Viele Theologiestudierende werden später Lehrkräfte an Schulen. Dabei begegnet ihnen „das“ Lehramt in zweierlei Form – schulisch wie kirchlich. Im Rahmen ihrer Rede für die Graduierungsfeier der Theologischen Fakultät in Freiburg nimmt uns Sophia Aich bei der Frage mit, was beide Lehrämter voneinander lernen dürfen.

Das erste Gespräch, das ich in vielen Anglistik-Seminaren geführt habe, ging immer wieder der Frage nach, in welchem Verhältnis ich mich denn zur Katholischen Kirche – sprich zu ihren vielen Skandalen und seltsamen Positionen – sehe und überhaupt, wie man denn eigentlich als moderne Frau noch so etwas wie katholische Theologie studieren könne. Hinter diesem Gespräch verbarg sich der Versuch, abzuschätzen, wo ich dazugehöre: zu den modernen und progressiven Anglist*innen oder zu den vermeintlich rückständigen und rückwärtsgewandten Theolog*innen Deutlich wurde jedenfalls, dass meine Kommiliton*innen eine gewisse Unvereinbarkeit meiner beiden Studienfächer annahmen. Nicht, dass es in der Theologie wesentlich besser gewesen wäre. Schließlich hatte man ja „nur halb“ Theologie studiert und konnte dementsprechend zwangsläufig von mindestens der Hälfte aller Dinge keine Ahnung haben.

Dabei würde ich argumentieren, dass Lehramtsstudierende eigentlich als Bereicherung aufgefasst werden sollten. Schließlich tragen sie Expertise aus den verschiedensten Fachbereichen zusammen und können so den wissenschaftlichen Blick der ganzen Fakultät weiten.

Während ich in den Augen der meisten Lehramt studiert habe, ist damit in kirchlichen Kreisen etwas ganz anderes gemeint. Lehramt ist hier jene Autorität, „welcher die Bewahrung, Weitergabe und Auslegung des Glaubens in letzter Verbindlichkeit aufgetragen ist“1. Diese Autorität wohnt dem Papst, dem Bischof sowie der kollegialen Gesamtheit der Bischöfe inne – allerdings sicherlich nicht einer Person mit einem Master of Education. Das kirchliche Lehramt stellt sicher, dass die Inhalte des Glaubens vor falschen Interpretationen geschützt werden, und erhält seine Autorität durch die kontinuierliche Tradierung ausgehend von Jesus Christus. Die Träger*innen des schulischen Lehramts versuchen Jugendliche auf das „echte Leben“ vorzubereiten und tun dies mit der Autorität der ihnen verliehenen Ernennungsurkunde.

Nachdem nun aber Lehren und Lernen untrennbar miteinander verbunden sind, wie ich gerade jetzt in meiner Zeit als Referendarin regelmäßig erfahren darf, möchte ich mich an dieser Stelle der Frage widmen, was denn nun diese beiden mir nahestehenden Lehrämter, das kirchliche und das schulische, voneinander lernen können.

Frontalunterricht vs. Gespräch

Angehende Lehrkräfte bekommen oft die Rückmeldung, im Unterricht zu viel zu reden. Tatsächlich sprechen Lehrkräfte (nicht nur Referendar*innen) in der Regel doppelt so viel wie die Schüler*innen.2
So manch ein*e Hochzuschuldozent*in wird sich hierbei nicht viel denken, schließlich erfreut sich an der Uni (und in der Lehrerbildung …) der reine Vortragsstil noch großer Beliebtheit. Den Redeanteil der Lernenden zu erhöhen, hat allerdings viele wichtige Funktionen. Vordergründig ist dabei diese: Schüler*innen erhalten die Möglichkeit, sich ihr Wissen selbst zu erarbeiten und zu konstruieren. Auf diese Weise werden Inhalte nicht nur angelernt, sondern auch verstanden und selbst durchdrungen. Lernpsychologisch wird hierdurch dem Paradigma der Subjektorientierung entsprochen, wobei die Schüler*innen noch eine weitere wichtige Erfahrung machen: Sie werden als Gesprächspartner*innen ernst- und wahrgenommen.

Dieses „Zu Wort kommen lassen“, „Diskussionen zulassen“, „Zuhören“ und „Ernst nehmen“ könnte sicherlich dem kirchlichen Lehramt in seiner Aufgabe, dem rechten Verständnis des Wort Gottes und dessen Verkündigung zu dienen, einige Anregungen liefern. Schließlich wollen wir doch nicht die Kirche derer sein, die das Gotteslob auswendig gelernt haben, sondern eine Kirche, deren Mitglieder durch ihr Handeln in der Welt Zeugnis über ihren christlichen Glauben ablegen… oder?

Ein weiterer Punkt, der Anregungen für das kirchliche Lehramt bereithalten könnte, ist die Art und Weise, wie Menschen in ihren Veränderungen, ihrer Entwicklung und auch in ihrem Scheitern in der Schule begleitet werden.

