Allyship ist mehr als nur Regenbogenfahnen hissen im Juni. Zu Beginn des Pride-Month stellt sich Florian Mayrhofer der Frage, was es heißt, ein „Ally“ zu sein. Er beschäftigt sich dabei mit praktischen Konsequenzen und der theologisch-ethischen Dimension von Allyship. 

Juni ist Pride-Month. Vielerorts werden Regenbogenfahnen gehisst, um der LGBTIQA*-Community zu signalisieren: Wir sind mit euch! Sichtbarkeit ist wichtig: für die Betroffenen, aber auch für die Gesellschaft, der dadurch wortwörtlich vor Augen geführt wird, dass die Realität, in der wir uns bewegen, vielfältiger ist als bloß schwarz-weiß. Auch viele Unternehmen sind mittlerweile auf das regenbogenfarbene Pferd aufgesprungen. Ein schmaler Grat zwischen Pinkwashing, also der offiziellen Solidarisierung mit der LGBTIQA*-Community mehr aus ökonomischen Überlegungen, denn echter Überzeugung, und Allyship. Dass diese hart erkämpfte Vielfalt alles andere als gesichert ist, zeigen gerade in jüngster Zeit reaktionäre politische und gesellschaftliche Entwicklungen, sowohl jenseits als auch diesseits des Atlantiks. Allyship ist daher notwendiger denn je und hat mehr mit dem Christentum zu tun, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

„Ally was?“

Der Begriff „Ally“ oder „Allyship“ findet sich immer häufiger in sozialen Medien. Gerade im Zusammenhang mit BlackLivesMatter, Fridays for Future, LGBTIQA* oder Antisemitismus fehlen die Hashtags #allyship, #ally oder #beanally nur selten. Viele junge Menschen heute haben ein ausgeprägtes Sensorium für Diskriminierung, für Ungerechtigkeiten und Erfahrungen von Unterdrückung und tun ihren Unmut auch lautstark kund: „eine Generation meldet sich zu Wort“1. Jugendliche haben eine klare Haltung, sie gehen für diese auch auf die Straße und suchen sich Verbündete: Allies. Der aus dem anglophonen Raum stammende Begriff „Ally“, der eben zunächst nichts anderes als „Verbündete*r“ bedeutet, wurde 1994 von der Erwachsenenbildnerin, Sozialarbeiterin und Schriftstellerin Anne Bishop aufgegriffen und in ihrem Buch „Becoming an Ally“ breiter reflektiert. Anne Bishop zufolge ist ein „Ally” „[a] member of an oppressor group who works to end a form of oppression which gives her or him privilege.”2

Allyship heißt „Umlernen“

Diese kurze Definition zeigt bereits: Es geht um die Gruppe der Unterdrücker*innen, ihre Privilegien und den Abbau von Unterdrückungsstrukturen. Dass sich diese Strukturen von Generation zu Generation perpetuieren, liegt nach Bishop darin, dass wir sie von Kindheit auf erlernen und in sie hineinsozialisiert werden: in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern. Der Ursprung jeglicher Unterdrückungsmechanismen sei, so Bishop, im Schmerz der Erfahrung von Machtlosigkeit in der Kindheit angelegt, der sich später in vielfältige Formen von Machtausübung über andere oder der Akzeptanz derselben wandelt. Strukturen der Unterdrückung produzieren Individuen, die wiederum unterdrücken. Genau dieser Teufelskreis müsse aufgebrochen werden. Für Bishop liegt der einzig gangbare Weg im Grundauftrag von Bildung. Unter Bildung versteht sie die Rolle als Unterdrücker*in zu verlernen. Das Verständnis von Bildung als „Umlernen“3, wie ihn die deutsche Bildungswissenschafterin Käthe Meyer-Drawe bereits 1982 geprägt hat, kann hier gut anknüpfen.

Dieses Verlernen bzw. Umlernen kann allerdings nur dann gelingen, wenn wir uns der eigenen Privilegien und Machtposition vergewissern und die schmerzvollen Erfahrungen eigener Machtlosigkeit einem Heilungsprozess zuführen. Dies erfordert zu verstehen, wie Unterdrückung funktioniert, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Unterdrückungen zu erkennen, aber auch die Fähigkeit des Zuhörens, Beobachtens und Sensibilität für andere zu entwickeln.

Das heißt, dass es nicht bloß darum geht, auf individueller Ebene Privilegien und Machtpositionen aufzubrechen, sondern zugleich die strukturellen Bedingungen, die dies begünstigen, zu verändern.

„An ally is for life, not just for pride“

Gerade der Pridemonth zeigt eindrücklich, dass Allyship nicht etwas zeitlich Beschränktes sein darf. Das betonen auch Leila Haghighat und Nina Simon: Ähnlich wie beim Begriff der Diversität, mit dem sich Unternehmen mittlerweile gerne schmücken, gilt auch für Allyship, dass dieses mehr sein muss als bloße Imagepflege.4 Allyship ist, so verstanden, auch das Gegenteil eines guten „Feelings“ oder eines punktuellen Mitläufer*innentums. Auf den Punkt gebracht hat dies die Grafikdesignerin Sophie Green mit einem ihrer Plakate zum Homotopia-Festival:

„An ally is for life, not just for pride“.5

Allyship ist eine Lebensaufgabe, und nicht bloß im Pridemonth. Allyship hört auch nicht nach einer Demonstration für Fridays for Future oder BlackLiveMatters auf.

