In der römisch-katholischen Kirche bleiben oder nicht? Diese Frage stellen sich viele Katholik*innen, ganz unabhängig vom Geschlecht. Unser Redaktionsmitglied Claudia Danzer hat im Buchprojekt „Wir bleiben!“ von Elisabeth Zoll einen Beitrag verfasst, in welchem viele Frauen aus Politik, Literatur, Wissenschaft u. a. über ihr Hadern mit ihrer Konfessionszugehörigkeit schreiben. Die beiden Redaktionsmitglieder Christoph Naglmeier-Rembeck und Claudia Danzer haben miteinander über das Buchprojekt gesprochen.
Christoph Naglmeier-Rembeck: Bei dem Buch fällt auf, dass ganz unterschiedliche Generationen, Berufe und Perspektiven zusammenkommen. Wo siehst du das Verbindende zwischen den einzelnen Beiträgen?
Claudia Danzer: Das Buch macht sichtbar, inwiefern das Katholisch-Sein Biographien von Frauen geprägt hat, die sich politisch, künstlerisch oder wissenschaftlich engagieren. In der römisch-katholischen Kirche sind Männerbiographien in Bezug auf das Glaubensleben viel präsenter. Mit ihren Buchbeiträgen gehen nun Personen der Öffentlichkeit wie Annette Schavan, Andrea Nahles, Gesine Schwan und Gudrun Lux der Frage nach, was ihr christlicher Glaube damit zu tun hat, dass sie politische Menschen wurden.
Der Herausgeberin Elisabeth Zoll war für das Buchprojekt genau das wichtig, was du ansprichst: dass unterschiedliche Perspektiven von Frauen zu Wort kommen, aus mehreren Generationen, aus Ost- und Westdeutschland, aus verschiedenen Berufsfeldern und mit einem unterschiedlichen Maß an Geduld und Ungeduld, was die kirchlichen Reformen betrifft. Im Reformbedarf der römisch-katholischen Kirche sind sich alle einig.
Was ich mir persönlich noch mit im Buch gewünscht hätte, sind Perspektiven von Menschen, die nicht den cisgeschlechtlichen heteronormativen Geschlechtervorstellungen entsprechen. Vielleicht gibt es hier ja mal noch ein neues Buchprojekt.
Christoph Naglmeier-Rembeck: Du hast deinen Text mit „Katholisch auf Zeit“ betitelt. Zugespitzt gefragt: Heißt das also, du bist nur noch eine Weile in der römisch-katholischen Kirche und dein Austritt ist zeitlich absehbar?
Claudia Danzer: Nein, so konkret nicht. Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie 2018, die empirisch diejenigen systemischen Faktoren des Katholizismus identifiziert hat, die sexualisierte Gewalt und Vertuschung sogar begünstigen, lag der Kirchenaustritt für mich sehr nahe. Damit die römisch-katholische Kirche ein sicherer Ort für alle werden kann, muss sich das ganze System ändern. Dafür ist es mir ein Anliegen, dass die römisch-katholische Kirche ihre Struktur als absolutistische Monarchie verlässt, endlich Demokratie lernt und sich auf die Logiken von Selbstbestimmungsrechten einlässt. Ein Systemwandel ist natürlich eine schwierige Aufgabe. Die vielen Engagierten auf dem Synodalen Weg haben in dreieinhalb Jahren intensiver Arbeit ganz konkrete Handlungsempfehlungen für eine veränderte römisch-katholische Kultur und Praxis erarbeitet. Um die Umsetzung der beschlossenen Reformen geht es jetzt.
Mit meinen Mitstreiterinnen Luisa Eisele und Lisa Baumeister habe ich die Initiative #meingottdiskriminiertnicht gegründet, die sich für den Abbau von diskriminierenden Strukturen innerhalb der römisch-katholischen Kirche einsetzt. Wir haben uns entschieden, zu bleiben – im Protest. Katholisch auf Zeit bedeutet für mich, dass ich mir meiner Freiheit bewusst bin, Alternativen für christliches Leben außerhalb der römisch-katholischen Kirche zu haben. Ich kann alle verstehen, die – wie bspw. die Gründerinnen von Maria 2.0, Lisa Kötter und Andrea Voß-Frick, – aus der Kirche austreten, weil sie nicht mehr an die Veränderbarkeit des Systems glauben.
Christoph Naglmeier-Rembeck: Im Untertitel ist vom Vertreiben der Frauen die Rede. Welche Strukturen und Mechanismen sind es deiner Meinung nach, die dieses Vertreiben auslösen?