Das verbindliche und letztgültige Vortragen von Gewissheiten kann sicherlich in einigen Situationen für manche Menschen einen entlastenden Effekt haben. Allerdings ist das echte Leben in der Regel zu komplex für einfache Antworten und vor allem viel zu komplex für ein simples „Ja“ oder „Nein“. Eine moralisch-ethische rote Linie zu ziehen, ist in der Theorie einfach und gut begründbar, allerdings in der Praxis kaum durchzuhalten. Entscheidungen im Einzelfall, wie sie im Schulgesetz an vielen Stellen vorgesehen sind, sind daher keine Schwachstelle im System, sondern eine Stärke. So ist es beispielsweise im Schulrecht nicht vorgesehen und auch nicht erlaubt, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten einer*s Schüler*in und einer Ordnungs-/Erziehungsmaßnahme (landläufig auch als „Strafe“ bekannt) festzulegen.3 Vielleicht könnte man auch in diesem Vorgehen eine Anregung für die kirchliche Rechtsordnung finden.

Was die Schule von der Kirche lernen kann

Zugegebenermaßen, es ist mir schwergefallen, Anregungen für das schulische Lehramt im kirchlichen Lehramtsverständnis zu finden. Das mag an meiner fehlenden Weihefähigkeit liegen… wer weiß.

Daher möchte ich es mit Folgendem versuchen: Wer Aussagen von sich gibt, die mit solch einer historischen, weltweiten und nachhaltigen Wirkkraft verbunden sind, wie die des kirchlichen Lehramtes es sind, der sollte dies mit der entsprechenden Umsicht und Sorgfalt tun.

Als Lehrer*innen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir zwar viel reden und uns auch mehrheitlich nicht besonders aufmerksam zugehört wird, unsere Aussagen aber allein schon durch das hierarchische Verhältnis, das zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen besteht, prägend sind. Viel zu viele Menschen haben den Satz: „Du wirst den Abschluss an dieser Schule sowieso nicht schaffen“ in dieser oder ähnlicher Form von einer Lehrkraft gehört. Ein solches Urteil ist anmaßend und in der Regel entspricht es auch nicht der Wahrheit.

Als „Zeugen(*innen) des Glaubens in der Schule“4 sollten wir den darin enthaltenen Auftrag nicht nur im Sonntagsgottesdienst ernst nehmen, sondern vor allem im Umgang mit unseren Mitmenschen und besonders mit denen, die uns in unserer pädagogischen Verantwortung5 anvertraut sind. Während uns vielleicht nicht die ganze Welt zuhört, so können unsere Worte trotzdem in der Lebenswelt unserer Schüler*innen weltbewegend erscheinen. Sorgen wir also dafür, dass wir nicht zum welterschütternden Ereignis werden.

Keine Angst vorm Lernen

Es gibt noch viele pädagogische und theologische Schlagworte, die an dieser Stelle angeführt werden könnten. Abschließen möchte ich mit diesem: Lebenslanges Lernen.

Dahinter steckt, dass wir in der Schule nicht nur informationelle Druckbetankung via Nürnberger Trichter betreiben wollen, sondern Schüler*innen dazu befähigen, sich ein Leben lang selbstständig neue Inhalte aneignen zu können und dies auch tun zu wollen. Lebenslanges Lernen ist nicht nur ein „Muss“, es ist auch ein „Darf“. Es wird durch die Entwicklungen und Veränderungen der Welt erfordert und erlaubt uns gleichzeitig, unseren Horizont und unser Denken ständig zu erweitern. Die Chance darin zu erkennen, bleibt für beide Lehrämter hoffentlich nicht nur ein frommer Wunsch.

Hashtag der Woche: #daslehramtlernt


1 Mortanges, E. d., Germann, M., Köhler, W., Herms, E., & Neuner, P. (2018). Lehramt, kirchliches. In Religion in Geschichte und Gegenwart Online. Brill. https://doi.org/10.1163/2405-8262_rgg4_COM_22548.

2 https://www.sueddeutsche.de/karriere/interview-lehrer-sollten-oefter-den-mund-halten-1.552166.

3 Schulgesetz BW §90.

4 DBK: Kirchliche Anforderungen an die Religionslehrerbildung, S.9, https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/deutsche-bischoefe/DB_093.pdf.

5 Es gibt keine pädagogische Freiheit, nur pädagogische Verantwortung (Schulgesetzt BW §38).

Photocredits: Kelly Sikkema auf Unsplash

sophia aich

studierte katholische Theologie und Englisch an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Derzeit lebt sie in Ravensburg und absolviert dort ihr Referendariat für den Schuldienst am Gymnasium.

One Reply to “Voneinander Lernen Dürfen”

  1. Danke für diesen reflektierten Text, von dem ich mich auch als „alte“ Religionslehrkraft sehr angesprochen fühle. Danke auch an y-nachten, für die Möglichkeit , so vielfältige Stimmen aus Theologie und Kirche hörbar zu machen.

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