Missionssammlungen sind deutschlandweit materielles und ideologisches Kolonialerbe der Kirchen.1 Franziska Moosmann teilt Eindrücke ihrer Ausstellungsanalyse eines Missionsmuseums und lädt die Leser*innen auf einen Rundgang durch ausgewählte Räume ein. Dabei fragt sie, wie sich postkoloniale Theologie und Erinnerungskultur von den Objekten herausfordern und transformieren lassen müssen.

Raum 1 – Ein Tiermuseum?

Ich betrete für meine Ausstellungsanalyse das Missionsmuseum. Angelegt an den in der Filmtheorie verwendeten Begriff des establishing shot, kann auch bei Ausstellungsanalysen die erste „Szene“, also der erste Raum, als bedeutungsgenerierend für das gesamte Museum verstanden werden. Der establishing shot soll in die Erzählwelt, die Atmosphäre, den Ort und die Zeit eines Filmes einführen.2 Ich stehe nun im ersten Raum, die museale Erzählwelt eröffnet sich mir. Vor mir liegt ein schlauchartiger Raum, die weiß-braunen Farben lassen ihn kühl wirken. Links von mir sehe ich die „Darsteller*innen“ der ersten Szene des Museums: ausgestopfte Tiere. Aus der mit Sand ausgelegten Vitrine starren mich Hyänen, Leoparden, Kampfadler und Bussarde an. Die Kühle des Raumes wird durch die Leblosigkeit der Tiere in ihrem seltsam entstellten Szenario verstärkt. Ich trete näher und lese die Beschreibung, die darauf hinweist, dass Missionsmuseen dafür angelegt wurden, in der Heimat „Land und Leute“ des Einsatzgebietes zu präsentieren und die Missionare3 dafür Tiere „erlegten“, um einen Eindruck der Natur- und Tierwelt zu vermitteln. Noch irritierender liest sich die Beschreibung, die den Besucher*innen die Szene der Vitrine in lebendigem Erzählstil nahelegt. Ich erfahre, dass der Leopard „eben“ noch Beute getötet hat und die Raubvögel „im Moment“ anfliegen. Die Erzählung – so mein Eindruck – soll der künstlichen und kühlen Szenerie Leben und Spannung einhauchen.

Ich notiere meine Wahrnehmung des Raumes, um mich herum Kinder, die – wie ich später erfahre – für ihren Erstkommunionsausflug ins Museum gekommen sind. „Ich wusste gar nicht, dass wir in ein Tiermuseum gehen“, höre ich ein Kind zur Begleitperson sagen. Diese Überraschung teile ich, denke ich. In welche Erzählwelt, welches Genre will dieser erste Ausstellungsraum einführen, wenn nicht in etablierte, exotisierende Stereotypen „fremder“ Tier- und Lebenswelten?

Raum 2 – Waffen und verdrängter antikolonialer Widerstand

Ein Teil der „Afrika-Sammlung“ des Missionsmuseums ist der sogenannte „Waffenraum“. Das Signalrot der Wände schlägt mir entgegen, genauso wie die unzähligen – als Waffen bezeichneten – Objekte im Raum. An den Wänden reihen sich Speere, Pfeile, Stäbe, Keulen und Schilder. Mein Blick wird aber besonders auf das Zentrum des Raumes gelenkt. Auf einem roten Sockel ist eine dreidimensional wirkende, schwarz-weiße Grafik eines Schwarzen Mannes angebracht, der Speer und Schild dynamisch zu benutzen scheint. Jegliche Einordnung dieser Installation fehlt. Es bleibt daher offen, ob sich die Person verteidigt, ob sie angreift oder ob es sich bei den „Waffen“ um Repräsentationsobjekte handelt, die einen bestimmten Status markieren. Völlig klar jedoch ist, dass diese „kriegerische“ und „gewaltvolle“ Darstellung einer Schwarzen Person eine rassistische Stereotypisierung darstellt.

Erst nach meinem Besuch lese ich auf der Homepage des Museums, dass der Raum dort als „Waffen- und Gedenkraum“ bezeichnet wird. Im Text ist vom einem „Speerhagel“ die Rede, der an der Decke des Raumes angebracht ist und an den Maji-Maji-Aufstand4 gegen die deutsche Kolonialregierung erinnern soll. Weder habe ich die Installation während meines Besuches wahrgenommen noch wurde sie im Museumsführer erläutert. Dekoloniale Perspektiven und der antikoloniale Widerstand werden, so meine Wahrnehmung, sowohl räumlich als auch textuell aus der Wahrnehmung verdrängt. Postkolonialität wird dort positioniert, wo sie nicht gesehen wird und keinen strukturellen Einfluss hat.

