In ihrem ersten Beitrag im neuen Jahr blickt Thea zurück und gleichzeitig in die Zukunft. Was würdest du an der Situation von Jungwissenschaftler*innen in der Theologie ändern, wenn du könntest?
#ichbinthea hat drei Wünsche für’s neue Jahr.

Liebe Lesende,

kurz vor Weihnachten war es wieder so weit: Ich durfte endlich die Kultfilme aus meiner Kindheit schauen, ohne mich dabei schlecht fühlen zu müssen. Einer meiner liebsten Filme war immer schon Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Aschenbrödel, oder Aschenputtel, die ungeliebte Stieftochter, drei magische Haselnüsse, mit deren Hilfe sich ihr ganzes Leben verändert – zwar nicht über Nacht, aber nach und nach. Nicht alles läuft glatt, aber am Ende hat sie ihren Prinzen und darf im Schloss wohnen. Am Ende dieses Jahres hätte ich auch ein Märchen gebrauchen können – oder besser die drei Haselnüsse, mit deren Hilfe Aschenbrödel ihren Traum leben kann. Eine schöne Vorstellung: Am Abend des 31.12. fallen mir drei Haselnüsse in den Schoß und mit jeder Nuss ändert sich etwas für mich als Nachwuchswissenschaftlerin in der Theologie. Die Welt sähe vermutlich gleich ganz anders aus.

Wie Ihr in den vergangenen Monaten gelesen habt, müsste sich viel ändern, damit die Missstände in der akademischen Theologie, denen wir ausgesetzt sind, sich reduzieren – und auf Grund meiner leicht ungeduldigen Natur würde ich natürlich am liebsten an allen Rädchen gleichzeitig drehen. Alles muss anders werden und das am besten gestern.

Wenn ich mir aber anschaue, was ich Euch im vergangenen Jahr aus meinem Leben als Nachwuchswissenschaftlerin berichtet habe, dann springen mir tatsächlich auf Anhieb drei Dinge ins Auge, die mir ruhig als Haselnüsse verpackt vor die Füße fallen dürften.

Mehr entfristete Stellen

Zunächst einmal wäre ich froh, wenn der Weg zu einer Festanstellung seitens der staatlichen Universitätsgesetze vereinfacht werden würde. Denn derzeit brauche ich für einen entfristeten Vertrag eine Professur, und welche Herausforderungen dieser Weg für jemanden wie mich (Frau, Anfang 30, nicht geweiht) mit sich bringt, habe ich Euch bereits erläutert. Natürlich schlägt derzeit der Gedanke „Fluktuation fördert Innovation“, aber was wäre, wenn es – wie früher zumindest in Österreich üblich – wieder entfristete Stellen im Mittelbau gäbe? Die Annahme, dass neue Mitarbeitende neue Ideen und innovative Projekte mitbringen, liegt nahe, aber wäre es nicht sinnvoll, die universitären Strukturen so zu gestalten, dass Innovation innerhalb des Systems möglich wird? Könnte es außerdem nicht sogar sein, dass ein stabiler Stamm an Mitarbeitenden, die nicht dem ständigen Konkurrenzkampf um die wenigen entfristeten Stellen ausgesetzt sind und gleichzeitig profunde Kenntnisse über die eigene Universität und ihre Strukturen besitzen, das Unternehmen Universität bereichern? Darüber hinaus könnte eine höhere Zahl an entfristeten Stellen den Weg der wissenschaftlichen Berufslaufbahn wieder attraktiver machen – und welches Fach braucht diese Attraktivität dringender als die Theologie?

Abschaffung der Priesterquote

Wie Ihr euch denken könnt, ist mir als Frau die Priesterquote seit jeher ein Dorn im Auge. Durch die herrschenden Besetzungsregelungen für Professuren halte ich sowohl mich (Frauen) als auch männliche, nicht geweihte Kollegen für benachteiligt, mehr noch: diskriminiert. Mittlerweile stört mich allerdings darüber hinaus, dass die Universitäten zu den Orten unserer Gesellschaft gehören sollten, an denen mit Hilfe von wissenschaftlicher Forschung Systeme reflektiert und hinterfragt werden können.

Wissenschaftliche Forschung sollte Systeme und ihre Logiken dekonstruieren, ihre Einzelteile betrachten – oder um es leicht pathetisch zu formulieren: den Finger in die Wunde legen, bis der unversehrte Kern eines Systems zum Vorschein kommt – und dann bei der Rekonstruktion unterstützen.

