Das Jahr 2024 stellt in vielerlei Hinsicht Weichen für die Zukunft. Die Frage eines nachhaltigen Umgangs wird uns weiterhin stark bewegen. Können Religionen dazu überhaupt einen Beitrag leisten und wenn ja, welchen? Johanna Kalian gibt darauf Antworten.

Religion und Nachhaltigkeit scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben – trotzdem gewinnen Themen der Nachhaltigkeit in religiösen Kontexten immer stärker an Bedeutung, sei es durch Initiativen wie Religions for Future1 oder Aktionen wie Radln in die Kirche2. Doch können Religionen und Religionsgemeinschaften auch thematisch einen spezifischen Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte leisten oder bieten religiöse Kontexte einfach nur einen geeigneten Ort, um aktiv zu werden?

Nachhaltigkeit – mehr als ein technisches Problem

Hinter dieser vermeintlichen Kluft (Nachhaltigkeit und Religion) verbirgt sich oft ein eng gefasstes Verständnis von Nachhaltigkeit, das sich auf technische und ökologische Aspekte beschränkt. Dabei zeigt der Begriff der Nachhaltigkeit bereits, dass die Klimakrise kein rein technisches Problem darstellt. Nachhaltigkeit impliziert nämlich den Erhalt der Umwelt, der ökonomischen Grundlagen und die Herstellung von Gerechtigkeit innerhalb sowie zwischen Generationen. Damit sind dem Begriff der Nachhaltigkeit sowohl ökologische, ökonomische als auch soziale Dimensionen immanent.

Die Kontroverse um das Wirtschaftswachstum

Besonders deutlich wird dieses breite Nachhaltigkeitsverständnis bei der Frage nach dem Verhältnis des Ausstoßes von Treibhausgasemissionen und einer wachsenden Wirtschaft (Steigerung des Bruttoinlandsprodukts). Von Seiten der sogenannten Wachstumskritik wird der Vorwurf virulent, das Wirtschaftswachstum lasse sich nicht vom Ausstoß der Treibhausgasemissionen trennen und die Wirtschaft müsse konsequenterweise schrumpfen oder zumindest nicht weiterwachsen. Die Diskussion über Wirtschaftswachstum reflektiert dabei nicht nur ökonomische Fragen, sondern hinterfragt grundlegende Vorstellungen von Freiheit, Wohlstand und Autonomie. Vielleicht scheinen wachstumskritische Positionen daher auch häufig auf Ablehnung zu stoßen, da mit ihnen (westliche) Vorstellungen, häufig verbunden mit der Idee einer grenzenlosen Welt oder Freiheit, in Frage gestellt werden.

Laudato Si‘

Ein Blick in die 2015 veröffentlichte Enzyklika Laudato Si‘ von Papst Franziskus erweist sich vor dem Hintergrund dieser Fragestellung als lohnend. Papst Franziskus greift wiederholt das Thema des Wirtschaftswachstums auf und äußert sich in einer Weise, die stark an Postwachstumsdebatten erinnert:

„Dieses Wachstum setzt aber die Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus auszupressen“ (LS 106).

Auch das Prinzip der Suffizienz wird in Laudato Si‘ erwähnt – ein Nachhaltigkeitsprinzip, das von wachstumskritischer Seite immer wieder aufgegriffen wird. Dass ausgerechnet in kirchlichen Dokumenten und theologischen Schriften häufig auf wachstumskritische Positionen verwiesen wird, scheint kein Zufall zu sein. Lassen sich doch zahlreiche Traditionen und Praktiken wiederfinden, mit welchen eine Kultur des Genug, wie sie von wachstumskritischer Seite immer wieder im Kontext der Klimakrise gefordert wird, bereits erprobt wurde. Doch wie können sie für diesen Kontext (wieder) fruchtbar gemacht werden? Mit zwei Schlaglichtern möchte ich gerne Andeutungen machen, welchen Beitrag (christlich)-religiöse Traditionen im Kontext der Klimakrise leisten können.

Suffizienz = Verzicht?

Im Kontext des Klimaschutzes wird oft der Vorwurf erhoben, dass Freiheiten durch Verzicht eingeschränkt werden. Die bloße Erwähnung des Worts Verzicht scheint bei vielen eine Abwehrreaktion hervorzurufen. Sowohl Papst Franziskus als auch Wachstumskritiker*innen bringen jedoch immer wieder den Begriff der Suffizienz (von lat. sufficere, dt. ausreichen) ein. Die Idee der Suffizienz geht jedoch über bloßen „Verzicht“ hinaus, mit welchem individuelle Freiheiten eingeschränkt werden. Durch religiöse Praktiken wie Fasten oder monastische Traditionen werden Fragen der Suffizienz schon lange verhandelt. Was lässt sich aus diesen Traditionen lernen und können sie vielleicht mit Blick auf die Klimakrise eine Umdeutung auf diese erfahren? Ein Blick auf religiöse Praktiken wie das Fasten macht deutlich, dass sich „Verzicht“ und „Freiheit“ nicht einfach gegeneinander ausspielen lassen. Der Begriff der Freiheit meint mehr als individuelle Handlungsfreiheit. Vielmehr kann mit Verzicht auch ein Freiheitsgewinn einhergehen – etwa durch das Unabhängigwerden von bestimmten Konsum-gewohnheiten. Das Beispiel des Fastens und der Suffizienz verdeutlichen, wie relevant diese Praktiken in der Klimakrise sein können, wenn gefordert wird, nachhaltige Lebensstile einzuüben – eine Forderung, die sich auch in Laudato Si‘ wiederfindet. Dass Fasten und die Klimakrise zusammengedacht werden können, wird durch zahlreiche Aktionen deutlich, in denen von „Klimafasten“ die Rede ist.

