Nicht alle weiblich gelesenen Personen erleben Diskriminierung gleich – Rassismus, Klassismus und andere Ungleichheiten überlagern sich. Felicitas Höing stellt sich anlässlich des feministischen Kampftags am 08. März die Frage, warum der Feminismus heute mehr denn je eine intersektionale Perspektive braucht.
Am 08. März war feministischer Kampftag. Eine gute Gelegenheit, sich zu fragen, wie es derzeit um den Feminismus steht. Diese Frage kann und möchte ich so umfassend gar nicht beantworten, sondern vielmehr Schlaglichter auf einige Herausforderungen werfen, vor denen feministische Diskurse und Theologien aktuell stehen.
Der gegenwärtige (akademische) Feminismus ist von den Schlagworten Dekonstruktion und Intersektionalität geprägt. Gerade das Konzept der Intersektionalität wird in feministischen Theologien jedoch noch wenig rezipiert. Ich bin davon überzeugt, dass Intersektionalität heute die zentrale Herausforderung des Feminismus darstellt.
Intersektionalität
Nicht alle Personen, die weiblich gelesen werden, machen die gleichen Diskriminierungserfahrungen. Diese Erkenntnis liegt dem Konzept der Intersektionalität zugrunde, das von Kimberlé Crenshaw eingeführt wurde. Auch unter Frauen gibt es Hierarchien, sie haben unterschiedliche Privilegien und können sich auch gegensitig diskriminieren. Crenshaw hatte insbesondere schwarze Frauen im Blick. Sie erfahren (mindestens) zwei Formen von Diskriminierung – Sexismus und Rassismus. Intersektionalität bedeutet, dass sich diese Diskriminierungsformen nicht einfach addieren. Schwarze Frauen können oft nicht genau unterscheiden, welche Diskriminierung rassistisch war und welche sexistisch. Es entstehen neue Arten von Diskriminierung, die Diskriminierungsformen überschneiden sich, transformieren sich und beeinflussen sich wechselseitig. Sie sind nicht mehr eindeutig voneinander zu trennen – eben intersektional.1
Für den Feminismus bedeutet das: Es gibt nicht die Frau, nicht alle Frauen machen die
gleichen Erfahrungen mit Sexismus. Und natürlich auch: Nicht nur Frauen erleben Sexismus, sondern alle weiblich gelesen Personen, also auch intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans* und a-gender Personen. Der Begriff FINTA* schließt all diese Personen ein.
Damit haben wir den Begriff Frau (ansatzweise) dekonstruiert – Dekonstruktion war ja das zweite zentrale feministische Konzept – und können ihn jetzt intersektional durch verschiedene Kategorien ergänzen, die die spezifischen Diskriminierungsformen von FINTA*s sichtbar machen. Solche Kategorien sind zum Beispiel: Geschlecht, race, Sexualität, Behinderung, Klasse und Religion.2
Die Macht der Kategorien
Das Konzept der Intersektionalität kann also den Blick für die unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen, die Menschen machen, weiten. Dafür wird mit Kategorien gearbeitet. Die Kategorie Mann und Frau wird um weitere ergänzt: cis und trans*, weiß und BiPoC (Black, Indegenous, People of Colour), heterosexuell und queer, ohne und mit Behinderung, säkular und religiös, usw.
Die Kategorie Mann-Frau haben wir in ihrer ausschließlichen Binarität bereits dekonstruiert. Es gibt nicht nur den Mann und die Frau. Hier zeigt sich die erste Schwierigkeit: die Kategorien kommen in ihrer Binarität an Grenzen. Auch Sexualität lässt sich beispielsweise nicht einfach in heterosexuell und queer trennen, sondern bildet vielmehr ein Spektrum. Genau wie die Kategorie Geschlecht kann und sollte jede andere Kategorie dekonstruiert werden, um der Komplexität von Menschen ansatzweise gerecht zu werden.
Und es zeigt sich eine weitere Schwierigkeit. Wenn Diskriminierungserfahrungen von FINTA*s intersektional untersucht werden, dann werden bestimmte zusätzliche Kategorien einbezogen. Das bedeutet: Nur das, was als Kategorie definiert wird, wird untersucht, anerkannt und ernstgenommen.3
Die Kategorie Religion kommt in intersektionalen Untersuchungen wie auch in feministischen Diskursen selten vor. Mehr noch: Religion wird oft als Gegensatz zum Feminismus, teilweise sogar als dessen Feindbild, verstanden. FINTA*s, die sich als religiös verstehen, werden damit in ihrer Religiosität nicht anerkannt, sie werden letztlich nicht ernstgenommen. Das führt dazu, dass sie als religiöse Menschen in feministischen Diskursen nicht mitreden können und es oft auch nicht tun.4
Und jetzt?
