Das Pfingstereignis erzählt von Menschen und wie verschieden sie in Worte fassen, was sie in ihrem tiefsten Inneren bewegt. Dominik Höchtl denkt über Verstehen und (noch-)nicht-Verstehen in menschlichen Begegnungen und über Selbst-Findung in einer persönlichen Sprache nach.

Menschen an einem Ort – nicht mehr. Vielleicht acht oder neun, vielleicht elf oder zwölf. Zunächst wirkt die Szene noch ruhig und still. Doch dann regt sich etwas. Jemand wagt sich aus seinem inneren Versteck, erzählt, vom Leben und was darin Bedeutung hat, von sich. Was wird damit passieren? Was, wenn ich ein Symbol gefunden habe für das, was mich bewegt? Was, wenn ich mich aus-ge-drückt habe? Was dann?

Es ist oft eine sehr eigenwillige Sprache, die das Leben uns Menschen lehrt, in der wir uns bewegen und versuchen, uns verstehbar zu machen – uns selbst und anderen gegenüber. Die Fremdheit, die bleibt, müssen wir dann gar nicht erst nur in anderen Landessprachen suchen, liegt sie doch ebenso in der persönlichen Sprache, mit der ein Mensch versucht, sein Leben, sein Denken und Fühlen zu verworten.

Eine Sprache für sich finden

In der Psychotherapieforschung wird die Empathie dabei als wesentlicher Wirkfaktor gesehen, steht in gewissem Sinne überhaupt im Vordergrund.1 Sie bildet die Brücke, einen Menschen durch seine Welt zu begleiten, wie er sie versteht – im Changieren zwischen Bereits-verstanden-worden-Sein und „Noch-nicht-Verstehen“2. Ein Weg (selbst-)explorativer Schritte, der Entwicklung und eigenständige Problembewältigung ermöglichen kann.3 Pawlowsky beschreibt diesen Prozess eindrücklich in einer Selbsterfahrung:

„Ich habe Schwierigkeiten. Ich nehme mich sehr unklar wahr, diffuse Gefühle bedrängen mich, ich spüre, wie mir die Unklarheit zu schaffen macht. Ich beginne, mich damit zu befassen und die Unklarheit wird stärker. Ich merke, daß ich nach einem Ausdruck dafür zu suchen beginne, ein Begriff, ein Name des Gefühls formt sich in mir. Ich fühle die Scheu, die Angst, die Benennung auszusprechen, im Augenblick des Ausdrucks ist die Empfindung am stärksten, manchmal treibt sie mir Tränen in die Augen, genau dann, wenn der Name für den Augenblick der richtige ist, ist die Empfindung besonders stark, um unmittelbar danach einer augenblicklichen Erleichterung zu weichen.“4

Und Pawlowsky fasst zusammen:

„Offenbar muß der[*die] Klient[*in] – oder auch wir selbst in unserer Selbstkonzeptbildung – in der Auflösung verzerrter Symbolisierung augenblickshaft zu einem vorsprachlichen Erleben zurückkommen, um dann zu einer Neuintegration des dem Selbst entfremdeten Erlebens vordringen zu können.“5

In der Psychotherapie kann dieser Prozess durch ein Gegenüber unterstützt werden, das fallweise zum bewussten Erleben der Klient*innen auch die eigene Resonanz anbieten kann. Das Verstehen der Psychotherapeut*innen kann die Aussagen von Klient*innen in ihrer logischen Konsistenz, in ihrer psychologischen und persönlichen Bedeutung sowie in der Szene der Interaktion selbst umfassen, in der sich eine Beziehung ereignet, die selbst frühere Erfahrungen des*r jeweiligen Klient*in reinszeniert. Es kann darin in der einen Person auch eine Resonanz geben, in der etwas von der anderen spürbar wird, was letzterer selbst noch verborgen ist.6 Im Sinne dieser Erkenntnisse psychotherapeutisch zu arbeiten muss natürlich dahingehend geschulten Psychotherapeut*innen vorbehalten bleiben. Doch deutet sich bereits in diesen wenigen, noch oberflächlichen Zeilen an, welche Tiefe zwischenmenschliche Empathie erreichen kann und allgemeiner besehen, welche Phänomene intra- und interpersoneller Resonanz- und Verstehensprozesse wahrnehmbar sind.

Wann sich in der Resonanz Theologie ereignet

Auf Anfang: Was auf mich wie eine Reminiszenz an das Pfingstereignis (Apg 2) wirkt, könnte ebenso eine Situation aus einer pastoralen Encounter-Gruppe7 nach Carl Rogers sein. Eine Person beschließt, sich einem Gegenüber zu öffnen und die Begegnung nimmt ihren Lauf. Sie ist auf der Suche danach, von anderen Menschen verstanden zu werden, um sich selbst und ihre Situation zu verstehen. Sie überlegt, geht in sich, sie spricht. Es ist möglich, dass dieser Mensch nach einer Sprache für sein Erleben ringt und eine Erfahrung macht, ähnlich wie sie Pawlowsky beschreibt. Möglich auch, dass er ein Gegenüber in dieser Gruppe findet, das ihn ein Stück weit in seinem Erleben begleitet, das seine Sprache verstehen sucht, mitfühlt und etwas von dem aufnimmt, was der*die Andere ihm darlegt.