Spiritualität im Umgang mit der Klimakrise?

Die Klimakrise löst (vor allem bei jungen Menschen) Ängste aus, stellt bisherige Vorstellungen von menschlichem Fortschritt infrage und konfrontiert Menschen mit einer ungewissen Zukunft, in der die Folgen des Klimawandels, auch wenn dieser sofort bekämpft würde, immer spürbarer werden. Häufig wird der Fokus beim Thema Nachhaltigkeit auf die Bekämpfung oder Abschwächung des Klimawandels gelegt, was angesichts der drohenden Katastrophen auch notwendig ist. Übersehen wird dabei jedoch häufig, dass es auch einen Umgang mit bereits bestehenden Krisen braucht. Spiritualität kann dabei als Unterstützung dienen, mit aktuellen Krisen wie der Klimakrise umzugehen. Biblische Texte können hierbei eine Hilfestellung bieten, dem Leid durch Klage Ausdruck zu verleihen, Dankbarkeit3 (ein wichtiges Fundament von Suffizienz) einzuüben oder die Krise umzudeuten, indem neue Perspektiven eingenommen werden, durch welche der Klimawandel nicht nur als reines Katastrophenszenario betrachtet wird, sondern beispielsweise als Chance für einen Neubeginn oder als Anregung für Veränderungen – sowohl gesellschaftlich als auch persönlich – gedeutet werden kann.

Vor allem im Kontext der Wachstumskritik wird durch diese zwei beispielhaften Skizzen deutlich, dass Religionen und religiöse Institutionen einen bedeutenden Beitrag zur Klimakrise leisten können. Wachstumskritik fordert nicht nur technische Lösungen, sondern einen Kulturwandel, der eine Kultur des Überflusses überwinden soll. Die Klimakrise wird dadurch nicht zu einer rein technischen Frage (sonst hätten Theologie und Religionen vielleicht auch tatsächlich keinen Beitrag zu leisten). Religionen können einerseits durch bereits eingeübte Praktiken darin unterstützen, nachhaltige Lebensstile zu etablieren, aber auch abseits davon Hilfestellungen im Umgang mit der Klimakrise bieten. Die Frage, ob Religionen einen wertvollen Beitrag zur Klimakrise zu leisten haben, muss daher eindeutig mit einem JA beantwortet werden.

Hashtag der Woche: #nachhaltigkeitundreligion

 


Bildquelle: Margot Richard auf Unsplash

Literaturtipps

Bederna, Katrin, Alles wird gut? Franziskanische Inspirationen zur Klimakrise (Franziskanische Akzente 30), hg. von Mirjam Schambeck – Helmut Schlegel, Würzburg 2021.

Enxing, Julia, Und Gott sah, dass es schlecht war. Warum uns der christliche Glaube verpflichtet, die Schöpfung zu bewahren, München 2022.

Enzner-Probst, Brigitte, Kosmische Erziehung. Über die Möglichkeit, Schöpfungsspiritualität zu lehren angesichts der ökologischen Krise, in: Brigitte Enzner-Probst – Elisabeth Moltmann-Wendel (Hg.), Im Einklang mit dem Kosmos. Schöpfungsspiritualität lehren, lernen und leben. Theologische Aspekte – Praktische Impulse, Ostfildern 2013, 197–214.

Meadows, Dennis u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart u. a. 1972.

Paech, Niko, Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München 102018.

Steinmair-Pösel, Petra, Spirituelle Ressourcen für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftskultur, in: Ingeborg Gabriel – Petra Steinmair-Pösel (Hg.), Gerechtigkeit in einer endlichen Welt. Ökologie – Wirtschaft – Ethik, Ostfildern 2013, 176–194.


1 https://religionsforfuture.at/ (19.12.2023).

2 https://www.autofasten.at/site/home/news/article/3587.html (19.12.2023).

3 Z. B. Psalm 8.

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johanna kalian (she/her)

ist katholische Religionslehrerin an einer Wiener Mittelschule und studiert im Master Lehramt für Katholische Religion und Deutsch und im Diplomstudium Katholische Fachtheologie. Seit September 2022 arbeitet sie als Studienassistentin am Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien.

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