Allyship theologisch

Es ist vielmehr eine Haltung, die sich im eigenen Leben in die Praxis, ins Denken und Handeln übersetzen muss. In dieser Hinsicht hat Allyship eine zutiefst theologisch-ethische Dimension. Der erste Johannesbrief formuliert dies so: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner.“ (1 Joh 4,20) Eindrücklich zeigt uns Jesus dies auch in der Erzählung vom „barmherzige Samariter“ auf, der nicht bloß barmherzig handelt, weil es vielleicht von ihm so erwartet wird oder er dadurch ein besseres Image bekommen hätte, sondern weil es eine innere Haltung war, die er in eine konkrete Praxis übersetzte. Allyship hat daher mit Gottes- und Nächstenliebe mehr zu tun, als im ersten Augenblick ersichtlich ist. Wer daher ein „Ally“ ist, bestimmt nicht die Person selbst, sondern hat sich durch mein Denken und Tun zu erweisen. Denn genauso wenig, wie sich der barmherzige Samariter selbst als „barmherzig“ schmückt, können wir uns als „Ally“ dekorieren.

Existenzielle Verunsicherung

Bishop weist darauf hin, dass es zu wenig ist, sich der eigenen Machtprivilegien bewusst zu werden. Es benötigt ein Aufbrechen ungerechter Strukturen, denen wir zunächst unentrinnbar ausgeliefert sind, damit wir sie neu gestalten können. „Du kannst nur ändern, was du wahrnimmst.“6 Gerade in jüngster Zeit haben auch zahlreiche Autorinnen wie Melisa Erkurt7, Alice Hasters8 oder Aminata Touré9 darauf eindrücklich hingewiesen. Dies ist wahrlich kein Zuckerschlecken, wie die britische Social-Media Aktivistin Layla F. Saad es beschreibt. In ihrem Buch „me and white supremacy“10, spricht sie davon, dass ein solcher Weg ein schmerzhafter, mühevoller und stark verunsichernder Prozess ist. Denn die eigenen Privilegien gibt wohl niemand gerne auf.

Allyship – moderne Gottes- und Nächstenliebe?

Allyship ist, so meine ich, tiefster Ausdruck von Gottes- und Nächstenliebe. „Sie wird bei Jesus von Nazareth zum normativen Schlüssel, an dem die Auslegung der Thora hängt. Eingebettet ist dies in den Auftrag, das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit (Mt 22, 37–40) zu suchen. Diese findet man offenbar über die Praxis des Doppelgebotes.“11

Es gibt heute noch immer himmelschreiend viele ungerechte Strukturen: Rassismus, Antijudaismus, Sexismus, Homo- und Transphobie und soziale Ungerechtigkeit, um nur einen kleinen Teil der Palette zu nennen. Sie alle erfordern tiefste Allyship – auch und gerade von uns Christ*innen, um aktiv am Aufbau des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit (Mt 22) mitzubauen.

Hashtag der Woche: #allyforlife


Beitragsbild: Foto von Tristan B. auf Unsplash

1 Albert, Mathias u.a., Jugend 2019: eine Generation meldet sich zu Wort, Shell-Jugendstudie, Weinheim 2019.

2 Bishop, Anne, Becoming an ally: breaking the cycle of oppression, Halifax 2002 [1994], 152.

3 Meyer-Drawe, Käte, Lernen als Umlernen (1982): Zur Negativität des Lernprozesses, in: Malte Brinkmann (Hg.): Phänomenologische Erziehungswissenschaft von ihren Anfängen bis heute, Bd. 4 (Phänomenologische Erziehungswissenschaft), Wiesbaden 2019, 265–286, DOI: 10.1007/978-3-658-17082-0_13.

4 Haghiat, Leila/Simon, Nina, Diversitätsmanagement oder Imagepflege?, in: https://t1p.de/0z4j.

5 Green, Sophie, https://t1p.de/poas.

6 Saad, Layla F., me and white supremacy. Warum kritisches Weißsein mit dir selbst anfängt, München 2021, 51.

7 Erkurt, Melisa, Generation Haram. Warum Schule Lernen muss, allen eine Stimme zu geben, Wien 2020.

8 Hasters, Alice, Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten, München 2019.

9 Touré, Aminata, Wir können mehr sein. Die Macht der Vielfalt, Köln 2021.

10 Saad, Layla F., me and white supremacy. Warum kritisches Weißsein mit dir selbst anfängt, München 2021.

11 Regina Polak: Zur Einheit von Gottes- und Nächstenliebe, in: Christlich geht anders (Hg.): Solidarisch antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen, Innsbruck 2019, 16-26.

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florian mayrhofer (er/ihn)

studierte katholische Theologie und Lehramt Französisch/Katholische Religion in Wien, Eichstätt und Lyon und ist derzeit als Universitätsassisten (prae doc) am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien tätig. Er promoviert im Fachbereich Religionspädagogik und Katechetik und ist ab und an auf Twitter (@Fl_OhMyGod) anzutreffen.

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