Ärztin, Patient, Pflegepersonal: Das sind die ersten Personengruppen, die bei dem Wort „Krankenhaus“ in den Sinn kommen. Seelsorger:innen gehören nicht dazu. Anlässlich des Welttags der Kranken, der jährlich am 11. Februar begangen wird, nimmt uns Martina Biberacher mit in ihren Alltag als Krankenhausseelsorgerin.

„Ich war krank, und ihr habt mich besucht …“ (Mt 25,36). Auf dieses Zitat aus dem Matthäusevangelium bezieht sich die Sorge der Christ:innen um und für die Kranken seit den Anfängen der Kirche. In jedem Menschen, vor allem in den Armen und Leidenden Jesus Christus zu begegnen war von Anfang an die Motivation seiner Jünger:innen dafür, kranke Gemeindemitglieder zu besuchen, sie zu pflegen, für sie zu beten, ihnen die Hände aufzulegen und sie mit Öl zu salben (Jak 5, 14 – 15). Heilberufe gab es schon in vorchristlicher Zeit, doch mit dem Aufkommen des Christentums entwickelte sich die Idee der Caritas, der Nächstenliebe, die sich auch auf unheilbar kranke und sterbende Menschen bezog.

Geschichte und Gegenwart

Bis in die Neuzeit lag die Aufgabe der Krankenpflege hierzulande zum Großteil bei den Kirchen und die Sorge um die Seele der Kranken spielte dabei eine wichtige Rolle. Lange Zeit ging es vor allem darum, die Patient:innen auf das Sterben vorzubereiten und ihnen die Sakramente zu spenden. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Krankenhauspastoral zu einem eigenen Arbeitsfeld innerhalb der katholischen und evangelischen Kirche in den USA und Europa. Die Erkenntnis, dass Patient:innen in Krankenhäusern aufgrund der Möglichkeiten moderner Hochleistungsmedizin veränderte seelsorgerliche Bedürfnisse hatten, führte zur Einbindung psychologischer Inhalte in die praktische Theologie. Durch die Clinical Pastoral Education (CPE, im deutschen Sprachraum KSA) wurden und werden Seelsorger:innen darin geschult, ihren Klient:innen einen geschützten Raum anzubieten, in welchem alles zur Sprache kommen kann, was die Seele bewegt. Die Seelsorgenden hören in erster Linie aktiv zu, stellen evtl. weiterführende Fragen, bewerten das Gehörte nicht und bieten je nach Bedarf und Befugnis auch „geistliche Leistungen“ wie Gebete, Segnungen und die Spendung von Sakramenten an.

Die beiden Krankenhäuser, an denen ich als hauptamtliche und einzige Seelsorgerin tätig bin, liegen in zwei benachbarten Kleinstädten, haben jeweils 130 bzw. 126 Betten und bilden seit 2006 ein gemeinsames Unternehmen. Sie bieten der Bevölkerung eine wohnortnahe Versorgung an, d.h. die meisten Patient:innen stammen aus der näheren, oft ländlich geprägten Umgebung. Sie sind mit christlichen Glaubensinhalten ziemlich vertraut und wissen auch mit der Bezeichnung „Klinikseelsorge“ etwas anzufangen.

Was erwartet mich bei einem Krankenbesuch?

Manchmal bin ich „aufsuchende“ Seelsorgerin, d.h., ich betrete ein Patientenzimmer, stelle mich vor und frage, ob ich bleiben darf. Fast sofort spüre ich, ob mein Besuch willkommen ist oder nicht. In letzterem Fall verabschiede ich mich freundlich. Die Patient:innen haben die Freiheit, mich einzulassen oder nicht.

Manchmal werde ich schon erwartet, weil die Patient:innen oder die Angehörigen beim Aufnahmegespräch angegeben haben, dass sie den Besuch der Klinikseelsorge wünschen. Gelegentlich bitten mich Ärzt:innen oder Pflegekräfte darum, jemanden zu besuchen, dessen psychischer Zustand ihnen Sorge bereitet.

Wichtig ist mir in allen Fällen, mich so zu positionieren, dass mein Gegenüber möglichst unbefangen ins Sprechen kommt. Dazu gehört auch ein stilles Stoßgebet vor oder während des Gesprächs.

Einige Begegnungen dauern sehr lange. Nur ungern kürze ich sie ab. Ein langes, bewegtes Leben muss manchmal im Kontext eines geschützten Raumes „aufgerollt“ und angeschaut werden. „Leben in Fülle“ will Jesus uns schenken (Joh 10,10). Im Gegensatz zu den anderen Berufsgruppen im Krankenhaus kann ich meistens so eine „Fülle“ an Gesprächszeit anbieten. Die Patient:innen berichten von verstorbenen Angehörigen (Partner:innen, Eltern, Kinder, Geschwister), von Leidenswegen, ihrem Zuhause, ihrer beruflichen Laufbahn, ihrer familiären und sozialen Situation, ihrer Kindheit und Jugend. Sehr viele detailgenaue Flucht- und Vertreibungsgeschichten aus der (Nach-)Kriegszeit bekomme ich zu hören. Und Brüche, die durch Ehen und Familien gehen, erwachsene Kinder, die den Kontakt abgebrochen haben. Natürlich die gesundheitliche Situation und die Sorge, wie es nach der Entlassung weitergehen kann. Doch es gibt auch leichtere, fröhlichere Begegnungen, getragen von Zuversicht und Geborgenheit. Der Glaube wird thematisiert. Gelegentlich beten wir miteinander.

