Macht und Herrschaft werden mit Blick auf die Kontrolle über weiblich gelesene Körper häufig synonym verwendet. Doch das, was hierin eigentlich zum Vorschein kommt, ist ein patriarchales Machtverständnis – eines, das Kontrolle statt Veränderung will und den veränderlichen Körper entsprechend kontrolliert. Paul Draganoff zeigt anhand des Ansatzes Lisa Isherwoods, wie gerade die Veränderbarkeit und Vielfältigkeit des Körpers als Macht zur Veränderung (Dynamis) verstanden werden kann.
Vor allem der weiblich gelesene Körper war und ist seit Jahrhunderten Objekt patriarchaler Kontrolle oder wurde als minderwertig gegenüber dem meist männlich assoziierten Geist bewertet, obwohl Gott nach christlichem Verständnis Mensch wurde, sich also ver-körperte.
Für die feministische Theologin Lisa Isherwood ist durch die Inkarnation klar, dass es nicht um eine Erlösung vom Körper, sondern um Erlösung durch und mit dem Körper gehen muss. Erlösung bedeutet eine Überwindung des Status quo. Gerade die Veränderbarkeit und Vielfältigkeit des Körpers, die patriarchale Macht bedroht, wird zur Quelle einer neuen Form von Macht.
Keine Vollmacht (Exousia), sondern eine Macht zur Veränderung (Dynamis). Die Problematisierung und Überwindung der Kontrolle über den (v.a. weiblich gelesenen) Körper und seine vielfältigen Ausformungen und Ausdrucksweisen (Verkörperungen) gewinnt dadurch im theologisch-feministischen Diskurs eine soteriologische Bedeutung.
Patriarchale Macht als Exousia über den Körper im Gegensatz zur Dynamis als erlösende Macht zur Veränderung
In ihrem Buch „The Fat Jesus“1 wird Macht im Kontext des Körpers thematisiert. Die Exousia (altgr.: (Voll-)Macht) wird primär als patriarchale Dominanz verstanden und meint ein grundlegend hierarchisches Machtverständnis. Damit ist ein hierarchischer Dualismus verbunden, der den Körper aufgrund seiner Veränderlichkeit ab- und den Geist aufwertet. Die Auswirkungen dessen werden in patriarchalen Körpernormen konkretisiert. Die Exousia schränkt also die Möglichkeiten von Verkörperung (embodiment) ein, sofern diese das bestehende System gefährden. Vor allem nicht-cis-männlich gelesene Körper werden objektifiziert und nach patriarchalen Idealen geformt. Gegen eine solche Abwertung des Körpers führt Isherwood die Inkarnation ins Feld, in der Gott das Körperliche als Vehikel der Erlösung auswählte und durch eine Macht (Dynamis) jenseits der Exousia wirksam wird.
Isherwoods Verständnis der Macht als Dynamis hat eine ethische Ausrichtung hin zu mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Es ist kein anderes dominierendes Machtverständnis, das einfach patriarchale Macht ersetzen soll. Im Kontext der Möglichkeit zur Verkörperung bedeutet Dynamis vielmehr, dass durch den Körper eine Macht zur Veränderung in der Welt verkörpert werden kann. Ziel ist es, die patriarchale Objektifizierung zu überwinden, der weiblich gelesenen Personen und deren Körper besonders ausgesetzt sind.
