In den letzten Monaten haben liturgische Feiern mit Beteiligung künstlicher Intelligenz Furore gemacht. Jonas Simmerlein beleuchtet Potenziale und Grenzen des Einsatzes von KI in der Liturgie – und gibt ein kleines Tutorial, für alle, die sich selbst daran versuchen wollen.

Du bist Pastorin und liegst seit Wochen krank im Bett, aber es findet sich keine Vertretung? Frag doch die KI! Du sollst eine Andacht in deiner Hausgemeinde halten, aber wurdest nur wegen deines schönen Lächelns, nicht wegen deiner theologischen Fähigkeiten engagiert? Frag doch die KI! Es ist Sonntag, Du suchst nach spirituellem Futter, aber dein Pfarrer ist so mitreißend wie eine Betonsäule? Frag doch die KI!

All das und viele andere Gründe könnte es geben, warum man auf die Idee kommen könnte, das Entwerfen und Halten einer Andacht oder eines Gottesdienstes an eine Künstliche Intelligenz abzutreten. Hierfür wird erstmal niemand gejudged. Ob ich das für gut oder sinnvoll halte, stelle ich vorerst hinten an.

Step-by-Step Guide für deine KI-Andacht

Warum auch immer Du eine KI zum Predigen engagieren willst, hier ist ein schneller Guide:

Schritt 1: Prompt Pattern erstellen

Nimm Dir einen der vielen GPTs von ChatGPT bis PerplexityAI oder ClaudeAI. Damit bauen wir uns die Textgrundlage für die Andacht. Zuerst brauchen wir ein Prompt Pattern. Das ist sowas wie eine Regieanweisung, was unser Sprachbot für eine Rolle einnehmen soll. Das könnte zum Beispiel so aussehen.

Hier ist dein Kontext: Du bist Predigerin in der Gemeinde Beispieldorf (evangelisch-lutherisch) und hältst eine zehnminütige Andacht zum Thema Betonsäulen und schönem Lächeln. Gib deine Antworten in einem alltäglichen, informellen Ton. Warte auf Anweisungen.

Damit ist der Rahmen für den Bot gesteckt.

Schritt 2: Prompt Chain

Jetzt hat unser Schreiberling einen Kontext und weiß, wie er sich verhalten soll. Geben wir ihm also eine Roadmap. Das nennt man Prompt Chaining.

Dazu geben wir ihm einfache Anweisungen wie:

Leg mir eine Gliederung für die Andacht vor.

Und in Windeseile hast Du eine Gliederung, die dann meist aus Einleitung, Bibeltext, Auslegung und Abschlussgebet besteht. Ich vermute mal, dass die meisten Modelle mit Mt 7 um die Ecke kommen und aus der Betonsäule das felsige Fundament machen, auf dem die Gemeinde ruhen soll. Und das schöne Lächeln als Sprungbrett für ein bisschen Küchenpsychologie zu positivem Denken verwenden.

Schritt 3: Prompt Execution

Jetzt holst Du dir einen Tee, und lässt deine KI stupide ihren Arbeitsplan verwirklichen. Copy-Paste einfach aus deiner Gliederung mit dem Zusatz „Formuliere jetzt aus“:

Formuliere jetzt aus:

1. Begrüßung und Einführung

Herzlich willkommen, liebe Gemeinde.

Heute möchte ich mit euch über ein ungewöhnliches Thema sprechen: „Betonsäulen und schönes Lächeln.“

Das jetzt noch mit dem Rest der Texte et voila, fertig ist der Text für die KI-Andacht und das in unter 15 Minuten. Wenn Du wie ich einen ganzen Gottesdienst gestalten lassen möchtest, wird das etwas anspruchsvoller, aber das System ist am Ende das gleiche.

(Schritt 4: Virtuelle Umsetzung)

Wer verhindert seine sollte, diese Andacht selber vorzutragen, kann jetzt Voice Assistants bemühen oder gar Avatare rendern lassen, die das Ganze für die Faulen oder ernsthafter Eingeschränkten übernehmen, dann muss auch gar kein Finger mehr krumm gemacht werden, solange jemand in der Gemeinde einen Beamer aufstellt und die Anlage anknippst. KI-Musik-Tools werden auch immer besser, und sind seit letztem Jahr um Lichtjahre ansprechender geworden. Wer also keine Kirchenmusikerin zur Hand hat, kann auch hierfür die Maschine anschmeißen.

Spirituelles Fastfood oder: Wer braucht eigentlich KI-Andachten?

