Im September wurde so viel getagt, dass sogar noch der y-nachten-Oktober davon berichtet. Oder besser gesagt Theresa Focke. Sie war Mitte September auf einer Tagung in Berlin, die anlässlich des 250 jährigen Birthdaygirls Pastoraltheologie nach dem theologischen Leitmotiv des „Dazwischen“ gefragt hat. Wen oder was es im Dazwischen so zu finden gab, und was das mit Pastoraltheologie zu tun hat, erzählt Theresa im heutigen Artikel.

Die Frage nach den Anfängen der Pastoraltheologie führt nach Wien zurück ins Jahr 1774. Kaiserin Maria Theresia von Österreich begründete im Rahmen einer Studienreform die Pastoraltheologie als Universitätsdisziplin. Von da aus entwickelte sie sich in vielfältiger Weise: Damals ursprünglich zur Sicherstellung der Klerikerausbildung etabliert1, bildet die Pastoraltheologie heute ein sowohl hinsichtlich ihrer Untersuchungsgegenstände als auch hinsichtlich ihrer Methoden vielseitiges Fach. In ihrer 250jährigen Fachgeschichte sowie heute bewegt(e) sich diese Disziplin in mehreren Zwischenräumen – eine Idee, die zum „theologische[n] Leitmotiv des Kongresses“2 der Arbeitsgemeinschaft Pastoraltheologie erhoben wurde. Anstatt chronologisch vorzugehen, möchte ich im Folgenden vielmehr einige Schlaglichter auf die auf dem Kongress erfolgte Bearbeitung dieses Dazwischens und ihre Bedeutung für die Pastoraltheologie werfen.

Expert*innen des Dazwischens – menschliche Erfahrungen als Ausgangsort

„Menschliches Leben spielt sich nicht an eindeutigen, stabilen Orten ab, sondern in Zwischenräumen. […] Leben in Zwischenräumen verläuft nicht einfach neutral, ruhig und selbstverständlich. Es ist von durchaus ambivalenten Grunderfahrungen geprägt.“ (aus dem Konzeptpapier des Kongresses, vorgestellt von Christian Kern)

Der großen Bedeutung menschlicher Erfahrungen in der Pastoraltheologie entsprechend brachte der Kongress gesellschaftliche und kirchliche Erfahrungen des Dazwischens zum Ausdruck. In einem Podiumsgespräch traten Dirk Weinspacher, Mara Klein und Christiane Florin in den Austausch: Persönliche Abwägungsprozesse und Machtaspekte, die politisch-öffentlichen und insbesondere auch kirchlich geführten Diskursen inhärent sind, wurden u.a. beleuchtet. Die Beteiligten verorteten sich hierbei in unterschiedlicher Weise inner- aber auch außerhalb eines Dazwischens – hinsichtlich Reformbestrebungen und Kirchenaustritt, binärer gesellschaftlicher Geschlechterrollen und selbstverständlicher Geschlechterdiversität, persönlicher Überzeugungen und politischer Anordnungen. Inwiefern dem Dazwischen im Spannungsfeld von Konflikt und Kreativität auch eine Kraft zukommen kann, spürten Regina Elsner, Johanna Beck und Manaf Halbouni in einem weiteren Podiumsgespräch nach. Neben eindrücklichen persönlichen Schilderungen des Zermalmtwerdens im Dazwischen zeigte sich hier und in dem vorausgegangenen Podiumsgespräch, dass (einer Verortung in) dem Dazwischen durch sein Störpotential gegenüber festgefahrenen Strukturen und Simplifizierungen auch eine subversive Kraft zukommen kann. Johanna Beck verwies in diesem Zusammenhang gemäß des Slogans „Bildet Banden“ auf neue Allianzen und Ressourcen, die im Dazwischen erwachsen und Veränderungen erwirken können.

Pastoraltheologie in Zwischenräumen

„Pastoraltheologie zwischen Staat, Kirche, Machtverstrickung, Welt, Glauben, Vergangenheitsbezug, Zukunftsoffenheit“

Mehrere Podiumsdiskussionen und Panels gingen dem Dazwischensein der Pastoraltheologie nach. Zu Beginn der Tagung legten in einer Podiumsdiskussion Theolog*innen unterschiedlicher Generationen – Eva Maria Daganato/Ottmar Fuchs/Ute Leimgruber/Norbert Mette/Christoph Naglmeier-Rembeck/Bernhard Spielberg/Clarissa Vilain – dar, was das pastoraltheologische Denken ihrer Generation geprägt hat bzw. prägt. Neben der Vulneranz, die den Systemen Kirche und Universität eingeschrieben ist, wurde deutlich, dass die Pastoraltheologie als Fach Veränderung in sich trägt und sich immer wieder – gegenüber kirchlichen Ansprüchen, Traditionen und Normativen des Sag- und Denkbaren – neu zu entgrenzen hat, um eine starke kritische Stimme im Einsatz für Gerechtigkeit zu bilden.