Der Körper in all seiner Vielfalt und Veränderbarkeit wird zum Vehikel der Dynamis und erfährt so eine Würdigung, die einen Ausbruch des Objekts patriarchaler Macht hin zum Subjekt mit erlösender Veränderung bekräftigen soll.2
Inkarnationstheologische Voraussetzungen der Dynamis
Die Inkarnation ist für Isherwood nicht bloß ein dogmatisches Thema. Sie legt den Fokus auf die anthropologischen, ethischen und letztlich auch politischen Konsequenzen der „Fleischwerdung“ Gottes. Gott nimmt also einen konkreten menschlichen Körper an und will durch ihn erlösend wirken. Gott will nicht durch einen Akt dominierender Macht, nicht durch Exousia, die Welt erlösen. Hier triumphiert kein (heiliger) Geist über das sündige Fleisch. Vielmehr ist gerade das Fleisch auserkoren, die erlösende Veränderung zu bewirken. Denn der Körper zeichnet sich durch Veränderlichkeit aus, und zwar aufgrund der Bedingtheit des Lebens. Verletzlichkeit und die gegenseitige Angewiesenheit der Menschen (Interdependenz) – kurzum die Relationalität allen Lebens wird – durch die Inkarnation gewürdigt. Der Mensch wird dadurch zum Mit-Wirken an Erlösung befähigt und ermutigt. So zeigt sich Gottes erlösende Macht als eine Macht in und durch Beziehung.3
Diese Würdigung der Relationalität kritisiert die patriarchal verstandene individualistische Autonomie, die von einer hierarchischen Subjekt-Objekt-Trennung ausgeht und den anderen Menschen zum Objekt meiner Begierden macht. Stattdessen geht es um eine relationale Autonomie sowie eine Neudeutung der Begierde als Ausdruck der Dynamis und der damit verbundenen befreiungstheologischen Ausrichtung auf Gerechtigkeit.
Solche relational gefassten Begierden weisen über das Selbst hinaus nach außen und werden nicht instrumental verkürzt. Begierden werden so zu aus dem Selbst motivierten Impulsen zur Veränderung, ein Auf-Begehren gegen patriarchale Unterdrückungsstrukturen. Es geht also um eine „empowered incarnational rebellion“,4 die den Subjekt-Status von den im Patriarchat zu Objekten degradierten Personen aufdecken und stärken soll. Denn die Bekämpfung der (körperlichen) Autonomie von Frauen* und die Verteufelung von Begehren entbehrt jeglicher theologischen Legitimation – ist, so Isherwood, blasphemisch.5
Fat Jesus als verkörpertes Bild der Dynamis
Für Isherwood ist mit Bezug auf patriarchale Körpernormen die Vorstellung eines „Fat Jesus“ Sinnbild für die Dynamis. Er verkörpert auf der individuellen Ebene die legitime Vielfalt von Verkörperungen, durch welche die Dynamis wirkt, und beinhaltet zugleich eine politische Dimension. Denn ein wohlgenährter Jesus steht für die Forderung nach einer gerechten globalen Verteilung von Nahrungsmitteln, die nicht bloß ein Überleben, sondern ein Leben in Fülle ermöglichen können. Wird die neutestamentliche Speisung der 5000 mit dem letzten Abendmahl verbunden, wird klar, dass beide Mahlgemeinschaften das Leben feiern, das durch den Überfluss an Nahrung erst möglich wird.6
Hinzu kommt, dass ein solches Leben in Fülle gegenwärtig im globalen Norden bereits Realität ist und – hierin liegt die politische Dimension – sogar global möglich wäre.7 In einer solchen ungerechten Situation steht der dicke Jesus für den Überfluss, der allen Menschen eigentlich möglich ist. Er wirft die Frage auf, warum trotzdem eine solche globale Ungleichverteilung von Lebensmitteln besteht.
Diese Widersprüchlichkeit drückt sich durch die Darstellung eines Jesus in Fülle aus, die den traditionellen Jesus-Darstellungen, in denen er Entbehrung und Opfer verkörpert, entgegensteht. Als Indecent Christ8 wendet er sich gegen die Grenzen patriarchaler Kontrollsysteme, gegen patriarchale Einengung und Unterdrückung und plädiert für eine Öffnung zum göttlichen Prozess der Erlösung.
Hashtag der Woche: #fatjesus
Beitragsbild: Sierra Koder
1 Lisa Isherwood, The fat Jesus. Feminist explorations in boundaries and transgressions, London 2007.
2 Vgl. Isherwood, The fat Jesus, 101.
3 Vgl. Ebd., 117.
4 Ebd., 121.
5 Vgl. Ebd., 117.
6 Vgl. Ebd., 143.
7 Vgl. Ebd., 40.
8 Vgl. Marcella Althaus-Reid, Indecent theology. Theological perversions in sex, gender and politics, London – New York 2000, 117.