Das Frausein war in der katholischen Kirche über Jahrhunderte hinweg mit ganz bestimmten Idealen verknüpft. In ihrem Artikel arbeitet Verena Simone Knoll diese entlang einzelner Lebensgeschichten heiliger Frauen heraus.

„Bei den Frauen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sind sie Engel – oder sie leben noch.“ Dieses Zitat stammt von dem französischen Dichter Charles Baudelaire. Es hat die Verfasserin dieses Essays unmittelbar an den Umgang der katholischen Kirche mit den Frauen erinnert. Diese proklamierte über Jahrhunderte ein weibliches Ideal von körperlicher Reinheit, sexueller Enthaltsamkeit und Jungfräulichkeit.

Die britische Sozialanthropologin Dame Mary Douglas schreibt in Natural Symbols über den gesellschaftlichen Umgang mit dem menschlichen Körper:

„The human body is always treated as an image of society and […] there can be no natural way of considering the body that does not involve at the same time a social dimension. […] The relation of head to feet, of brain and sexual organs, of mouth and anus are commonly treated so that they express the relevant patterns of hierarchy. Consequently I now advance the hypothesis that bodily control is an expression of social control […].“1

Douglas stellt hier die Hypothese auf, dass körperliche Kontrolle ein Ausdruck von sozialer Kontrolle sein könnte. Dass eine solche Hypothese nicht substanzlos ist, beschreibt auch Sarah Schäfer-Althaus in ihrer Dissertation mit dem Titel The Gendered Body. In dieser geht Schäfer-Althaus der Frage nach, wie Frauenkörper in der Geschichte dargestellt und wie in Legendenbildungen mit ihnen umgegangen wurde. Sie hält fest, dass für die Kirchenväter der römisch-katholischen Kirche Frauen eine alltägliche Bedrohung ihrer Männlichkeit und eine permanente Versuchung darstellten, welche es unter Kontrolle zu halten galt.2 Beispiel einer solchen Versuchung ist Eva in der Genesis-Erzählung des Paradises. Körperliche Reinheit, sexuelle Askese beziehungsweise Enthaltsamkeit und Jungfräulichkeit wurden früh en vogue und das Dasein als Jungfrau wurde als die möglichst anzustrebende Lebensform für Frauen angesehen und propagiert. Als Beispiel wurde hier die Muttergottes angeführt, die Jungfrau Maria.

Weibliche Heilige

Mit der Unterstützung von hagiographischer3 Legendenbildung und dem wachsenden Interesse an Heiligenlegenden, auch an weiblichen Heiligenfiguren und dem damit verbundenen Kult, wurde diese Lebensform idealisiert. Die Jungfräulichkeit wurde kirchlicherseits als ideale Lebensform einer Frau konstruiert. Dieses Bild der idealen weiblichen Lebensform als Jungfrau wurde unterstützt und propagiert, so floss beispielsweise die zunehmende Legendenbildung ab dem 5. Jahrhundert ins Eucharistische Hochgebet ein.

Wenn man Legenden und Hagiographien weiblicher Heiliger näher betrachtet, fällt auf, dass diese jungfräulichen weiblichen Heiligen oftmals unter grauenhaften und brutalen Umständen zu Tode kamen. Diese Heiligenlegenden erwecken den Anschein, dass die barbarischen Todesumstände der legitim zu zahlende Preis seien, um ihre Reinheit, Unberührtheit und Jungfräulichkeit erhalten zu können beziehungsweise zu schützen. Beispiele in der Kirchgeschichte sind die Heilige Agatha, die Heilige Agnes, die Heilige Lucia oder die Heilige Cäcilia. Sie alle haben gemeinsam, dass mit ihrem Körper in unvorstellbarer brutaler Weise umgegangen wurde. Sie wurden malträtiert und auf grauenhafte, äußerst brutale und schmerzhafte Weise kamen sie schließlich zu Tode. Am Beispiel der Heiligenlegende über die Heilige Agatha wird dies offenkundig. Der Legende nach wurden der Heiligen Agatha mit Zangen die Brüste abgeschnitten und mit glühenden Eisen ausgebrannt.

