Am 21. November ist der Welttag des Fernsehens. Für Christoph Naglmeier-Rembeck ein Anlass, um Karl Rahner SJ einige Fragen zu stellen. Ein Gespräch über Fernsehen, Mediennutzung und artifizielle Intelligenz.
y-nachten.de: Herr Rahner, zu Beginn eine persönliche Frage. Sind Sie vertraut mit Fernsehgeräten?
Im Laufe meines irdischen Daseins habe ich die Vorteile dieses Mediums mehr und mehr für mich zu nutzen gewusst. Man kann also durchaus sagen, dass ich damit vertraut geworden bin, wenn gleich ich mich auch mit den Herausforderungen des Medienkonsums auseinandergesetzt habe.
y-nachten.de: Sie halten also das Fernsehgerät für ein geeignetes Medium, auch für Theologie und Kirche?
Nun, dass die Kirche dieses Mittel der Verbindung und der Beeinflussung von Menschen auch in ihren Dienst zu stellen wünscht und dieses Mal allüberall rechtzeitig gegenwärtig zu sein scheint, darf als ein Zeichen ihres „Gehens mit der Zeit“ gelten, das uns nur freuen kann.
y-nachten.de: Das Fernsehen war der Beginn einer neuen Epoche der Mediennutzung. Mittlerweile sind Bildschirme auch durch Computer und Smartphones allgegenwärtig. Wie schätzen Sie diese Entwicklungen ein?
Karl Rahner SJ: Die Nutzung des Fernsehers und anderer Bildschirmgeräte stellt eine Art Gegenwärtigsetzung eines entfernten Gegenstandes oder einer entfernten Haltung dar, die nicht dasselbe ist wie ein volles Gegenwärtigsein. Daraus ergibt sich, dass die Grenzen des „Erlaubten“ bei der Nutzung dieser Medientechniken anders liegen können als bei der vollen Gegenwart.
y-nachten.de: Das sind kritische Töne – gerade auch vor dem Hintergrund, dass sich artifizielle Intelligenz aktuell rasch fortentwickelt. Halten Sie das für gefährlich?
Karl Rahner SJ: Solche Fragen aufwerfen, heißt nicht, den Fortschritt oder die Technik ablehnen. Im Gegenteil: es besagt vielmehr, dass gerade durch die Technik und den technischen Fortschritt der Mensch veranlasst wird, differenzierter und reflexiver sich selbst kennen zu lernen. Was ursprünglich vielleicht einfach „gegeben“ war, wird jetzt durch die Möglichkeit, es anders zu machen, eine Frage. Man lernt sich selber bewusster verstehen und freier (das heißt mehr von innen heraus) das Rechte zu tun. Dass damit auch die Möglichkeiten des Missbrauchs zahlreicher werden – und nicht nur die Möglichkeiten -, ist gewiss wahr. Aber das allein ist kein Grund, dem Fortschritt nicht zuzustimmen, nachdem nun einmal Gott den auch zum Fehlen freien Menschen gewollt hat; es ist höchstens ein Grund, bedachtsamer und mit Einbau der erfoderlichen Sicherungen fortzuschreiten, damit nicht der Missbrauch überhand nehme und den Menschen gleichsam zwangsläufig entmensche.
y-nachten.de: Wenn ich Sie richtig verstehe, plädieren Sie also für einen konstruktiv-kritischen Zwischenweg, der weder in einem rückwärtsgewandten Skepitizismus noch in einem unreflektierten Fortschrittsglauben aufgeht.
Karl Rahner SJ: Durchaus. Schließlich vergesse man doch nicht Folgendes: Das Bestreben, möglichst modern zu sein, kann sich sehr bald als höchst unmodern entpuppen.
y-nachten.de: Sie haben 1953 in einem Artikel eine visionäre Perspektive auf die Nutzung von Fernsehgeräten und allen anderen Medien, die seitdem entwickelt wurden, formuliert. Sie schreiben:
„Wird einmal der Fernsehapparat zu dem normalen Mobiliar des Durchschnittsmenschen gehören und wird er dann gewohnt sein, allem und jedem zuzusehen, was eine wahllos neugierige Kamera zwischen Himmel und Erde erspäht, dann wird es für den Spießbürger des 21. Jahrhunderts eine unerhört aufregende Sache sein, dass es noch Dinge gibt, die man nicht im Lehnstuhl sitzend und eine Semmel kauend anschauen kann.“
Wenn Sie das jetzt hören: Stimmen Sie diesen Aussagen, angesichts des heutigen Standes der Technik und der Erwartungen für die Zukunft, noch zu?
Karl Rahner SJ: Zumindest dahingehend, dass ich der Überzeugung bin, dass es für die Menschen der kommenden Jahrhunderte ein unsagbarer Segen sein wird, wenn es noch einen Ort, eben die Kirche, geben wird, wo er noch sein natürliches humanes Maß bewahren kann, wo er selber mit seinem Leibe sich nicht vorkommen muss als archaisches, noch nicht ersetztes Residuum in einer Welt von Apparaten, mit denen er sich selbst umgibt und beinahe zu ersetzen sucht, wo er noch eine Stätte hat, die ihn immer wieder heilt von der eigenen Maßlosigkeit im Technischen, das zwar seine Aufgabe und sein Schicksal ist, aber nur in dem Maße ihm nicht zum Verderben wird, als es ihm gelingt, in seinem Dasein auch den alten Raum des bloß Humanen, des Kleinen, des unmittelbar Leibhaftigen zu bewahren. Es gibt viele Dinge, in denen die Kirche moderner sein könnte als sie ist. Aber es beginnt schon die Zeit, in der der Mut zum Human-Alten das Modernste sein wird.
y-nachten.de: Herr Rahner, vielen Dank für das Gespräch!
Hashtag der Woche: #Karltext
Das Interview steht in der Tradition der bisher in der Rubik #Karltext erschienenen Artikel, in denen @karlrahner_sj die Antworten aus den Schriften Karl Rahners kreativ neu angeordnet und z.T. redaktionell bearbeitet hat. Diese Tradition führt Christoph Naglmeier-Rembeck mit diesem Text fort, ohne den Anspruch zu erheben, ähnlich textsicher hinsichtlich des Rahner’schen Œuvres zu sein. Die Antworten des vorliegenden Interviews entspringen folgendem Artikel:
Rahner, Karl, Die Diskussion um das Fernsehen der hl. Messe, in: Orientierung. Katholische Blätter für weltanschauliche Information (Apologetische Blätter) 17, Zürich 1953, 177-183.
Beitragsbild: @Ajeet Mestry