„Was machen Sie eigentlich beruflich?“ „Ich bin in der Krankenhausseelsorge tätig.“ „Oh, das ist aber ein schwerer Beruf…“ Ein typischer Einstiegsdialog. Matthias Mader, Klinikseelsorger im Bistum Augsburg berichtet über Klinikseelsorge.
Nach über 20 Jahren in der Praxis habe ich das oft genug gehört. Wenn ich dann noch sage: „… mit dem Schwerpunkt in der Psychiatrie“, steigert sich die emotionale Reaktion gern noch in ein „Könnte ich nicht machen!“ Was steckt also hinter diesem Beruf, der einerseits Bewunderung weckt, andererseits aber auch zu einer gewissen Distanzierung verleitet? Und der im Erstkontakt vor allem von älteren Patient:innen und ihren Angehörigen immer wieder noch als Todesbote missverstanden wird?
Therapie und Spiritualität
Klinikseelsorger:innen sind es gewohnt, zunächst gegen ein Gemisch von Bewunderung und Abwehr anzuerzählen. Warum soll es ihnen auch anders ergehen als ihren Patient:innen, die vielleicht in ihrem Umfeld offenbaren müssen, dass sie an einer Krebserkrankung leiden. Krebs – dieses Wort scheint die Gefahr der Ansteckung, wie es manche tatsächlich als Gefahr wähnen, schon in sich zu tragen. Im klinischen Alltag ist unsere Berufsgruppe geübt, analog zu den Ärzt:innen und anderen Therapeut:innen wissenschaftlich präziser von Karzinom oder Tumorerkrankung zu sprechen. So steht ja etwa in einer Palliativbesprechung die medizinische Diagnose mit Recht am Anfang des interdisziplinären Austauschs. Der dann jedoch Schritt für Schritt erweisen muss, tatsächlich den ganzen Menschen mit seinem bedrängenden Erleben, mit der existentiellen Wucht und Ohnmachtserfahrung angesichts einer infausten Prognose im Blick zu haben. Alle Beteiligten meistern hier täglich die Gratwanderung zwischen der großen Kunst einer hochprofessionellen Therapie und der ebenso anspruchsvollen psychosozialen und spirituellen Begleitung im persönlichen Loslassen, Aushalten und womöglich auch Bewältigen.
Individuelle Krankheitserfahrung und soziale Prozesse
Vor allem Krebserkrankungen erscheinen heute vielen inflationär. Wenn Angehörige am Bett ihres geliebten Menschen von dieser Wahrnehmung sprechen, spannt sich ein unsichtbarer Horizont auf, den man Schicksalsgemeinschaft nennen könnte. Auch wenn es schwer zu erklären ist, warum jemand, der nie geraucht hat, plötzlich mit einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom konfrontiert ist, entsteht bei manchen das Gefühl, dass es sich hier nicht nur um ein rein individuelles Schicksal nach dem grausamen Zufallsprinzip handeln kann. Sie haben die Vermutung, dass es möglicherweise tiefere Ursachen gibt, die auch gesellschaftliche Zusammenhänge betreffen. Das ist nicht wirklich ein Trost, zeigt aber das menschliche Existenzial, dass wir Erklärungen brauchen, so brüchig und „unvernünftig“ sie manchmal auch scheinen mögen. Menschen wollen in der Regel mit diesen „auf den Grund“ gehenden Fragen nicht allein bleiben. Sie suchen Gesprächspartner:innen, die mit ihnen persönlich und authentisch in Resonanz gehen. Und sie suchen Akteure, die diesen Themen auch im sozialen Miteinander eine Lanze brechen.
Im öffentlichen Diskurs zu Gesundheitsthemen
Seit vielen Jahren wird deshalb immer wieder die selbstkritische Anfrage aufgeworfen, ob Klinikseelsorge ausreichend nach außen tritt und klar kommuniziert, wofür sie steht und welche Leistungen sie erbringen kann. Jährliche Gedenktage wie der Weltkrebstag am 4. Februar oder der Welttag der seelischen Gesundheit am 10. Oktober sind gute Anlässe dafür, im Konzert mit anderen Gesundheitsberufen an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Welttag der Kranken am 11. Februar, wie er innerkatholisch seit 33 Jahren initiiert und mit einer programmatischen Papstbotschaft inspiriert wird, scheint dagegen auch in der Pastoral eher ein Randdasein zu fristen. Mancherorts wie in Eichstätt werden zwar großformatige Fachtagungen organisiert, in der Breite kirchlichen Lebens zumindest Andachten und Themengottesdienste. Wer hier mit viel Einsatz aktiv wird, erlebt aber nicht selten das, was im modernen „Aufmerksamkeitsmanagement“ Legion ist: dass bei ständigem Durchlauf von Kampagnen zu Themen aller Art Ermüdung einsetzt.