Die weibliche Brust

Die weibliche Brust ist im heutigen Verständnis ein sekundäres Sexualorgan. Der Religionssoziologe Horst Hermann beschreibt die Bedeutsamkeit der weiblichen Brust wie folgt:

„Ist eine Frau ohne Brüste immer noch eine Frau? Im patriarchalen Denken und Fühlen ebenso wenig wie ein kastrierter Mann noch als richtiger Mann gilt.“

Interessant ist Hermanns Konkretisierung im patriarchalen Denken. Im matriarchalen Denken scheint es sich anders zu verhalten. Es wird jedoch sicherlich niemand bestreiten, dass innerhalb der römisch-katholischen Kirche ein patriarchales Denken vorherrschend ist. Die weibliche Brust wird bereits im Alten Testament als visuelles körperliches Zeichen einer erwachsenen Frau genannt, beispielsweise im Hohelied 8,8. Allerdings beschränkt sich der Blick auf die weibliche Brust im Alten Testament nicht auf die Optik und Ästhetik. Wenn man in die Geschichte schaut, so war die weibliche Brust nicht immer nur ein Symbol visueller Weiblichkeit oder ein sexuelles Lustobjekt. Der weiblichen Brust kam vielmehr die überlebenswichtige Aufgabe zu, den Nachwuchs zu ernähren. So finden sich im Alten Testament Segenswünsche, welche auf diese Funktion anspielen. In Genesis 49,25 oder im Hohelied 8,1 wird der Wunsch formuliert, dass der Segen der Brust nicht versiegt. Hier wird deutlich, dass die weibliche Brust eine wichtige Nahrungsquelle darstellt. Es sind aber auch Reliefdarstellungen erhalten, in welchen sich Klagefrauen im Alten Orient als äußeres Zeichen ihrer Klage und Trauer in der Öffentlichkeit ihre Brüste zerkratzen. Auch hierzu gibt es schriftliche Zeugnisse im Alten Testament, beispielsweise in Psalm 44 oder im Klagelied 5.

Jungfräulichkeit als Fluchtmöglichkeit

An dieser Stelle darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die Jungfräulichkeit auch eine Möglichkeit war, als Frau vor arrangierten Ehen, den Schmerzen und der Pein der Mutterschaft oder vor der Lebensgefahr beim Geburtsakt zu entfliehen. Der Eintritt in eine Ordensgemeinschaft verbunden mit dem Gelübde der Keuschheit und Ehelosigkeit war über jahrhundertelang die einzige Möglichkeit für Frauen ein verhältnismäßig selbstbestimmtes und freies Leben zu führen. Klara von Assisi oder Katharina von Siena sind beispielhaft für weibliche Persönlichkeiten, die durch den Eintritt in eine Ordensgemeinschaft beziehungsweise durch das Abschneiden ihrer Haare, als äußeres Zeichen der Weihe ihres Körpers an Gott, sich ihre Eigenständigkeit bewahrten. Auch Elisabeth von Portugal trat nach dem Tod ihres ersten Mannes in ein Kloster ein und wählte das Leben als Nonne, um sich einer erneuten (Ver-)Heirat(-ung) zu entziehen und ihre Selbstständigkeit zu behalten.

Jeanne d‘Arc

Das Leben der französischen Nationalheiligen und Nationalheldin Jeanne d’Arc verlief dahingehend ganz anders. Sie trat nicht in ein Kloster ein, sondern überzeugte während des Hundertjährigen Krieges den Dauphin und späteren französischen König Karl VII. davon, eine Schlacht gegen die Engländer und Burgunder bei Orléans zu führen. Sie verhalf ihm zum Sieg, so dass die Königssalbung in der Kathedrale von Reims möglich war. Letztendlich wurde aber Jeanne d’Arc verraten und später von den Burgundern an die Engländer verkauft. Insgesamt wurden zwei Inquisitionsprozesse gegen sie geführt, in welchen sie als Häretikerin verurteilt wurde. In beiden Prozessen wurde ihr kein gerichtlicher Beistand gewährt. Der erste Prozess endete mit dem Urteil der Exkommunikation und lebenslanger Haft, im zweiten Prozess wurde sie zum Tod durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Jeanne d’Arc wurde ihr maskulines Verhalten zum Verhängnis. Es wurde als anmaßend und als Gott lästernd angesehen, dass sie sich mit Männerkleidern bekleidete und als Soldatin in den Kampf zog. Nachdem sie vom Gericht als Soldatin nicht anerkannt wurde, wurde sie des Mordes an all den Männern (! – nicht geschlechtsneutral Personen, sondern nur Männer, die zu Tode kamen), welche sie in der Schlacht besiegte, bezichtigt.

