Was ist das gute Leben? Über diese existentielle Frage debattieren in einem neuen Buchprojekt die vier Theolog*innen Martin Breul, Aaron Langenfeld, Franca Spies und Veronika Weidner in einem fröhlichen Streitgespräch. Unsere y-nachten-Redakteurinnen Hannah Ringel und Claudia Danzer haben nachgefragt, zu welchen Erkenntnissen der Weg zum Buch führte.

y-nachten.de: Ein Buch ist oft das Endprodukt eines langen Prozesses. Was ist die Entstehungsgeschichte hinter eurem Buchprojekt?

Martin Breul: Die Grundidee des Buchformats – vier junge Theologinnen und Theologen versuchen dialogisch, christliche Überzeugungen in einem säkularen und pluralen Gesellschaftsumfeld fruchtbar zu machen – haben Aaron Langenfeld und ich vor Jahren bei einem Kaffee entwickelt. Zu der Zeit waren wir in vielen Berufungsverfahren unterwegs. Irgendwann waren wir angenervt, dass das so viel Aufmerksamkeit zieht und wir die inhaltlichen Fragen, die uns ja überhaupt zum Fach Theologie gebracht haben, zu sehr aus den Augen verloren haben. Da haben wir die Idee für das Vorgänger-Buch ‚Gibt es Gott wirklich?‘ entwickelt, das im gleichen Format 2022 erschienen ist, mit Fana Schiefen und Sarah Rosenhauer als weiteren Autorinnen. Das Buch ‚Was ist das gute Leben?‘ ist gewissermaßen die Fortsetzung im gleichen Format zu einem anderen Thema, und wir hoffen, dass es noch einige weitere Bücher in der Reihe geben wird – zumindest schreiben Fana und Sarah gerade schon am nächsten Band.

Veronika Weidner: Genau, da gibt´s für mich nicht wirklich etwas hinzuzufügen – außer, dass ich super finde, dass es diese Reihe jetzt gibt und ihr mich gefragt habt, am zweiten Band mitzuwirken.

 

y-nachten.de: Wie war es für euch persönlich, für das Buch über das gute Leben nachzudenken?

Veronika Weidner: Streckenweise fordernd, irritierend und mühsam, v. a. zwischen Umzugskisten und bei knappen Zeitbudgets, insgesamt bereichernd und beflügelnd, auf eine Art überraschenderweise auch bestärkend, was das eigene christliche Selbstverständnis angeht.

Martin Breul: Ich finde auch: gar nicht so einfach. Über diese Frage denken Philosophinnen und Philosophen ja schon seit 2500 Jahren nach, sodass ich zwischendurch das Gefühl hatte, dass man ohnehin nicht der Komplexität der Frage gerecht werden kann. Zudem wurde in den letzten Jahrzehnten sogar in Frage gestellt, ob man angesichts der Pluralität der Gesellschaft überhaupt rational verantwortet etwas über das gute Leben sagen kann – oder ob das nicht subjektive Privatsache ist. Ich glaube, das ist nicht so – aber das muss man natürlich gut begründen.

y-nachten.de Euer Buch ist dialogisch angelegt. Welches Ziel verfolgt ihr mit diesem Format und wie verändert es die Buchentstehung?

Martin Breul: Das dialogische Format soll zeigen, dass Antworten auf theologische oder philosophische Fragen nicht von einer einzigen Expertin oder einem einzigen Experten deduziert werden können, sondern diese Antworten im Fluss des Gesprächs entstehen und sich die Leser*innen des Buches selbst ein Bild machen, welche Argumente sie überzeugend finden. Die Buchentstehung wird dadurch einerseits komplexer, weil man sich häufig Texte hin und her schickt oder sich wechselseitig feedbackt, und andererseits viel netter, weil man merkt, wie die eigenen Texte durch den Blick der anderen besser werden und es auch eine zwischenmenschlich sehr angenehme Erfahrung ist, sich über Monate so intensiv und konstruktiv auszutauschen – trotz aller inhaltlichen Dissense.

Veronika Weidner: Wobei wir eigentlich die Texte der anderen im Entstehungsprozess noch nicht gesehen haben, erst, nachdem sie dann fertig gestellt waren – das war schon ein aufregender Moment, zu sehen, wohin die Reise der anderen dann letztlich gegangen war. Vorab hatten wir uns mal getroffen und besprochen, welche Begriffe wir ins Zentrum unserer Überlegungen stellen könnten. Auf die fertigen Texte der anderen zu reagieren und sie möglichst streitlustig wie wertschätzend zu kommentieren hat länger gedauert als gedacht, weil wir den Gedanken der anderen wirklich so gerecht wie möglich werden wollten. Teilweise haben wir uns aber auch Anmerkungen bzw. Verbesserungsvorschläge zu Formulierungen in den Texten zugespielt, die nicht veröffentlicht wurden. Richtig cool wäre es gewesen, wenn wir jeweils nochmal Zeit und Raum gehabt hätten, auf die Repliken zu reagieren. Aber das geht ja vielleicht bei anderer Gelegenheit, vielleicht auch mündlich …

y-nachten.de: Als vier Autor*innen geht ihr das Thema aus vier verschiedenen theoretischen Perspektiven an. Was ist ein Lieblingszitat, das ihr aus den Texten mitgenommen habt, die ihr nicht selbst verfasst habt?

Veronika Weidner: „Nachfolge ist Subversion und nicht Revolution – und genau darin folgt sie der Spur der Inkarnation.“ (Franca Spies, „Mach mal“, S. 124).

