20 verschiedene Perspektiven auf Facetten des Weihnachtwerdens, auf das Potenzial, das in den biblischen Erzählungen steckt. 20 unterschiedliche Standorte, von denen aus Missstände sichtbar gemacht werden, die dem glaubwürdigen Weihnachtwerden in der römisch-katholischen Kirche entgegenstehen.  Weihnachten ist mehr als  Glanz und Gloria. Muss mehr sein. Die 20 Autor*innen aus unserem Buch „Weihnachten, kann erst werden, wenn…“ zeigen, wie das aussehen könnte. Hier kommt der zweite Teil!

Fürchtet euch nicht! Plädoyer für mehr Mut in der theologischen Wissenschaft

„Fürchtet euch nicht, nur dann kann es Weihnachten werden in der Theologie. Fürchtet euch nicht davor, keine Stellen und Gelder zu bekommen, kein nihil obstat und keine Professur. Fürchtet euch nicht davor, euch an den Rand der Diskurse und der Institutionen zu begeben. Fürchtet euch nicht vor der Missgunst der Mächtigen.“ (115)

Diese weihnachtliche Botschaft stellt Anna Kontriner angesichts eines „falsch verstandenen Pragmatismus“ (114) im universitären Theologiebetrieb, der sich einfach dem System anpasst und in Konformität übt, ins Zentrum ihrer Betrachtung.

Weihnachten kann es erst werden, wenn kirchliche Strukturen nicht mehr diskriminieren

Die Weihnachtsgeschichte ist  nach Lisa Baumeister, Luisa Eisele und Claudia Danzer bereits

„in ihrer narrativen Grundlegung eine, die wenig glamourös, stereotyp-ideal ist, sondern vielfältig und lebensnah. Was sich im berichteten Verhalten Jesu gegenüber seinen Mitmenschen zeigt, deutet sich in der Weihnachtsgeschichte bereits an. Die Menschen und ihre Lebensumstände sind vielfältig und nichts daran ändert die bedingungslose Liebe, mit der Gott* ihnen begegnet. Im Sinne dieser Erzählung kann für uns erst Weihnachten werden, wenn die Menschwerdung Gottes* tatsächlich als Liebeserklärung an die Menschen in ihrer Vielfalt gefeiert wird und sich diese Erkenntnis endlich auch in den kirchlichen Strukturen wiederspiegelt.“ (120)

Die drei Initiator*innen der Initiative Mein Gott diskriminiert nicht identifizieren implizite Säulen der Macht in der römisch-katholischen lehramtlichen Theologie und Kirche, die einer glaubwürdigen Feierkultur von Weihnachten als Fest der Liebeserklärung Gottes* zu den Menschen entgegenstehen und geben Impulse für Veränderung.

Vor verschlossenen Türen

„Neben der Wärme des Wohnzimmers, dem flackernden Feuer im Kamin, dem guten Essen und dem Zusammensein mit der Familie“ gibt es ein Bild, das sich für Daniela Ordowski mit Blick auf die biblische Weihnachtserzählung festgesetzt hat:

„das Bild der verschlossenen Tür“ (126) und die Erkenntnis, dass es „schlussendlich eine andere, unerwartete Tür [war], die offen stand.“ (132) Angesichts dessen macht sie deutlich:„ Es darf nicht sein, dass wir die Menschenrechte an den Kirchenmauern abprallen lassen und Menschen vor verschlossener Tür zurücklassen.“ (131) „Wir brauchen,“ auch das zeigt der Blick in die Weihnachtsgeschichte, „einen Ort, an dem die Türen weit offen stehen, umgeben von Menschen, die das herrschende System nicht stützen wollen.“ (133)

Stille Macht, heilige Macht! Das einsame Wachen der Kirche über ihre Macht und was erwachen muss

Gregor Podschun betont, dass der befreienden Botschaft von Weihnachten das unfreie Machtsystem der Institution Kirche gegenübersteht:

„Weihnachten existiert, Gott ist Mensch geworden und hat sich klein gemacht. Gott hat sich radikal hineingegeben in diese Welt und Gott reformiert diese Welt jeden Tag aufs Neue radikal – durch Liebe.“ […] „Die Kirche muss Weihnachten wieder auf diese Weise leben: sich radikal hineinbegeben in die Situation, sie erkennen, annehmen und sich radikal verändern – ohne Rücksicht auf ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit, auf ihre Macht und ihre Vertreter, sondern wegen der Menschen. Die Kirche muss diese in ihrer Freiheit ansprechen, sie Mensch sein lassen.“ (140)

„Nichts ohne uns über uns!“

Inwiefern der Weihnachtsgottesdienst ein Beispiel für die Feier von Gottes Menschwerdung ist und daran der Stand der Inklusion in der Kirche evaluiert werden kann, macht Julia Rath folgendermaßen deutlich:

„Damit Weihnachten werden kann, müssen ableistische Strukturen in der Kirche umfänglich erkannt und aufgebrochen werden. Menschwerdung und die weihnachtliche Verantwortung anzunehmen, heißt auch die Vielfalt der Menschen wertzuschätzen, sie als Normalität anzuerkennen und zu fördern.“ (146)

Wenn es ganz dunkel geworden ist

Wo Weihnachten werden kann, bringt Doris Reisinger folgendermaßen auf den Punkt.

