Räume der Religionen finden sich inzwischen an vielfältigen Orten des öffentlichen Lebens. David Jost erklärt, was es für einen solchen Raum bedarf und plädiert für Friedhöfe als mögliche Standorte.

In Metropolregionen lebt eine stetig wachsende Zahl von Menschen unterschiedlicher religiöser und kultureller Prägung. Angesichts dieser Vielfalt überrascht es nicht, dass vermehrt die Forderung nach Räumen laut wird, in denen Gläubige ihre Religion praktizieren können. Doch in einer pluralistischen Gesellschaft geht es nicht nur darum, das Nebeneinander verschiedener Glaubensrichtungen zu ermöglichen, sondern auch das Miteinander aktiv zu fördern. Eine zentrale Rolle spielt dabei der interreligiöse und interkulturelle Dialog, der zu gegenseitigem Verständnis und zur Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe beitragen soll.1 Diese Idee fand zunächst Ausdruck in der Einrichtung interreligiöser Räume, wie sie etwa in Flughäfen oder Krankenhäusern zu finden sind. Mittlerweile geht die Entwicklung jedoch weiter und es sollen vermehrt ganze Häuser der Religionen errichtet werden. Damit sind mehrere Ziele verbunden: Zum einen sollen sie Begegnungsorte sein, die einen offenen Austausch zwischen Religionen und Kulturen ermöglichen und zu Toleranz sowie einem friedlichen Zusammenleben beitragen. Zum anderen sollen sie verschiedenen Glaubensgemeinschaften eine feste Heimat bieten. Letztlich ist mit Häusern der Religionen die Hoffnung verbunden, dass sie zu Orten werden, die für breite Teile der Bevölkerung an Bedeutung gewinnen. In der Literatur findet man bereits Auseinandersetzungen darüber, wie solche Häuser aufgebaut sein könnten, um ihren Zweck zu erfüllen.2 Deutlich weniger Beachtung erfährt hingegen die Frage nach dem geeigneten Standort.

Ein Einblick in Räume und Häuser der Religionen

Auch wenn Räume und Häuser der Religionen in ihrer heutigen Form ein vergleichsweise neues Phänomen darstellen, lässt sich bereits in früheren Epochen beobachten, dass sakrale Orte von unterschiedlichen Religionen sowohl nacheinander als auch nebeneinander genutzt wurden. In Bezug auf moderne Häuser bzw. Räume der Religionen gilt der 1952 errichtete Meditationsraum im Gebäude der Vereinten Nationen in New York als frühestes Beispiel. Ein weiteres bedeutendes Projekt stellt der 1988 eröffnete interreligiöse Raum am Flughafen Wien dar. Inzwischen gehören Räume dieser Art fast schon zur Standardausstattung vieler internationaler Flughäfen. Auch in einigen Krankenhäusern und Universitäten sind sie mittlerweile verbreitet.3 Bei ihrer Gestaltung ist man sich den großen Herausforderungen bewusst: Sie müssen so konzipiert sein, dass sie bei keiner beteiligten Religionsgemeinschaft auf Ablehnung stoßen. Daher haben sich zwei grundlegende Konzepte von Räumen der Religionen herausgebildet: das „positive“ und das „negative“ Raumkonzept.4 Während das erste verschiedene religiöse Symbole einbezieht, verzichtet das zweite vollständig auf jegliche Symbolik – dies ist auch bei den zuvor genannten Beispielen der Fall.

Schon die Planung solcher Räume ist äußerst komplex, bei ganzen Häusern der Religionen wird sie noch deutlich anspruchsvoller. In Bern, Hannover, Stockholm, New York und Taipeh wurden entsprechende Projekte bereits umgesetzt, während man sich in anderen Städten wie Wien, München und Abu Dhabi noch in der Planungsphase befindet. Ein prominentes Beispiel für ein bereits realisiertes Projekt ist das 2014 eröffnete Haus der Religionen – Dialog der Kulturen in Bern.5 Dort verfügen hinduistische, muslimische, christliche, alevitische und buddhistische Gemeinschaften über eigene Räume, die der Ausübung ihrer jeweiligen religiösen Praxis dienen. Darüber hinaus sind weitere Religionsgemeinschaften wie das Judentum, die Bahá’í und der Sikhismus inhaltlich am Haus der Religionen beteiligt. Ergänzt wird das Angebot durch Räume für den interkulturellen Dialog, Ausstellungsflächen sowie ein Restaurant, wodurch vielfältige Formen der Begegnung zwischen den Kulturen und Religionen gefördert werden. Das Berner Haus der Religionen orientiert sich am Konzept des „Begegnungsorts mit Seitenkapellen“: Es kombiniert gemeinschaftliche Begegnungsräume mit Bereichen, die von den jeweiligen Religionsgemeinschaften genutzt werden. Die Mehrheit der realisierten und geplanten Häuser der Religionen orientiert sich an diesem Modell.6 Ob sich dieses Konzept dauerhaft etablieren wird oder alternative Ansätze entstehen, bleibt abzuwarten.