Jeanne d’Arcs Rückfall beziehungsweise Wiederholungstat hinsichtlich des Tragens von Männerkleidern war auch Anlass für den zweiten Inquisitionsprozess. Es bleibt offen, ob sie Männerkleider wieder anzog, um sich im Gefängnis vor Übergriffen zu schützen oder ob man ihr nur Männerkleidung zur Verfügung stellte. Es sind Aussage von Seelsorgern überliefert, dass sie in Gefangenschaft schwer misshandelt wurde. In diesem Zusammenhang wird in den Überlieferungen angesprochen, dass sie ihre Tugend, das bedeutet ihre Jungfräulichkeit, schützen wollte und daher wieder Männerkleidung zum äußeren Schutz gegen Übergriffe anlegte.

Nach dem Tod Jeanne d’Arc bemühte sich ihre Mutter darum, dass der Prozess neu aufgerollt wurde. 24 Jahre später wurde im November 1455 der Rehabilitationsprozess eröffnet, welcher im darauffolgenden Jahr mit der vollständigen Rehabilitierung Jeanne d’Arcs endete. Die Verantwortlichen für ihre Verurteilungen und ihren grausamen Tod wurden nicht belangt. Die Hauptverantwortlichen waren zum Zeitpunkt der Rehabilitation bereits verstorben.

Am Beispiel Jeanne d’Arc lässt sich aufzeigen, wie die herrschende patriarchale Struktur die weiblichen Körper normierte und ihnen sowohl Habitus als auch Optik vorgeschrieben hat. In der zu Beginn zitierten Textpassage führt die Sozialanthropologin Douglas aus, dass Kontrolle über den Körper einer*s anderen immer auch Sozialkontrolle darstellt. Dies zeigt auch der Fall Jeanne d’Arc, welche sich durch das Bekleiden mit Männerkleidern und ihr Wirken als Soldatin der Sozialkontrolle des Dorflebens entzog und der ihr gesellschaftlich zugewiesenen Rolle als heranwachsende Frau entfloh, aber auch in der Gefangenschaft den Versuch damit verband sich vor körperlichen Übergriffen zu schützen.

In der hagiographischen Darstellung von Jeanne d’Arc scheint der französische Dichter Charles Baudelaire Recht behalten zu haben: Frauen die Engel sind, überleben ihr irdisches Engeldasein offensichtlich nicht.

Hashtag der Woche: #heiligefrauen


Beitragsbild: Foto von Verena Simone Knoll

1 Zitiert nach: Schäfer-Althaus S.: The Gendered Body – S. 35 und 41.

2 Vgl. Sarah Schäfer-Althaus in The Gendered Body, S. 22.

3 Hagiographie, aus dem Altgriechischen für das Heilige, Heiligtum oder heilig, ehrwürdig, über Leben, Kult und bezeugte Wunder aufschlussgebende Quellen.

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verena simone knoll

studierte Betriebswirtschaft in Fachrichtung Bank in Stuttgart, absolvierte danach bei einer Landesbank ein Traineeprogramm zur Risikomanagerin und arbeitete als solche bis Dezember 2015. In den Jahren 2013 bis 2015 studierte sie im Rahmen eines berufsbegleitenden Masterstudiums Wirtschaftsrecht. Im Januar 2016 wechselte sie in den kirchlich-caritativen Sektor mit Schwerpunkt Organisationsentwicklung. Seit Februar 2018 studiert sie berufsbegleitend Katholische Theologie an der Universität Luzern, wo sie im Januar 2023 den Akademischen Grad eines Bachelor of Theology erwarb. Aktuell befindet sie sich im Masterstudium der Katholischen Theologie, ebenfalls an der Universität Luzern.

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