DSGVO ist gleich langweilige Bürokratie? Diese Gleichung geht für Alexandra Palkowitsch nicht auf. Was der Schutz von Daten mit der Verteidigung der Demokratie zu tun hat, erfahrt ihr hier.

„Desinformation auf Tiktok, Telegram und X. Welche Rolle spielen ‚Fake News‘ im Wahlkampf?“1. „So beeinflussen die Sozialen Medien den Wahlkampf“2. „TikTok-Wahlkampf: Die politischen Ränder gewinnen die Jugend“3. Schlagzeilen wie diese dominieren, wenn es um Digitalisierung im Zusammenhang mit dem vergangenen deutschen Bundestagswahlkampf geht. Für die Bedeutung des Internets zur Meinungsbildung gibt es unter Wahlkämpfenden mittlerweile ein hohes Bewusstsein. Auch in der breiten öffentlichen Debatte sind Fragen rund um die Informationslandschaft im Netz inzwischen angekommen. Dass in allen drei genannten Artikeln die Komplexität der Lage betont wird – genaue Auswirkungen auf Wahlergebnisse sind etwa ähnlich schwer zu bestimmen wie die Trennlinie zwischen Korrelation und Kausalität – ist ein Indiz für die Fortentwicklung des Diskurses in diesem Bereich.

Allerdings: So wichtig die Veränderungen des öffentlichen Raumes für Wahlen sind, es sind keineswegs die einzigen Themen, die uns im Zusammenhang von Demokratie und Digitalisierung interessieren sollten.

Viele Fragen der Digitalpolitik bleiben unter dem Radar der allgemeinen Aufmerksamkeit, sind aber für die Qualität von Demokratien von großer Relevanz. Ein solches Feld steht im Mittelpunkt dieses Beitrags: das (vermeintlich) trockene Thema Datenschutz.4

Wenn es besprochen wird, dann vor allem im Zusammenhang mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) – und hier nicht selten als mühsame Schikane für Menschen, die „ohnehin nichts zu verbergen hätten“. Dass seine Bedeutung aber weit über den Schutz von Privatsphäre und Persönlichkeitsrechten hinaus geht, ist eine These, die u. a. von Shoshana Zuboff aufgestellt wird. Bei ihr wird Datenschutz zu einer Grundbedingung des Weiterbestands der Demokratie, zum Goldenen Schwert der Demokratie.

Datenschutz als Goldenes Schwert der Demokratie…

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff wurde mit ihrem Buch „The Age of Surveillance Capitalism“5 weltweit berühmt. Sie vertritt die These, dass die Gegenwart durch eine spezifische Form des Kapitalismus, den sogenannten Überwachungskapitalismus, gekennzeichnet ist. Knapp zusammengefasst geht es darum, dass die Datenflut der Digitalisierung genutzt wird, um menschliches Verhalten zu analysieren, darauf aufbauend zukünftiges Verhalten zu beeinflussen und so Gewinne zu erwirtschaften.

Jede Verwendung von digitaler Technik hinterlässt digitale Spuren, die zu überwachen sich ökonomisch lohnt. Das in Form von digitalen Daten entstehende Abbild von Ereignissen, Objekten oder Abläufen macht diese auf eine neue Art und Weise sicht- und so auch verarbeitbar.

Wer Zugang zu den Daten hat, besitzt eine Informationsquelle – je stärker sie sprudelt, desto größer der Wissensvorsprung, der in wirtschaftlichen Vorteil übersetzt werden kann.

In dem 2022 erschienenen Artikel „Surveillance Capitalism or Democracy? The Death Match of Institutional Orders and the Politics of Knowledge in Our Information Civilization”6 führt Zuboff diese Überlegungen weiter und stellt den Überwachungskapitalismus der Demokratie gegenüber. Sie kommt zur Auffassung, dass der überwachungskapitalistische Siegeszug nur möglich wurde, weil die demokratischen Staaten nicht dazu in der Lage waren, die Digitalisierung von Beginn an demokratiekompatibel mitzugestalten. Stattdessen gelang es kleinen IT-Start-ups durch ihren gekonnten Gebrauch von Daten zu weltumspannenden Großkonzernen zu werden. Ging es dabei bis vor kurzem vor allem um die Konzentration wirtschaftlicher Macht, weitet sich die überwachungskapitalistische Ordnung mittlerweile auf die Gesellschaft insgesamt aus. Die großen Digitalunternehmen werden nach Zuboff zu Konkurrenten der Demokratie um Governance und soziale Macht. Schritt für Schritt steigt der Einfluss der IT-Konzerne, während jener von Demokratien sinkt. Aufbauend auf ihren früheren Erfolgen und den dadurch entstandenen Vorrat an Daten, Wissen, Autorität und Kapital bemühen sich die Digitalunternehmen selbstbewusst um systemische Dominanz: Sie nutzen die Tatsache, dass sie die digitale Infrastruktur vollständig kontrollieren, als wirksames Druckmittel gegenüber demokratischen Regierungen und verhelfen so ihren eigenen Anliegen zum Durchbruch. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben, die eigentlich in der Hand von demokratischen Institutionen liegen sollten.