Friedhöfe als ideale Standorte für Häuser der Religionen

Wie deutlich wurde, gibt es bereits existierende bzw. geplante Projekte von Häusern der Religionen. Dabei zeigt sich, dass zunächst die Akzeptanz durch die verschiedenen Religionsgemeinschaften im Vordergrund steht. Offen bleibt jedoch, in welchem Maß solche Häuser auch von der breiten Bevölkerung angenommen und tatsächlich besucht werden. Damit solche Einrichtungen nicht nur innerreligiöse, sondern auch gesamtgesellschaftliche Relevanz entfalten, sind mindestens zwei Bedingungen entscheidend: Erstens müssen sie an Orten liegen, die regelmäßig von vielen Menschen aufgesucht werden. Ein Standort am Stadtrand würde diesem Anspruch kaum gerecht werden. Zweitens müssen sie in Umgebungen angesiedelt sein, in denen Menschen grundsätzlich bereit sind, sich auf religiöse und existentielle Fragestellungen einzulassen. Ob sich die stark frequentierten Einkaufsstraßen der Innenstädte dafür eignen, ist fraglich.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Orte beide Bedingungen erfüllen. Auf den ersten Blick mag der Gedanke ungewöhnlich erscheinen, doch bei näherer Betrachtung bieten gerade Friedhöfe – insbesondere Zentralfriedhöfe – ein hohes Potenzial. Sie werden regelmäßig von vielen Menschen besucht, sei es beim Gedenken an verstorbene Angehörige oder beim Durchqueren auf alltäglichen Wegen. Zudem sind Friedhöfe Orte, an denen Menschen in besonderer Weise mit Fragen nach Leben, Tod sowie Sinn konfrontiert werden und somit eher offen für religiöse oder spirituelle Impulse sind. So könnten selbst Menschen, die wenig Interesse an Religionen haben, beim Friedhofsbesuch neugierig einen Blick in solch ein Haus werfen. Ausstellungen, in denen unterschiedliche religiöse Deutungsangebote zu existenziellen Fragen aufgezeigt werden, sowie interreligiöse Veranstaltungen könnten das Interesse weiter vertiefen. Wiederholte Besuche würden so die Möglichkeit eröffnen, Akzeptanz und Verständnis für religiöse Vielfalt zu fördern. Auch die Beheimatung verschiedener religiöser Gemeinschaften könnte hierzu einen Beitrag leisten. So könnte ein Ort entstehen, der über bloße Repräsentation hinausreicht und sich zu einem lebendigen Forum des Dialogs entwickelt. Häuser der Religionen hätten eine hohe Sichtbarkeit und das Potenzial, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz zu erfahren.

Hashtag der Woche: #interreligiousdialogue


(Beitragsbild)

1Siehe zur Forderung und Relevanz von Räumen und Häusern der Religionen ausführlich Rötting, Martin: Introduction, in: Ders. (Hrsg.): Houses of Religions. Visions, Formats and Experiences, Zürich 2021, 5–23.

2Siehe hierzu exemplarisch Biddington, Terry: Multifaith Spaces. History, Development, Design and Practice, London 2020.

3Siehe hierzu Rötting, Martin: Multifaith Spaces – Sinnräume der Zukunft?, in: Kunst und Kirche. Magazin für Kritik, Ästhetik und Religion. Interreligiöse & interkulturelle Architektur 2.2022, 18–25.

4Siehe hierzu Crompton, Andrew: The Architecture Of Multifaith Spaces: God Leaves The Building, in: The Journal of Architecture 18 (4) 2013, 474–496.

5Einen ausführlichen Einblick zum Haus der Religionen in Bern findet man auf der Website des Vereins Haus der Religionen – Dialog der Kulturen: https://haus-der-religionen.ch/ (Zugriff: 26.08.2025).

6Siehe zu geplanten und bestehenden Projekten ausführlich Rötting, Martin (Hrsg.): Houses of Religions. Visions, Formats and Experiences, Zürich 2021.

dr. david jost

studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Religious Studies an den Universitäten Wien und Salzburg. Er war drei Jahre als Projektmitarbeiter am Fachbereich Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg tätig. Seit April 2025 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Philosophische Grundfragen der Theologie und Sozialphilosophie an der Universität Bonn.

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