vor. Ihre skurrilen Skulpturen und kinetischen Objekte verspotteten die Konsumgesellschaft, während sie zugleich eine neue Form des Religiösen im Technischen sichtbar machten. Ein ausgeprägtes Interesse an der Verbindung von Technik, Subjektivität und religiöser Symbolsprache findet sich auch in den digital erzeugten Kompositionen von Anne-Mie Van Kerckhoven, die in den späten 1980er-Jahren im Brüsseler Labor für künstliche Intelligenz entstanden. Van Kerckhoven versteht Technologie nicht als Bedrohung, sondern als Werkzeug der Selbstermächtigung. In ihren Computerkunstwerken und Videoinstallationen greift sie immer wieder auf religiöse Praktiken zurück, etwa im Kurzfilm De 4 uitersten (1984), der von den Meditationsprinzipien der Jesuiten inspiriert ist. Ihre Arbeiten verbinden digitale Ästhetik mit spiritueller Tiefenstruktur – ein Ausdruck einer neuen, techno-feministischen Körperlichkeit. Aber nicht allein christliche, sondern auch außereuropäische Religiosität geriet in das Blickfeld früher Digitalkünstlerinnen (z.B. Cyber-Animism oder The Tao of Postmodernism). Um nur einen visionären Zugang zur technologisch erweiterten Körperidee zu nennen: Tamiko Thiel entwarf in den 1980er-Jahren Konzepte für die Connection Machine – einen der ersten Computer, der Intelligenz und Leben anhand einer Adaption der natürlichen Struktur des menschlichen Gehirns simulieren sollte.

Theorie und Vision: Der Cyborg als feministische Figur

Jene künstlerisch-technologischen Entwürfe greifen eine Bildsprache auf, die später in der feministischen Lesart des Cyborgs eine zentrale Rolle spielt:

Die Maschine wird nicht länger als kaltes Gegenüber des Organismus gedacht, sondern als Teil eines neuen Subjektmodells.

Den theoretischen Rahmen für diese Bild- und Gedankenwelt sollte Donna Haraway mit ihrem einflussreichen Essay A Cyborg Manifesto (1985) liefern. Ihr berühmter Satz „Ich wäre lieber eine Cyborg als eine Göttin“ wurde zum programmatischen Motto einer feministischen, technokritischen Kunst. Der Cyborg, so Haraway, sei ein hybrides Wesen – eine Verschmelzung von Organismus und Maschine – und eröffne ein Denken jenseits binärer Gegensätze wie Körper/Geist, Natur/Kultur oder Frau/Mann.

In dieser Figur verbinden sich Technik und Subjektivität, Kontrolle und Selbstbestimmung – und nicht zuletzt wird sie zur kritischen Alternative zu religiös geprägten Körperbildern.

Sie – als Simulacrum, Heteroglossia, Kreationa zwischen Realität und Fiktion – verkörpert Haraways verspielt-blasphemischen Zungenschlag. Er setzt sich über Logiken heilsgeschichtlicher Erwartungen von Befreiung und Wiedergeburt hinweg, belächelt post-ödipale Apokalypse, träumt von feministischen Gradwanderungen zwischen Vergnügen und Verantwortung. Sie konstruiert und zerstört, sie schöpft ohne zu gebären, sie ist zu viel, sie ist Chaos, sie ist öffentlich, sie ergötzt sich am Ungewissen, erfreut sich am Aufbrechen dichotomer Ordnungsschema.

Gemeinsam ist diesen Positionen ein emanzipatorischer Impuls: Sie loten die Möglichkeiten einer postdualistischen Körper- und Gesellschaftsordnung aus und schlagen vor, Transzendenz nicht als Rückkehr zum Mythos, sondern als techno-poetische Neuerfindung des Selbst zu begreifen.

Hashtag der Woche: #Cyborg


Beitragsbild: @Simon Lee

laura brauer

lebt und arbeitet seit nunmehr sechs Jahren in Berlin. Sie studiert Geschichte im Master an der Humboldt-Universität und schreibt u.a. für SPIEGEL Geschichte und das evangelische Magazin zeitzeichen.

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