„Der Moment, in dem endlich viele begreifen, dass sich genau da, wo auf den ersten Blick nur Elend ist, gerade das alles entscheidende Wunder vollzieht. Bei den von Gott geliebten Menschen, die sich, ausgegrenzt von anderen, notdürftig mit allerhand Provisorien operierend, zusammengefunden haben und sich gegenseitig helfen und Mut machen. […] Der Moment, in dem Hirten und Gelehrte sich auf den Weg machen, um ihnen ihre Gaben zu bringen. Nicht in den Palast des Herodes und auch nicht in die Häuser der Etablierten, sondern in den Stall. Dorthin, wo Engel Loblieder anstimmen, weil Gott das Heil für alle will und weil es greifbar wird, allen Verhinderungsversuchen der Mächtigen zum Trotz.“ (153f.)

Und sie zogen auf einem anderen Weg heim (Mt 2,12) – Die Geburt der Kirche als LGBT*-Heimat

Ruben Schneider entdeckt im Verhalten der Sterndeuter Richtungsweisendes für innerkirchliche queere Emanzipationsbewegungen:

„Die Sterndeuter erkannten die Absichten hinter dem Wohlwollen der herrschenden Ordnung und zogen auf einem anderen Weg weiter. Auch wir müssen unseren eigenen Weg gehen, um das Geheimnis der Geburt Jesu weiterzutragen. Dies gilt für alle Emanzipationsbewegungen in der Kirche. Die Diskriminierten müssen Subjekte und Akteur*innen ihrer eigenen Befreiung werden und können nicht weiter den vorgegebenen Bahnen der herrschenden Ordnung folgen. Und dadurch ereignet sich Weihnachten und wird die Kirche fortwährend neu geboren.“ (160)

Kinder in Afrika wahrlich Kinder sein lassen

Solange Sia und Rodrigue Naortangar fragen in ihrem Beitrag: Was muss eine Kirche leisten, die solche Erzählungen ihr Fundament nennt, damit Kinder Schutz erfahren und unbeschwert Weihnachten feiern können?

„Zwar ist Jesus in Armut geboren, aber ihm hat der integrale Schutz von Joseph, Maria und den Engeln nicht gefehlt. Man erinnere sich an die Flucht nach Ägypten, um das Kind vor Herodes zu schützen (Mt 2,13-23), an die Sorge von Maria um ihr Kind, wie sie bei Müttern meistens der Fall ist (Lk 12,42-51), an die verschiedenen Erscheinungen von Engeln vor Joseph, um die Geburt Jesu vorzubereiten (Mt 1,18-25), und vor den Weisen, um das Leben Jesu zu schonen (Mt 2,12).“ (168f.)

Von Strohhalmen und Menschwerdung und warum manchmal in Kneipen eher Weihnachten wird als in der Kirche

„Ich habe Weihnachten schon werden sehen“, sagt Raphaela Soden.

„Im Mut zur Transition. In Momenten, in denen sich Menschen wahrhaftig voreinander gemacht haben mit dem Risiko, verletzt zu werden. In dem Workshop, in dem eine Person sich vor allen sichtbar gemacht und sich als trans geoutet hat. […] Weihnachten wird zum Glück nicht erst, wenn die römisch-katholische Kirche nicht mehr diskriminierend, missbräuchlich und gewaltvoll ist. Doch wie schön wäre es, wenn sie nicht länger der Grund dafür wäre, dass Menschen sich wünschen, es möge doch endlich Gerechtigkeit regnen über alle?!“ (177)

Wer bin ich für dich? Von der transformativen Kraft der Liebe

Marita Wagner versteht ausgehend von der weihnachtlichen Botschaft die Weltkirche als Gemeinschaft der Liebe und zeichnet vor, was das gerade angesichts rassistischer Strukturen, die an Weihnachten zum Tragen kommen, für Konsequenzen hat:

„Entscheiden wir uns für die Annahme des uns an Weihnachten zugesprochenen Ja G*ttes und damit für die Liebe, so entscheiden wir uns gegen die kollektive Angst und damit gegen jedwede Form von Gewalt und Abschottung. Ein erster Schritt hin zu einer liebenden Gerechtigkeit kann die positive Affirmation diverser weltkirchlicher Lebens- und Glaubensrealitäten sein. Dies schließt auch die Berücksichtigung derjenigen ein, die durch die normierte weiße Jesusdarstellung aus der kirchlichen Gemeinschaft gedrängt und unterdrückt werden und zugleich durch Krippenfiguren, die rassistische Stereotype bedienen, abgewertet werden.“ (185f.)

Mit diesen kritischen O-Tönen zum O-du-Fröhlichen leisten die Autor*innen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer Kirche in der Welt von heute. Die Redaktion dankt ihnen hiermit noch einmal ausdrücklich für ihre Aufrichtigkeit, ihren Mut und ihre kritische Stimme und wünschen denen, die diese Berichte lesen, ein besinnliches Weihnachtsfest!

Eure y-nachten Redaktion.

Hashtag: #esynachtet


(Beitragsbild: @enrique)

Print Friendly, PDF & Email