Neue Dialogräume
Es sind also wohl nicht in erster Linie die großen Aktionstage, die den zu allen Zeiten so schwierigen Umgang mit Krankheit leichter machen. Dafür ist gesundheitliches Leiden wohl auch zu sehr ein Alltagsphänomen, wie sich (leicht abgewandelt) mit Markus 14,7 sagen lässt: „Die Kranken habt ihr immer bei euch.“ Spannend ist es dagegen, Räume zu schaffen, die dem narrativen Bedürfnis der Menschen gerecht werden: Erzählräume wie den Trialog über seelische Gesundheit, der sich bundesweit etabliert hat und ganz im Sinne sozialphilosophischer Ansätze einen „herrschaftsfreien Diskurs“ über das Erleben psychischer Erkrankung und persönlich als stimmig erfahrene Therapiewege ermöglicht. Dabei ist anzuerkennen, dass solche Gesprächsplattformen im besten Sinne säkulare Räume, also nicht weltanschaulich oder von einer kirchlichen Agenda formatiert sind. Aber eben: das macht es so spannend!
Unterwegs im säkularen Raum
Klinikseelsorger:innen sind ja überhaupt in einem weithin säkularen Raum tätig. Jan Loffeld, der derzeit stark rezipierte und in den Niederlanden lehrende Pastoraltheologe, hat uns in der Bundeskonferenz kath. Krankenhausseelsorge 2023 mit auf seine theologische Entdeckungsreise genommen zu den Sinnsuchen der Gegenwart.1 Seine gut durchreflektierte Wertschätzung gegenüber denen, denen ohne Gott nichts fehlt, lässt uns das Ohr und Herz weit machen für die Art und Weise, wie Menschen heute von ihrer Sehnsucht nach Heil(ung), Glück und Erfüllung sprechen. Das ist seelsorglicher Alltag, ob im Krankenhaus, in der JVA, im Pflegeheim oder Hospiz oder in den Diensten nahe an Feuerwehr, Polizei und in der Notfallseelsorge – aber natürlich auch in ebenso wichtigen Bereichen wie der Betriebs- und Tourismusseelsorge. An all diesen Orten zeigt sich, wie vielseitig und individuell der seelsorgliche Alltag gestaltet sein muss.
Seelsorge mit Stil
Der diesjährige Weltkrebstag trifft mit seinem Slogan „Gemeinsam einzigartig – United by Unique“ sehr präzise den Nerv dieser Zeit, in der Individualität nicht nur gefeiert, sondern auch als Brücke zur gemeinsamen Erfahrung von Krankheit und Heilung verstanden wird. Genau das schafft an so vielen Punkten (neue) Verbindungen, die über alte Milieu- und Lebensformschranken weit hinausgehen. Seelsorge hat sich ständig neu auf die unterschiedlichsten Lebensgeschichten von Menschen einzustellen und ihren eigenen, jesuanisch geprägten „Stil“ (im Sinne von Christoph Theobald) wohlwollend und menschlich überzeugend einzubringen. Mal in Selbstzurücknahme und absichtslosem Dasein, mal in anwaltschaftlicher Klarheit und vielleicht auch prophetischer Schärfe, mal im geschwisterlichen Schulterschluss und in bester Dienstgesinnung für das größere Ganze, wie etwa im Rahmen der klinischen Ethikberatung. Ich selbst jedenfalls könnte mir für mich keinen erfüllenderen Beruf vorstellen…
Hashtag der Woche: #SeelsorgeUndGesundheit
Beitragsbild: @jontyson
1 Loffeld, Jan: Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Das Christentum vor der religiösen Indifferenz. Freiburg: Herder 2024.