Es wird möglich, dass etwas zwischen ihnen geschieht: ein „Was willst du, dass ich dir tue?“ (Lk 18,41) oder ein Teilen von „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1). Vielleicht kann in die Erfahrung von Sehnsucht und Abwesenheit ein Gegenüber treten und sich im Angenommen-Werden das leise reminiszierende „ICH BIN DA“ (Ex 3,148) aus Kindertagen ereignen.

In der Sprache seiner eigenen Biographie, seiner inneren und äußeren Welt, mag dieser Mensch das Persönlichste von sich sagen. In seiner Erzählung liegen Erinnerungen, Emotionen, Bedeutungen, die im Hier und Jetzt einen Ort finden, einen Ausdruck und Menschen, die verstehen. Ja mehr noch, denn

„was am persönlichsten und einzigartigsten in jedem[*r] von uns ist, [ist] wahrscheinlich gerade das Element […], das in seiner Mitteilung andere am tiefsten ansprechen wird.“9

Am eigenen Leib rührt es ein Gegenüber, Beziehung entsteht und eine tiefer werdende Verbindung in der Gruppe. Wir sind uns fremd in unseren Sprachwelten, doch wie vertraut können wir werden, wenn wir uns dennoch mitteilen, wenn wir versuchen, unser Erleben zu verworten?

Von der Magie der Worte

In einer Meditation hat der brasilianische Theologe und Psychoanalytiker Rubem Alves einmal geschrieben: „Wir sind auf der Suche nach dem Ort, an dem solche magischen Worte gesprochen werden.“10 Ich möchte hinzufügen: magische Worte, die versprachlichen, was zunächst noch diffus und unklar ist. Magische Worte, die etwas in Bewegung versetzen und in denen etwas von der Fremdheit des Eigenen und des*r Anderen weichen kann. Vielleicht entfalten sie ihre Magie aber überhaupt erst da, wo sie auch gehört werden, wo sich ein Zwischenraum auftut, in dem sie nicht sang- und klanglos zu Boden fallen, sondern in einem Gegenüber und seiner empathischen Resonanz wie aufgehoben wirken. Da, wo sich jemand in ihnen wiederfindet, sie Erleichterung bringen oder auch frei machen auf Neues hin; wo sie einmal zum Pfingstereignis werden können. Vielleicht werden sie da zu „Worte[n], die den Körper verwandeln, dem Leben Sinn geben und mitten in der Nacht ein Lächeln wecken …“11

Hashtag der Woche: #verworten


Beitragsbild: Foto von Drew Beamer auf Unsplash

1 Vgl. Keil, Wolfgang W., Hermeneutische Empathie in der Klientenzentrierten Psychotherapie, in: Person 1 (1997), S. 5-6.

2 Pawlowsky, Gerhard, Die Heilung, in: Frenzel, Peter – Schmid, Peter F., – Winkler, Marietta (Hrsg.), Handbuch der Personzentrierten Psychotherapie, Köln 1992, S. 131.

3 Vgl. ebd.

4 Ebd.

5 Ebd., S. 132.

6 Vgl. Keil, Hermeneutische Empathie, S. 8.

7 In einer Kurzdefinition könnte man eine Encounter-Gruppe als Selbsterfahrungsgruppe und Präventiv-Maßnahme gegenüber psychischen Leidenszuständen beschreiben, in welcher in einem personzentrierten Klima Kongruenz, bedingungsfreie Wertschätzung und einfühlendes Verstehen von Teilnehmer*innen ohne besonderen Leidensdruck sich selbst sowie anderen gegenüber gefördert werden soll. Carl Rogers hat für diese Form der Gruppenarbeit einen Grundstein gelegt. In meiner Masterarbeit habe ich dieses Konzept auf die pastorale Praxis hin reflektiert. Vgl. Rogers, Carl R., Encounter-Gruppen. Das Erlebnis der menschlichen Begegnung, Frankfurt am Main 1984. Siehe auch: Höchtl, Dominik, Die Encounter-Gruppe als pastoraler Ort, Wien (Masterarbeit) 2022, URL: https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:1536531/get (Stand: 20.05.2023).

8 Übers. nach: Buber, Martin – Rosenzweig, Franz, Die Schrift, Bd. 1, Gütersloh 101979.

9 Rogers, Carl R., Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten, Stuttgart 1973, S. 41-42.

10 Alves, Rubem, Der Wind weht wo er will. Brasilianische Meditationen, Düsseldorf 1985, S. 24.

11 Ebd.

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dominik höchtl

studierte katholische Religionspädagogik in Wien. Neben einer laufenden psychotherapeutischen Ausbildung ist er Pastoralassistent in Ausbildung im Dekanat Innsbruck sowie in der Gesprächs- und Beratungseinrichtung "Der Brunnen im DEZ".

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