Man kann das mal machen, und in den meisten Fällen werden die Leute in Scharen kommen, weil sie sowas einmal sehen wollen. Dann ist so etwas ein Experiment oder im besten Falle noch Forschungsmaterial. Angeregt wird diskutiert und zur Reflexion über das Für und Wider menschlicher Liturg:innen und Prediger:innen lässt sich dann trefflich debattieren. KI-Andachten sind für uns Theoretiker:innen hilfreich: Sie zeigen, welche Aspekte unserer Liturgie redundant sind, welche wichtig. Sie weisen uns auf die Oberflächlichkeit und Banalität vieler Predigten hin.

Der KI-Gottesdienst in Fürth und eine Andacht in Wien etwa machten noch einmal Lust, sakrale Räume neu zu erkunden. Wenn der Kirchenraum sich nur noch auf eine Leinwand oder einen Bildschirm beschränkt, fällt erst auf, wie viele leerer Raum in so einer Kirche darauf wartet, bespielt zu werden. Durch Bewegung, Licht, Berührung. All das fehlt der platten Figur dort vorne. Oder die Predigt: In ihren Reaktionen auf den KI-Gottesdienst konstatierten ein paar Besucher:innen: „Ziemlich nah an meinen Kolleg:innen dran,“ oder „ich habe schon schlechtere Predigten gehört“. Für jemanden wie mich, der Prediger:innen ausbildet, ist das ein Schlag in die Magengrube. Wenn ein statistischer Papagei wie ChatGPT, durch stupides Analysieren von Predigten ein Best of theologischer Allgemeinplätze über die Gemeinde gießt und Menschen das Gefühl haben, eine solche nivellierte Gemüsebrühentheologie wäre auch nicht schlechter als das, was unsere kirchlichen Profis fabulieren, ist das ein Armutszeugnis. Was sagt das über die existentielle Bewandtnis kirchlicher Rede aus, wenn es ein statistisches Modell ohne Gefühle, Erfahrungen und Gemeindebezug ähnlich gut (oder schlecht) hinbekommt, uns 20 Minuten in einem sanften Dämmerzustand wohliger Belanglosigkeit zu wiegen?

Dass hier ein paar Theolog:innen irgendwelche Erkenntnisse aus diesen Experimenten herauszupressen versuchen, ist schön und durchaus wichtig; aber braucht das sonst noch wer? Fakt ist, es gab jetzt ein paar dieser Events, aber das Verlangen, KI-Andachten zu verstetigen, bleibt aus. Die Resonanz, die ich bekomme, deutet an, dass eine bessere Technik möglicherweise dazu beitragen könnte, sich dem Ganzen auch emotional zu öffnen, aber bis dato kann ich kein flächendeckendes Bedürfnis danach erkennen. Vorschnelle kulturkritische Pauschalurteile über den Unsinn von KI-Andachten verbieten sich. Dennoch muss ernst genommen werden, dass KI-Andachten im Moment niemanden dauerhaft spirituell zu nähren wissen.

Könnte das aber nicht noch werden? Was, wenn die Sprache noch geschliffener, die Avatare noch lippensynchroner und als Hologramme gar dreidimensional im Raum vor uns erscheinen? Ist dann die KI-Revolution der Kirche da?

Mit der Art von KI, die wir gerade haben, wird das wohl erstmal nichts. Künstliche Intelligenzen sind ökonomische Tools. Sie sind dafür da, Probleme zu bewältigen. Sie sind Datenmaschinen. Eine Andacht ist keine Problemsituation – eine Predigt kein Datentransfer. Die besten Predigten, die ich kenne, funktionieren nicht nach dem Schema: Problembeschreibung – Möglichkeitsanalyse – Lösungsvorschläge. Sie machen Räume auf, dass ich mich mit meinen Gefühlen und Themen einfinden kann. Sie protzen nicht mit Millionen von Datenpunkten, sondern haben bestenfalls ein Gespür für die Zeit und den Raum, in denen sie erklingen. Künstliche Intelligenzen sind Antwortmaschinen und Effizienzoptimierer – gute Andachten sind in meinen Augen Frageräume und Müßiggänge. Nur eine müßige KI gibt es noch nicht und meines Wissens arbeitet daran leider gerade auch keiner.

Hashtag der Woche: #AInzigartig


Beitragsbild: Markus Winkler auf Unsplash

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jonas simmerlein

ist evangelischer Theologe und Philosoph und lehrt an der Universität Wien Praktische Theologie und Religionspsychologie. Er forscht phänomenologisch und arbeitet vor allem zu Robotik und KI in religiösen Praktiken.

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