Gerade die Theologie sollte daher als Wissenschaft nicht nur christliche Glaubensinhalte reflektieren und auf ihren Gegenwartsbezug hin untersuchen, sondern sich auch den Systembedingungen zuwenden, welche Kirche, die von ihr geprägten gesellschaftlichen Strukturen und damit auch die der Theologie eigenen Paradigmen und Narrative bestimmen. Das tut sie auf theoretischer Ebene durchaus, aber im vergangenen Jahr hat mich besonders die Frage danach beschäftigt, wozu wir im universitären Kontext theologische Forschung betreiben oder Studierende umfassend zu selbstdenkenden Wesen ausbilden, wenn unsere Reflexion auf die Praxis sich auf ebenjene Praxis nicht auswirkt? Klar: Ohne Theorie keine Revolution, aber sollte nicht auch die Revolution dort beginnen, wo sie erdacht worden ist? Warum tragen wir, trage auch ich als weibliche Nachwuchswissenschaftlerin ein System weiterhin mit, das nach wie vor so offen diskriminiert?

Menschen, die mehr wollen

Mein letzter und vielleicht dringlichster Wunsch resultiert aus der Sehnsucht danach, dass Theologie wieder etwas zu sagen hat. Ich habe Euch in meinem letzten Beitrag im November bereits von den verschiedenen Faktoren, die mich einerseits immer wieder zweifeln, und mich andererseits durchhalten und weitermachen lassen, berichtet. Ich wünsche mir – und das ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass ich diesen Blog schreibe – Menschen in den Hörsälen und Seminarräumen unserer Fakultäten zu treffen, die mehr wollen – für die Theologie und von der Theologie. Menschen, denen die Theologie so viel zu sagen und zu geben hat, wie mir; Menschen, die nicht aufgeben, sondern etwas verändern wollen; Menschen, die diese oft antiquiert anmutende Wissenschaft als Berufung leben wollen; Menschen, die sich nicht damit zufrieden geben wollen, tausende Seiten pro Jahr für die Regale einer Bibliothek zu produzieren; Menschen, die, ebenso wie ich, ihr Dasein als akademische Theologin nicht an der Bürotür ablegen können, sondern auch dann noch über Bibelstellen und Glaubensfragen reden wollen, wenn sie mit ihren religiös indifferenten Freund:innen an der Bar sitzen – natürlich in verständlicher Sprache und mit einer interessierten, fragenden und offenen Haltung. Ich möchte Menschen treffen, die mit ihrer Theologie nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität, und zwar sowohl in der kirchlichen als auch in der gesellschaftspolitischen Welt, etwas verändern wollen.

Ich möchte Menschen treffen, die mit der Theologie auf der Suche sind und ihrer Sehnsucht nach einer Welt folgen, die ohne die akademische Theologie weniger tiefgründig, undifferenzierter und einseitiger wäre.

Das, meine Lieben, sind meine drei Wünsche für das Jahr 2023. Ein großer Denker, ich glaube es war Goethe, hat einmal geschrieben: „Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden.“ Meine Wünsche sind groß, und vermutlich werden sie sich wohl in den kommenden zwölf Monaten nicht erfüllen. Danke, dass Ihr sie Euch trotzdem anhört! Vielleicht können wir ja im Jahr 2023 mit vereinten Fähigkeiten ein paar kleine Schritte in die richtige Richtung gehen – denn ich bin sicher, dass sich unter Euch Leser:innen einige von diesen Menschen finden, denen ich gerne begegnen möchte.

Eure Thea

 

Hashtag der Woche: #IchBinThea


Bild: @arina_krasnikova

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#IchBinThea

ist weiblich, Ende 30, seit kurzem verheiratet und hat (noch) keine Kinder. Ihre Promotion in katholischer Theologie hat sie auf einer Assistenzstelle in Deutschland verfasst. Derzeit arbeitet sie in einem Drittmittel-Projekt in Österreich an ihrer Habilitation. Wie ihre Kolleginnen Hanna und Reyhan ist sie keine reale Person, sondern eine statistische. Unter diesem Profil werden auf y-nachten.de Beiträge und Geschichten zur prekären Lage junger Theolog*innen erscheinen. Wenn auch du von deinen eigenen Erfahrungen berichten möchtest, schreib uns an thea@y-nachten.de

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