Während wir an Ostern die Auferstehung Christi feiern, rückt die Frage nach dessen Körperlichkeit ins Zentrum theologische Reflexion. Die Fundamentaltheologin Saskia Wendel hat sich mit der „Leib Christi“-Metapher aus gendertheoretischer Perspektive auseinander gesetzt. Aleksandra Brand hat für uns einen Blick in das Buch geworfen.

Saskia Wendels 2023 erschiene Monographie „‚Leib Christi‘-Metapher. Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive“ stellt die theologische Metapher vom „Leib Christi“ ins Zentrum ihrer Studie. Ihr Ziel ist es, das Konzept des Leib Christi neu zu befragen: Wendel nimmt dafür in der Einleitung die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi in den Blick (S. 7-16), bevor sie anschließend der Frage nach den anthropologischen Grundlagen einer verkörperten Existenz (S. 17-72) und der theologischen Deutung und Bedeutung der Metapher nachgeht (S. 73-198). Abschließend skizziert sie den Ausblick auf eine zukünftige „Leib Christi“-Theologie.

Jesus von Nazareth – Fleisch, aber nicht Körper geworden?

Zentrale forschungsgeschichtliche Beobachtungen stehen zu Beginn der Studie: Einerseits beziehe sich die Metapher „Leib Christi“ auf ein Abstraktum – nämlich auf die Idee der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in einer Person –, nicht aber auf den konkreten Körper des Menschen Jesus aus Nazareth. Die philosophisch-theologische Reflexion und Rezeption zeige, dass bei aller Abstraktheit Christus Fleisch, aber nicht Körper werden durfte (S. 81). Auf der anderen Seite sei „Corpus Christi […] kein abstrakter Christusleib, sondern die konkrete verkörperte Existenz des Jesus von Nazareth – wozu eben auch […] eine Vielzahl von Affekten und Gefühlen, so auch Lust und Begehren [gehört]“ (S. 83). Mit Pannenbergs Anthropologie – „als dieser Mensch ist Jesus Gott“ – wird dann das als in den Fokus gestellt, um spezifische menschliche Vermögen auszudeuten.

Hier wird der Versuch einer modernen Christologie angestellt, den Menschen Jesus von Nazareth als „dieser Mensch“ in den Fokus zu stellen (S. 93). Davon ausgehend könnten – so Wendel – performative Akte und die Freiheit Jesu, als Mensch, der sich für eine Leben mit Gott entschieden hat, in neuem Licht erscheinen.

Die Wirkungsgeschichte dieser Metapher ist hierbei ein wichtiger Marker für Wendel: Weil diese Metapher eine solche „Karriere“ gemacht hat, könnten nun Systematiken neu beleuchtet werden, die unter christlicher Optik bestimmte Codierungen von Körper und Geschlecht immer wieder tradiert haben. Diese Betrachtungsweise öffnet den Raum für eine Reflexion der biopolitischen Aspekte theologischer Codierungen von Körpern (S. 85f).

Die Leib-Christi-Metapher – mehr als ihre ekklesiologische Bedeutung

Wendel bricht dabei das fundamental- und dogmatisch-theologische Konzept der Ekklesia (S. 120-138) auf, auf das der Leib-Christi-Begriff innerhalb der Theologie (insgesamt) oft reduziert wird, in dem sie zunächst den „hermeneutischen Horizont“ ihres Zugangs öffnet und die „anthropologischen Bestimmungen [eines] verkörpert sich vollziehenden, bewussten Daseins“ (S. 18) benennt. Dieser Teil, der das menschliche Dasein mit seinem Bewusstsein verbindet (S. 18-32), wird corporeal bestimmt:

„Er ist erlebter wie lebendiger Körper. Keineswegs handelt es sich hier um zwei unterschiedliche ontologische Größen, auch nicht um zwei Dimensionen des Mentalen und Psychischen entsprechende Aspekte. Es handelt sich vielmehr um zwei Perspektiven auf eine Wirklichkeit, diejenige verkörperten bewussten Lebens“ (S. 48).