Zuboff kommt zu dem Schluss, dass sich die institutionellen Ordnungen von Demokratie und Überwachungskapitalismus gegenseitig ausschließen. Dafür greift sie auf ein mythologisches Bild zurück: Mithilfe eines goldenen Schwerts gelang Herakles der entscheidende Schlag im Kampf um Leben und Tod gegen die unbezwingbar scheinende Hydra. Die Pointe von Zuboffs Überlegungen ist, dass der Widerstand der Demokratie (Herakles) nur dann wirksam werden kann, wenn er darauf abzielt, dem Überwachungskapitalismus (Hydra) die Grundlage zu entziehen: Da die Gewinnung von Daten über menschliches Verhalten das laufend stärker werdende Fundament der überwachungskapitalistischen Expansionen ist, liegt hier auch der Schlüssel für jegliche Gegenmaßnahmen.

Dem uneingeschränkten Datenabbau großer IT-Unternehmen muss Einhalt geboten werden. Datenschutz ist das Goldene Schwert der Demokratie.

…geschwungen im Auftrag des Evangeliums

Nein, es gibt keinen biblischen Vers zum Thema Datenschutz – und selbst wenn, wäre es sowohl bibelhermeneutisch als auch theologisch-ethisch problematisch, daraus direkt einen Handlungsauftrag für die Gegenwart abzuleiten. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass der Einsatz für Gerechtigkeit ein dem Evangelium entspringender Grundauftrag christlichen Handelns ist, die rechtsstaatliche Demokratie aus christlich-sozialethischer Perspektive gegenwärtig die einzige politische Ordnung ist, die diesem Gerechtigkeitsanspruch entspricht, und mit Zuboff der Widerstand gegen großflächiges Datensammeln der Schlüssel für den Erhalt der Demokratie ist, dann wird Datenschutz als kritisch-konstruktives Engagement für die Demokratie Teil christlicher Praxis. Vielleicht motiviert das, bei der nächsten Cookie-Anfrage zwei Klicks mehr zu investieren, oder künftig deutlicher Stellung zu beziehen, wenn es um Regulierungsfragen in der digitalen Welt geht.

 

Hashtag der Woche: #Datenschutz


(Beitragsbild: João Marcelo Martins)

[1] Zimmermann, Inka: Desinformation auf Tiktok, Telegram und X. Welche Rolle spielen ‚Fake News‘ im Wahlkampf?, in: Mdr.de, 21. Februar 2025, online abrufbar unter: https://www.mdr.de/wissen/psychologie-sozialwissenschaften/bundestagswahl-wahlkampf-fake-news-100.html (abgerufen am 19.03.2025).

[2] Heine, Isabel: So beeinflussen die Sozialen Medien den Wahlkampf, in: Swr.de, 17. Februar 2025, online abrufbar unter: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/social-media-im-wahlkampf-100.html (abgerufen am 19.03.2025).

[3] Schmalzried, Gregor: TikTok-Wahlkampf: Die politischen Ränder gewinnen die Jugend, in: Br.de, 25. Februar 2025, online abrufbar unter: https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/tiktok-wahlkampf-zur-bundestagswahl-linke-und-afd-punkten-politische-raender-gewinnen-die-jugend,Udj4ei2 (abgerufen am 19.03.2025).

[4] Dieses und weitere solche Felder behandle ich ausführlicher in meiner Dissertation: Palkowitsch, Alexandra: Demokratie digital gestalten. Eine sozialethische Untersuchung mithilfe des Konzeptes der embedded democracy, Wien 2025. Teile der nachfolgenden Abschnitte sind dieser Arbeit entnommen, siehe hierzu insbesondere die Seiten 51. 204-207. 242-243.

[5] Zuboff, Shoshana: The Age of Surveillance Capitalism. The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power, New York 2019.

[6] Zuboff, Shoshana: Surveillance Capitalism or Democracy? The Death Match of Institutional Orders and the Politics of Knowledge in Our Information Civilization, in: Organization Theory 3/2022, DOI: https://doi.org/10.1177/26317877221129290, S. 1-79.

alexandra palkowitsch

Alexandra Palkowitsch hat Katholische Religionspädagogik in Wien studiert. Ein Auslandssemester führte sie an die Universität Göteborg in Schweden. Nach vier Jahren als Praedoc-Assistentin am Fachbereich für Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien ist sie seit November 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Christlichen Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

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