Wie kann uns das heute helfen? In den traditionellen kirchlichen Strukturen gibt es noch nicht einmal die Absicht, privilegierte cis-Frauen gleichzubehandeln. Gesellschaftlich leben wir in Zeiten des
Rechtsrucks und -populismus, dem Erstarken traditioneller Rollenbilder und einer Zunahme von Gewalt an Frauen.5 Haben wir damit nicht schon genug Probleme? Braucht es jetzt wirklich Intersektionalität und dann auch noch die Kritik daran?
Ich finde: Ja, auf jeden Fall. Gerade der Blick auf aktuelle Geschehnisse zeigt, warum. Obwohl die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sehr wahrscheinlich auch cis-Frauen negativ betreffen wird, sind zuerst andere betroffen. Trump hat die Rechte von Trans*-Personen massiv eingeschränkt.6 Auch mit Blick auf seine Migrationspolitik zeigt sich, wer besonders stark betroffen ist: migrantische FINTA*s. Und auch, dass in Deutschland eine lesbische Frau als Kanzler:innenkandidatin einer rechtsextremen Partei antritt, zeigt, wer es aktuell besonders schwer hat: Unter anderem BiPoC- und migrantischen FINTA*s sowie Trans*-Personen.
Jetzt habe auch ich Kategorien verwendet, obwohl ich ihre Verwendung gerade erst kritisiert und zu ihrer Dekonstruktion aufgerufen habe. Das ist auch weiter zulässig. Denn wie soll man sonst über Diskriminierungserfahrungen sprechen? Insbesondere über diejenigen, die viele Menschen machen? Gayatri Spivak, eine postkoloniale Theoretikerin, spricht in diesem Zusammenhang vom „strategischen Essentialismus“. Manchmal braucht es die Zuschreibung von bestimmten Kategorien, um Diskriminierung und Unterdrückung sichtbar zu machen.7 Es ist aber eben nur eine strategische Maßnahme für bestimmte Situationen, der kritische, dekonstruierende Blick muss immer erhalten bleiben. Wenn Kategorien verwendet werden, dann immer stets mit dem Verständnis, dass sie dynamisch und fluide sind. Jede Festlegung entspricht letztlich einem Machtinteresse.8
Intersektionalität und die Kritik an Kategorien bedeuten für den 08. März und den Feminismus: Der Feminismus erweitert seine Perspektive. Nur weil ich mich persönlich – oder die Frauen in meinem Umfeld –gleichberechtigt fühle, heißt das noch lange nicht, dass alle FINTA*s gleichberechtigt sind oder dass der Feminismus damit erledigt wäre. Intersektionaler Feminismus bedeutet vor allem, nicht mehr nur für sich selbst und die eigenen Rechte zu kämpfen, sondern solidarisch zu sein – mit all jenen, die weniger privilegiert sind als man selbst. Und genau das braucht es heute mehr denn je.
Hashtag der Woche: #intersektionalerfeminismus
(Beitragsbild: chloe s.)
1 Engelmann, Barbara: ›Schwarzer Feminismus‹ – zur Notwendigkeit und Herausforderung einer intersektionalen Perspektiverweiterung theologischer Anthropologien, in: Ethik und Gesellschaft 1/2024, DOI: https://dx.doi.org/10.18156/eug-1-2024-art-5, S. 3-5.
2 Ebd., S. 6.
3 Ebd.
4 Alessandro, Lia: Katholisch und feministisch zugleich? Wie geht das denn?, in: y-nachten, 02. Oktober 2023, online abrufbar unter: https://y-nachten.de/2023/10/katholisch-und-feministisch-zugleich-wie-geht-das-denn/ (abgerufen am 03.03.2025).
5 Gewalt an Frauen. Bundesministerinnen Faeser und Paus veröffentlichen erstmals Lagebild zu
„Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“, in: Bundesministerium des Innern und für Heimat, 19. November 2024, online abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/11/lagebild-gewalt-gg-frauen.html (abgerufen am 03.03.2025).
6 Trump will Geschlechtsangleichungen bei Minderjährigen erschweren, in: ZEIT online, 29. Januar 2025, online abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-01/donald-trump-trans-menschen-dekret (abgerufen am: 03.03.2025).
7 Silber, Stefan: Postkoloniale Theologien. Eine Einführung, Tübingen 2021, S. 53.
8 Ebd., S. 188.