 

Martin Breul: „Gegen das Apriori des Geworfenseins in eine dem Subjekt fremde und darin letztlich absurde Welt, das Sartre als Verdammnis zur Freiheit markiert hat, setzt der Glaube bei einer fundamentalen Rechtfertigung des Lebens an: ‚Du darfst leben!‘ – so lautet im christlichen Verständnis der ‚kategorische Indikativ‘, der in der Erfahrung der Liebe gründet und zu einem agapäischen Leben (Du kannst für andere da sein!) ermutigt.“ (Aaron Langenfeld, Voll erfüllt. Was rechtfertigt das Leben?, S. 159).

y-nachten.de: Das gute Leben – ein Ziel, das auch viele Ratgeberformate bewerben. Was können Leser*innen in eurem Buch finden, was sie in der Ratgeberliteratur umsonst suchen?

Martin Breul: Unser Buch ist eine Untersuchung der existenziellen und gesellschaftstheoretischen Potenziale einer Theorie des guten Lebens aus christlichem Wurzelgrund, die nach den Standards der theologischen Wissenschaft operiert. Wir versuchen zwar, so zugänglich wie möglich zu schreiben und die lebenspraktische Relevanz von Theorien des guten Lebens herauszuarbeiten, aber letztlich bleibt es – im Gegensatz zu Ratgeberliteratur – ein wissenschaftliches Buch.

Veronika Weidner: Eben, bei uns wird z. T. detailliert Fachliteratur verhandelt und eher abstrakt darüber nachgedacht; das Ziel ist es nicht, eine konkrete To-Do-Liste an die Hand zu geben, sondern hoffentlich mehr Klarheit darüber gewonnen zu haben, inwiefern ein Leben als gut und gelungen gelten kann, z. B. für Christ*innen, was hier überhaupt ,gut´ heißen kann. Welche weiteren Reflexionen das bei den Leser*innen anstößt und wie sie das für sich jeweils in die Tat umsetzen möchten, bleibt natürlich allen ganz selbst überlassen.

y-nachten.de: Was ist das Theologische an eurem Buch über das gute Leben?

Veronika Weidner: Wir spielen alle auf ganz eigene Weise ein, wie eine wissenschaftlich reflektierte christliche Perspektive das Nachdenken über und die Praxis eines guten Lebens bestimmen könnte.

 

Martin Breul: Genau – ich würde hier die ‚ganz eigene Weise‘ betonen, die Veronika herausstellt: Jeder von uns nimmt sich einen christlichen Grundbegriff vor und prüft, welche Relevanz er für eine rational verantwortbare Theorie des Guten haben kann. So können sich Theologie und Gesellschaftstheorie wechselseitig bereichern, zumindest im Idealfall.

y-nachten.de: Vor dem Buchprojekt ist nach dem Buchprojekt: Worauf habt ihr als nächstes Lust?

Martin Breul: Zunächst mal habe ich Lust, das Format der Reihe fortzusetzen. Ich habe ja gerade schon gesagt, dass das nächste Buch gerade von Fana und Sarah konzeptioniert wird – und ich würde mich freuen, wenn es auch danach noch weitergeht. Ansonsten feiert die berühmte Zeitdiagnose einer ‚postsäkularen Gesellschaft‘ in zwei Jahren ihr 25-jähriges Jubiläum. Mich würde interessieren, zu schauen, welche Elemente dieser Verhältnisbestimmung von Religion und Gesellschaft eigentlich auch Mitte der 2020er-Jahre noch Bestand haben – und was inzwischen anders gefasst werden müsste. Dazu würde ich gerne was schreiben.

Veronika Weidner: Dazu würde ich gern von Dir was lesen! Und mich mehr mit dem Tugendansatz auch in feministischen Diskursen beschäftigen. Überhaupt mehr mit feministischer Theologie und Philosophie. Das Thema Glaube und Zweifel lässt mich auch schon länger nicht los – was heißt es, heutzutage zu glauben?

y-nachten.de: Ein gutes Leben klingt nach einem ganz schön großen Ziel. Wenn wir mal klein anfangen, was braucht es für euch für einen guten Sonntag?

Veronika Weidner: Normalerweise das Ausbleiben von Weckergeräuschen, viel Milchkaffee und möglichst unverplant in den Tag hineinleben; seit ich in den Bergen lebe, klingelt am Sonntag auch mal früh morgens der Wecker, um dann wandernd loszustiefeln, was aber fast immer mit tollen Aussichten, inspirierenden Gesprächen und Muskelkater-Erholung belohnt wird.

Martin Breul: Ich fange mal ähnlich an: Normalerweise das Ausbleiben von allzu frühen Kindergeräuschen, die eine ähnliche Funktion wie ein Wecker haben. Und dann viel Zeit mit der Familie für Ausflüge, Sport, Besuche bei Freunden oder Verwandten. Oh, und ein wenig Sonne und Wärme schaden auch nicht.

 

Martin Breul, Aaron Langenfeld, Franca Spies und Veronika Weidner: Was ist das gute Leben? Über Glauben und Handeln. Ein Streitgespräch. Herder 2024.

 

Hashtag der Woche: #livingthegoodlife


(Beitragsbild @HannahRingel)

Für das Interview wurden den Redakteurinnen ein Belegexemplar zur Verfügung gestellt.

ist Professor für Katholische Theologie mit Schwerpunkt Systematische Theologie am Institut für Kath. Theologie der TU Dortmund.

 

 

studierte Philosophie, Katholische Theologie, Altgriechisch und Politikwissenschaften in Berlin und Freiburg i.Br. Seit 2023 ist sie Professorin für Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen.

 

 

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veronika weidner

studierte Philosophie, Katholische Theologie, Altgriechisch und Politikwissenschaften in Berlin und Freiburg i.Br. Seit 2023 ist sie Professorin für Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen.

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