Im interdisziplinären Austausch ergründeten Miriam Zimmer und Matthias Sellmann „Systemirritationen zwischen Religionssoziologie und Pastoraltheologie“. Hierbei legten sie u.a. den Finger in die Wunde noch unzureichender internationaler Ausrichtung der Pastoraltheologie und diskutierten Aspekte von Normativität, Nähe zum Forschungsgegenstand und dem Umgang mit Begrifflichkeiten im Dialog der beiden Disziplinen. Judith Gruber und Michael Schüssler diskutierten in einer intradisziplinären Podiumsdiskussion über die Gewaltgeschichte(n), – gerade im Hinblick auf postkoloniale Diskurse – in welche die Theologie weiterhin verwickelt ist, und plädierten dafür, theologisch sensibel zu bleiben für die Ambivalenzen und Machtverstrickungen der christlichen Botschaft. Dass hinsichtlich des interkonfessionellen und interreligiösen Dialogs und der nachhaltigen Kooperationen noch Ausbaupotential besteht, hoben Ursula Roth, Johann Pock und Annet Abdel-Rahman in zwei Podiumsdiskussionen hervor. Das gemeinsame Verfolgen übereinstimmender Anliegen und Ansätze für eine engere Zusammenarbeit wurde exemplarisch an der Arbeitsgemeinschaft für Homiletik und im Kontext religiöser Bildung bzw. der Lehrer*innenbildung konkret vorgestellt.

Verstrickt dazwischen – kritische und kreative Impulse für die (zukünftige) Pastoraltheologie

Was implizieren die Befunde für die Pastoraltheologie und ihre Zukunft? Oder wie Katharina Karl in ihrer Begrüßung formulierte: „Was das Jubiläum zu bedeuten hat, müssen wir uns erschließen.“

Christian Bauer plädierte dafür, die Pastoraltheologie aus ihren klerikalen und kolonialen Verstrickungen – auch durch Aufarbeitung der eigenen Schuldgeschichte – herauszuführen und das kritische und kreative Potential, das im „kontrastiven Mischdiskurs“ der Pastoraltheologie liegt, zu entfalten. In Form einer historischen Rückschau verwies er auf die Bedeutsamkeit, in der Pastoraltheologie mittels theologischer Rekonstruktion im Sinne Foucaults Aufklärung stets als Praxis der stetigen Selbstaufklärung zu begreifen. In ihrer Festrede stellte Nontando Hadebe eindrücklich die Relevanz multipler und multidimensionaler Denkweisen für die Pastoraltheologie heraus, um Theoriebildung zu dekolonialisieren und Gerechtigkeit als pastorales Thema ernst zu nehmen. Ausgehend von der Einsicht, dass alle Wissensbestände in speziellen Kontexten situiert sind, eindimensionale Betrachtungsweisen gewaltförmige Potentiale bergen und demzufolge zu überwinden sind, betonte sie:

„Lets make a billion to our starting point. Lets open up to multiple sources of knowledge. […] Learning continues all the time.“

In den unterschiedlichen Formaten des Kongresses wurde deutlich, dass das Dazwischen einen fluiden und hybriden Raum bildet, der zum einen in gewisser Weise als Hilfskonstruktion dient und auch wieder der Dekonstruktion bedarf, zum anderen auch durch Macht und Deutungshoheit geprägt ist. Im Anschluss an Nontando Hadebe und Christiane Florin sehe ich es als eine zentrale pastoraltheologische Aufgabe, dominante Narrative öffentlich zu durchbrechen und ihnen „andere Erzählungen“ entgegenzusetzen. Ebenfalls haben die Theologie und die Pastoraltheologie im Besonderen diesem Dazwischen methodisch gerecht zu werden und sich angesichts dessen mehreren Übersetzungsaufgaben zu stellen.

In einem abschließenden transdisziplinären und intergenerationellen Podiumsgespräch zu Zukunftsvisionen (in) der Pastoraltheologie gingen Theolog*innen (Rainer Bucher/Julia Hahn/Martina Kreidler-Kos/Teresa Schweighofer/Björn Szymanowski/Paul Zulehner) der Frage nach, wie sich Pastoraltheologie der Zukunft aufzustellen hat. Ergebnisse der Diskussion waren die Aufgabe der Verflüssigung der Pastoraltheologie in die Theologie sowie in die Wissenschaftsszene grundsätzlich und – wie mir besonders bedeutsam erscheint – die Frage nach der Zukunft der Pastoraltheologie mit Überlegungen zur Zukunft der (universitären) Theologie insgesamt in Verbindung zu bringen3. Von den Wünschen an eine Pastoraltheologie für die Zukunft, die von den Tagungsmitnehmer*innen geäußert wurden, möchte ich abschließend einige schlagwortartig aufführen:

Eine kritische, lebendige Vielfalt und keine selbstreferentielle Verschlankung; Mut; Pastoraltheologie als fröhliche Wissenschaft; Innovation; Diversität; flache Hierarchien; Pastoraltheologie als Ressource für die Gesellschaft auf dem Weg zu einem gerechteren, lebenswerteren Leben für alle.

Hashtag der Woche: #dazwischen


Beitragsbild: Foto von Mitya Ivanov

1 250 Jahre Pastoraltheologie – eine Erinnerung an die Zukunft? – feinschwarz.net

2 250 Jahre zwischendrin: Pastoraltheologie feiert Jubiläum – Arbeitsgemeinschaft Pastoraltheologie

3 Siehe hierzu auch: Lebendige Seelsorge 74/4 (2023).

theresa focke

studierte Mathe und katholische Theologie in Münster und Wien. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie und promoviert in Pastoraltheologie zu diskriminierungsarmer und diversitätssensibler Seelsorge.

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