So dringt Wendel im zweiten Teil über die kosmologischen „Leib Christi“-Christologien von Origenes, Nikolaus Cusanus, Pierre Teilhard de Chardin und Raimon Panikkar (S. 160-175), sowie über die Rezeption des prozesstheologischen Denkens von Sallie McFague, Charles Hartshorne, Grace Jantzen, Marjorie Suchocki (S. 175-184) und den Ansätzen einer „deep incarnation“ von Niels Gregersen und Elizabeth Johnson (S. 184-189) in das Zentrum der Metapher ein: dem Verständnis der Metapher als eine kosmologische, transkorporale (S. 203) Größe, die inklusiv gedacht werden muss. Das Scharnier dafür ist aber die neutestamentlich-theologische Taufvorstellung mit einem Korporativgedanken (S. 118). Die metaphorische Deutung vom „Leib Christi“ ist hier zentral für die Untersuchungen im zweiten Teil der Studie: der kosmologische Übergang wird dann über die Repräsentationslogik aufgebaut:

„Aber Jesus ist nicht der Christus, er ist keine Korporativpersönlichkeit, die einschließt, sondern er repräsentiert diese; er repräsentiert Christus, ist aber nicht mit ihm numerisch identisch“ (S. 175).

Dass dies nicht exegetisch eingeholt wird, mag für Bibelwissenschaftler*innen nicht nur Anlass zum Bedauern sein, sondern ein systematisch-theologisch bestelltes Feld aufzeigen, auf dem weitere Arbeit möglich ist.

Biblische Aspekte der Metapher

Einige Aspekte seien dennoch angefragt: Die „Leib Christi“ Metapher wird zwar mit dem Anspruch der biopolitischen Ausfaltung und politisch-theologischen Relevanz (S. 8f.) ernstgenommen, aber gerade der motivische Hintergrund, den die Metapher im biblischen Kontext bei Paulus liefert, fehlt in der Analyse. Den historisch-kritischen Hintergrund bildet eine militärische Einheit im Sinne eines uniformen Corpsgeistes: Der Apostel Paulus selbst bürstet die Metapher aber gegen den Strich und bestimmt Gemeinschaft neu, wenn er keine Rangordnungen denkt. Eine solche exegetische Bestimmung öffnet die Perspektive für Bereiche von Soteriologie und Ekklesiologie, Individualität und Universalität, die aufschlussreich sein können. Zu befragen wäre meines Erachtens  auch die Ansicht, dass Vater und Sohn keine Wesensbestimmungen, sondern Analogien und Metaphern liefern. Diese seien kulturell und sprachlich geprägt und erzeugt, und somit alles andere als ewig und notwendig auszusagen (S. 155f.). Doch gerade wenn Jesus als Mensch (der glaubt) personal (S. 39) und körperlich gedacht werden kann, so bedeutet dies auch konsequenterweise, dass Jesu Glaube und sein Ausdruck ernst zu nehmen sind: Es wäre an dieser Stelle eine lohnende Perspektive, die nicht das Glaubenszeugnis des erinnerten Jesus nivelliert, sondern zum Reflexionspunkt systematischer Betrachtungen macht.

Saskia Wendel unternimmt einen äußerst gewinnbringenden Versuch der „Kritik und Rekonstruktion“ einer Metapher, die, so zeigt sie sehr eindrücklich, für moderne anthropologische Konzepte relevant sein kann.

Gerade die kosmologisch-universalistischen Betrachtungen sind, so zeigt der zweite große Teil der Studie, für aktuelle philosophische Debatten anschlussfähig (z.B. Deep Incarnation). Auch für die exegetische Betrachtung wird diese kosmologische Perspektive anschlussfähig: Der Begriff Leib Christi kommt in neutestamentlichen Spättexten vor (z.B. Kolosser- und Epheserbrief), die für kosmologische Fragen interessant sind, aber als Textsammlung oft vernachlässigt werden. Sie aber geben Zeugnis von der Vielfalt dessen, was Begriffe evozieren: vielfältige Reflexionen und Reaktionen auf Fragen nach anthropologischen Grundbestimmungen – bis heute.

Hashtag der Woche: #auferstanden


Beitragsbild: illarionov

Wendel, Saskia: Die „Leib Christi“-Metapher. Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive, (Reihe: Religionswissenschaft, Bd. 32) Bielefeld 2023.

dr. aleksandra brand

studierte Kath. Theologie, Germanistik und Erziehungswissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal und an der Ruhr-Universität Bochum. In ihrer Promotion erarbeitete sie eine neutestamentliche Theologie des Geldes, nun beschäftigt sie sich mit paulinischer Schöpfungschristlogie. Seit 2024 arbeitet sie als Oberassistentin an der Professur für Neues Testament an der Universität Luzern, Schweiz.

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