Einige Begegnungen sind sehr „wortarm“. Wenn mein Gegenüber sich nicht verbal äußern kann, fühle ich mich hilflos. Vor allem, wenn ich merke, dass der:die Patient:in/die Person unbedingt etwas mitteilen will, sich verzweifelt anstrengt mit Gestik und Mimik, die Lippen bewegt – und ich verstehe nichts. Wie erleichternd ist es in solchen Situationen, wenn anwesende Angehörige bei der Verständigung helfen! Und sowohl Patient:innen als auch Angehörige tragen regelmäßig den Wunsch nach einer Krankensalbung an mich heran. Sehr dankbar bin ich dann für die hervorragende Unterstützung aller Priester vor Ort.

Würdevolles Leben und Kranksein

Oft geht mir der Begriff „Würde“ durch den Kopf. In einem Krankenhaus wird die Würde der Menschen sowohl verletzt als auch beschützt. Wenn der Körper nicht (mehr) so „funktioniert“, wie es für ein autonomes Leben nötig ist, können wir in schambesetzte Situationen geraten: Ein Blasenkatheter, eine Windel, ein Sauerstoffschlauch in der Nase, der Toilettenstuhl neben dem Bett, ein künstlicher Darmausgang, Magen- oder PEG-Sonden, ein Port in der Halsvene, Blutflecken auf dem Nachthemd oder dem Bettzeug.

„Scham ist die Hüterin der menschlichen Würde.“1 Gelegentlich drücken einzelne Patient:innen aus, wie schmerzlich sie sich in ihrer Würde als erwachsene Menschen verletzt fühlen.

Beschützt wird die Würde durch die Pflegekräfte und Ärzt:innen, die unweigerlich in die Intimsphäre der Patient:innen eindringen: Sie klopfen an die Tür, bevor sie sie öffnen. Sie informieren die Patient:innen über bevorstehende körpernahe Tätigkeiten und holen ihr Einverständnis dafür ein. Sie sorgen für einen Sichtschutz und begegnen ihrem Gegenüber auf Augenhöhe. Das versuche ich ebenfalls und sehe meinen Gesprächspartner:innen in die Augen. Gelegentlich fesselt mich unser Austausch so sehr, dass ich die Schläuche, Beutel und Drainagen nicht mehr wahrnehme. Ich muss mir bewusst machen, dass auch ich jederzeit zur Patientin werden kann.

Seelsorge am Krankenbett und im Flur

Vor kurzem besuchte ich (auf Bitten der Angehörigen) eine Patientin, die nicht sprechen konnte. Ihr Mund war mit zähem, weißlichem Schleim gefüllt. Sie sah mich an. Auf dem Nachttisch stand eine gefüllte Schnabeltasse. „Möchten Sie einen Schluck Wasser?“, fragte ich. Sie nickte, und gemeinsam schafften wir es – obwohl sie sich dabei verschluckte – ihre Mundhöhle etwas zu säubern. Das war keine besondere Leistung meinerseits und hätte – im Nachhinein betrachtet – auch schlimme Folgen haben können, wenn sie z.B. keine Luft mehr bekommen hätte (Gott sei Dank!!). Ein fester Händedruck wurde mir zum Abschied geschenkt, was mich wirklich glücklich machte. Zwei Tage später starb sie.

Das Angebot der Klinikseelsorge richtet sich grundsätzlich an alle im Krankenhaus – also auch das Personal. Sie dürfen mich gern anrufen, anschreiben oder direkt ansprechen, wenn wir uns auf den Stationen oder irgendwo im Haus begegnen. Über spontane Plaudereien auf dem Flur freue ich mich immer, denn ich sehe ja, dass alle sehr beschäftigt sind. Wenn ich wahrnehme, dass z.B. eine Pflegekraft sehr gestresst ist, belasse ich es bei einem freundlichen Gruß.

Meine Aufgabe kostet mich Kraft und ich muss auf regelmäßige Pausen achten. Aber ich werde auch reich beschenkt und gesegnet. Dankbar bin ich für meinen Glauben: Ich muss das hier nicht allein schaffen. Eigentlich stelle ich mich nur zur Verfügung. Das entlastet. „ER wird’s schon wissen.“ – das sagen meine Weggefährt:innen, die Patient:innen, regelmäßig zu mir.

Hashtag der Woche: #Krankenhausseelsorge


(Beitragsbild: @StockSnap auf pixabay)

1 Vgl. Wurmser, Léon, Die Maske der Scham: Die Psychoanalyse von Schameffekten und Schamkonflikten, 2007.

martina biberacher

studierte Katholische Theologie in Augsburg und Würzburg und ist seit 2003 Pastoralreferentin in der Diözese Augsburg. 2016 absolvierte sie die Klinikseelsorgeausbildung in München. Seit September 2024 arbeitet sie als Klinikseelsorgerin in den Wertachkliniken Bobingen und Schwabmünchen.

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