Raum 3 – Märtyrertum und technischer Fortschritt

Bei kolonialen Darstellungen des „Anderen“, wie das Othering im „Waffenraum“ beispielhaft zeigt, handelt es sich um eine gewisse Inszenierung des „Selbst“ – in diesem Fall des missionarischen Selbst. So stehe ich einige Räume weiter nun im „Märtyrerraum“: Ein Gedenk- und Erinnerungsraum für diejenigen Missionar*innen, die aus gesundheitlichen Gründen verstarben oder – so eine Gedenkplatte – „ihr Leben in blutiger Weise Gott zum Opfer“ brachten. Verstärkt wird der Gedenkcharakter dieses Raumes durch verschiedene Objekte aus dem persönlichen Besitz der Missionar*innen: Kleidung, Gebetsbücher und liturgische Objekte verstärken die Sakralisierung des Erinnerns an die Verstorbenen. Als Besucherin werde ich durch das Betrachten der persönlichen Objekte und der Gedenksteine in dieses Gedenken eingeschlossen. Im Kontrast zum Gedenken an den antikolonialen Widerstand, das ich im „Waffenraum“ nicht wahrnehme, wirft der „Märtyrerraum“ die Frage auf, welchem Gedenken an den Tod welcher Menschen welcher Stellenwert eingeräumt wird.

Ich gehe weiter in einen zweiten Raum der missionarischen Selbstpräsentation. Vor mir ein BMW-Motorrad, ein „Originalstück“ aus der Mission. Dieser Raum, der das „Leben der Missionare“ darstellen soll, ist voll von technischen Objekten, die Anfang des 20. Jahrhunderts als „fortschrittlich“ galten. Neben dem Motorrad sehe ich Filmapparate, eine Schreibmaschine, Ferngläser und ein Mikroskop. Fotografien aus dem missionarischen Alltag werden ergänzt um Missionsfilme. Die ausgewählten Objekte erzeugen eine „technische“ und damit „fortschrittliche“ Perspektive auf den Alltag der Missionare. Diese Selbstinszenierung scheint kein Zufall zu sein: Der koloniale Kontrast zwischen „natürlicher Ursprünglichkeit“ und „technischem Fortschritt“ wird durch die missionarische Ausstellung weiter produziert.

Raum X – Postkoloniales Erinnern, Antirassistisches Kuratieren

Der letzte Raum, den ich betreten möchte, existiert nicht. Es ist ein imaginärer Raum. Hier stelle ich die Frage, was diese Einblicke ins Missionsmuseum bedeuten. Was erzählen die Objekte kolonialen Ursprungs und ihr Inszeniert-werden? Für mich sind sie Zeug*innen von der Notwendigkeit, die Materialität und Gewaltgeschichten des kolonialen kirchlichen Erbes ernst zu nehmen und sich theologisch im postkolonialen Erinnerungsdiskurs von den Objekten herausfordern zu lassen. Die colonial flashbacks5, welche durch die Missionssammlungen hervorgerufen werden, müssen durch antirassistisches Kuratieren und Erinnern verunmöglicht werden.

Hashtag der Woche: #colonialflashback


(Beitragsbild: @danielnebreda)

1 Vgl. dazu Sarr, Felwine, Savoy, Bénédicte, Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Bonn 2020, S. 32-34.

2 Vgl. Jannelli, Angela, Wilde Museen: Zur Museologie des Amateurmuseums, Bielefeld 2012, S. 83-85.

3 Der Begriff „Missionare“ wird im Text zum Teil bewusst nicht gegendert, wenn er sich explizit nur auf männliche Personen bezieht.

4 Das heutige Tansania war von 1885-1918 Teil der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“. Der Maji-Maji-Krieg von 1905-1907 war ein antikolonialer Aufstand, der von den deutschen Kolonialtruppen gewaltsam niedergeschlagen wurden. Vgl dazu Seydel, Henriette, Bis heute traumatisch-Maji-Maji: Verdrängter Genozid oder erinnerter Widerstand, https://www.iz3w.org/artikel/maji-maji-genozid-widerstand-kolonialismus-tansania (Zuletzt aufgerufen 10.01.2025).

5 Vgl. Bayer, Natalie, Kazeem-Kamiński, Belinde, Sternfeld, Nora, Wo ist hier die Contact-Zone?! Eine Konversation, in: Dies., Kuratieren als Antirassistische Praxis (curating. ausstellungstheorie 8 praxis, Bd. 2), Berlin – Boston 2017, S. 23-50.

franziska moosmann

studierte kath. Theologie und Sozial- und Kulturanthropologie in Tübingen und Stellenbosch (Südafrika). Sie beschäftigt sich mit dem kolonialen Erbe missionarischer Objektsammlungen.

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