Claudia Danzer: Zum einen begünstigen die römisch-katholischen Kirchenstrukturen sexualisierte Gewalt und Vertuschung. Auch erwachsene Frauen sind im kirchlichen Raum von sexualisierter und von spiritueller Gewalt betroffen, wie beispielsweise die Initiative zum Buch „Erzählen als Widerstand“ von Dr. Barbara Haslbeck, Dr. Regina Heyder, Prof.in Dr. Ute Leimgruber und Dorothee Sandherr-Klemp deutlich gemacht hat. Zum anderen begünstigen die kirchlichen Strukturen Männer, die ehelos leben wollen, und schließen Menschen aufgrund ihres Geschlechts vom Priesteramt und damit von sämtlichen Leitungspositionen aus. Der Ausschluss von Frauen von den Ämtern offenbart das misogyne Frauenbild des römischen Lehramts.
Christoph Naglmeier-Rembeck: Und dennoch sagen die Autor*innen des Buches, dass sie trotz der Enttäuschungen in der Kirche bleiben. Wird nicht gerade dadurch das System stabilisiert und den Bischöfen aufgezeigt, dass ein „Weiter wie bisher“ trotz der Kritik möglich ist?
Claudia Danzer: Genau darin sehe ich auch eine Gefahr. Wenn ich gerade als katholische Theologin Teil des Systems bleibe, muss ich mich fragen, inwiefern mein Handeln systemstabilisierend ist. Mit der Initiative #meingottdiskriminiertnicht versuchen wir an dieser Stelle anzusetzen. Denn das System und seine Amtsträger*innen haben nur so lange Autorität, wie es ihnen „von unten“ auch zugeschrieben wird. Hier ist noch vielmehr Freiheit und Selbstbestimmung von Gemeinden möglich. Es geht ganz grundsätzlich um die Frage, wer bestimmen darf, was katholisch ist.
Christoph Naglmeier-Rembeck: Häufig werden die Kirchenaustritte als Grund und Beleg dafür genannt, dass sich in der römisch-katholischen Kirche etwas ändern muss. Kritiker*innen entgegen an dieser Stelle gerne, dass sich dieser Trend nicht an fehlenden Reformen, sondern am fehlenden Glauben festmachen lässt und verneinen dadurch die Notwendigkeit von Veränderungen. Wie begegnest du dieser Einschätzung?
Claudia Danzer: Das Buch „Wir bleiben!“ zeigt, wie sehr diese Personen mit ihrem Glauben – bei allen Zweifeln und allem Hadern – biographisch verwoben sind. Gerlinde Kretschmann beispielsweise erzählt, dass sie als junge Frau aus der Kirche ausgetreten ist, später dann aber wieder in die Kirche eingetreten ist, als ihre Kinder in der Kirche aktiv wurden.
Johanna Beck schließt ihren Beitrag mit einem persönlichen Bekenntnis, dass es ihr Glaube an einen freiheitsliebenden freundschaftlichen Gott ist, der sie für eine evangeliumsgemäßere Kirche kämpfen lässt.
Meiner Meinung nach werden viele Dimensionen von Glauben und religiösen Leben erst sichtbar, wenn die Diversität der Perspektiven von den Menschen erhöht wird, die das Evangelium auslegen – gerade zum Beispiel in der Predigt. Eine nur männliche Perspektive von Klerikern auf die biblischen Texte kann nur eingeschränkt ihr Potential bergen. Ganz andere Bedeutungen kommen zu Vorschein, wenn sie bspw. queerfeministisch gelesen werden oder aus der Perspektive von Betroffenen von Gewalt. Ein fehlender Glaube ist nicht der Grund für die Kirchenaustritte, sondern eine Kirche, die diesen Glauben an die Gerechtigkeit und Liebe Gottes* nicht mehr glaubwürdig vertritt.
Hashtag der Woche: #mariafeminista
(Beitragsbild @Kimberly Farmer auf unsplash.de)
Elisabeth Zoll (Hg.): Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen. Mit einem Nachwort von Malu Dreyer, Stuttgart: S. Hirzel Verlag, 2023.
ISBN 978-3-7776-3198-1
Mit Beiträgen von: Johanna Beck | Ulrike Boehmer | Katrin Budde | Claudia Danzer | Malu Dreyer | Nora Gomringer | Andrea Fleming | Monika Grütters | Felicitas Hoppe | Ursula Kalb | Gerlinde Kretschmann | Gudrun Lux | Andrea Nahles | Christel Neudeck | Hubertine Underberg- Ruder | Susanne Wasum-Rainer | Annette Schavan | Gesine Schwan