Warum eigentlich noch Theologie? Wozu als Theolog*in arbeiten? Im neuen Beitrag meldet sich #ichbinthea und fragt nach dem Sinn theologischen Forschens angesichts so vieler Anfragen.

Liebe Lesende,

während die Tage kürzer werden, sitze ich an meinem Schreibtisch und sehe vor mir eine Liste mit Themen, über die ich mit euch noch reden will. Während ich vom Jetset, Priesterquoten und Berufungsproblemen erzählt habe, ist in mir die Frage aufgetaucht: Wozu das Ganze eigentlich? Braucht es uns Theolog*innen noch? Einige Aspekte lassen mich manchmal daran zweifeln.

Ist Veränderung möglich?

Auf der einen Seite sehen wir uns mit Problemen unserer Religionen und Konfessionen konfrontiert. Viele von uns haben den Willen, etwas zu ändern. Wir sehen, dass das nur schleppend möglich ist. Egal wie gut etwa die Argumente im Synodalen Prozess für die eine oder andere Seite sein mögen: Am Ende scheinen es Kirchenpolitik, Geldnot, Missbrauchskrise oder äußere Repression zu sein, welche zu Veränderungen oder notwendigen Reformen führen. „Wozu also mein Leben und meine geistige Energie einsetzen, wenn der Feuerstein meines Geistes kaum je genug Glut haben wird, um den Funken der Veränderung zu schlagen?“ – so höre ich meinen inneren Jeremia schreien.

Ist Theologie noch relevant?

Durch diese äußeren Faktoren mitbedingt, wird meine Disziplin innerhalb der Wissenschaften andererseits immer wieder als „ideologieanfällig“, „ideologisch“, „hintergestrig“, „unkritisch“ oder auch schlicht als „irrelevant“ bezeichnet. Wie soll man einer Medizinerin, die eine neue chirurgische Methode erfunden hat, erläutern, dass es in der Kirche kein Patent auf Reformen und kein Rezept für schnelles Seelenheil gibt? Wie soll man einem freigeistigen Philosophen klar machen, dass die eigenen Grenzen unserer Disziplin oft selbstgewählter Konsens aufgrund einer aus dem Glauben begründeten Rationalität sind? Oder wie einer Mathematikerin herleiten, dass die innere Logik unserer Argumente zwar valide ist, deshalb aber noch keine persuasive Kraft entfalten muss? Wie also soll Theologie systemrelevant sein und ihre staatliche Gegenfinanzierung rechtfertigen?

Sich ständig verteidigen müssen

Und schließlich unsere Studierenden. Wir sehen ihre Zahl beständig sinken und spüren, dass sie den gleichen harten Fragen ausgesetzt sind, die auch wir und die Generation vor uns schon hören mussten: „Was machst du denn damit?“, „Für diesen ‚Verein‘ willst du später mal arbeiten?“, „Ist das nicht alles Hirnf*ckerei?“, „Ihr diskriminiert doch Frauen.“, „Alle Religionen sind gewalttätig.“, „Wenn es einen Gott gibt, warum dann… [setze eine der unzähligen Möglichkeiten ein].“

Und dann beobachte ich das Verhalten der Studierenden in diesen Situationen, aber mehr noch in den Lehrveranstaltungen. Die einen sind ganz in sich gekehrt, kaum bereit zu antworten und auch nicht mehr willens, sich immer wieder verteidigen zu müssen mit Argumenten, die ohnehin überhört oder als nicht ausreichend abgewiesen werden. Wie sollen sie später dann verkündigen in der Schule, dem Bistum oder der Welt? Wie kann ich sie lehren, dass Vertrauen auf Gott ihnen die Kraft geben kann, notfalls bis in die Ewigkeit hinein geduldig und meist liebevoll diese Fragen zu beantworten, wenn das Gegenüber die Antwort tatsächlich hören will?

Metaphysisches Gedankenprojekt

Andere sind einfach neugierig und wollen sich unsere Antworten anhören, ein guter Teil davon hat jedoch innerlich bestimmte Vorzeichen schon gestrichen, sodass sie die kulturwissenschaftliche oder philosophische Seite, die Sinndimension usw. interessiert, nicht aber die Spiritualität, das harte Ringen mit Dogmatik oder der Offenbarung. Wie kann ich mich tagtäglich vor sie stellen, und ihnen theologisches Ringen begreifbar machen, wenn sie existentiell bereits eine kleine Grenze gezogen haben, wenn Jesus Christus für sie als Erlöser kaum mehr als ein metaphysisches Gedankenprojekt ist?

Die Charismatiker*innen

Und dann die Gruppe der charismatisch motivierten Studierenden. Sie sind der derzeitige Favorit vieler katholischer Bischöfe, weil ihr Esprit und ihre Treue zur Kirche und ihren katechistischen Werten auflockernd und beruhigend wirkt. Irgendwie wird es mit der Kirche schon weitergehen, junge Menschen spüren noch die Kraft des Evangeliums.

Höchstes Ziel dieser Studierenden scheint es zu sein, viel über ihren Glauben zu hören und bestätigt zu bekommen, was sie bereits in ihren Gemeinschaften und Gruppen gehört haben. Sie sind wenig offen für das Ringen anderer, für die lang gewachsene Tradition hinter den Fragen, die Kontextualität der Bibel in ihrer historischen und göttlichen Bestimmtheit oder für jene Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Wie kann ich die Kraft ihres Zeugnisses am Leben halten und sie zugleich vom Abgrund des Fundamentalismus und der Exklusivität fernhalten, ohne ihnen gleich den mitreißenden Glauben zu nehmen? Wie dringe ich zu dieser Gruppe überhaupt durch? Und ist es das wert, im Vergleich zur wesentlich größeren Gruppe von Glaubensangehörigen, die nicht im Fokus stehen und die deshalb häufig spirituell hungern müssen?

Warum weitergehen?

Hinter meinen Fragen und Selbstzweifeln steht nicht etwa eine Herbstdepression am Vorabend einer „winterlichen Kirche“ (Karl Rahner), sondern die Frage, weshalb ich, Thea, diesen Weg mit meiner Kirche und in der Aufgabe als universitärer Theologin mit meiner Kirche weitergehe. Ich spüre, dass das Zeugnis des Jeremia (20,7-13) für mich gilt, ich also nicht anders kann. Doch mit und für die Kirche zu leben, ist Hingabe, den Problemen unwidersprochen zu entgehen, ist Feigheit.

Welche ersten Antworten kann ich mir, einer Frau, welche viele der Hoffnungen und Freuden, Trauer und Ängste ihrer Zeit wahrnimmt, in diesem konkreten Fall geben? Und welche Antworten oder Hinweise könnt ihr mir geben – jedenfalls nur vorläufige und fragmentarische (schreibt sie mir gerne unter thea@ynachten.de).

Einsatz für Reformen

Viele Menschen setzen sich derzeit für Reformen ein und diese haben es sogar bis nach Rom geschafft: 43 Seiten hat das Dokument für den nächsten Schritt des Synodalprozesses der Weltkirche und es wird weitere Feedbackschleifen geben, welche die Bischöfe von der Verantwortung entbinden, nach den Umfragen die Meinungen der Menschen erraten zu müssen. Hier können wir Theolog*innen helfen, den Christ*innen die komplexen Texte verständlich zu machen und gemeinsam mit und als Teil von ihnen unsere Heimatbischöfe über den Willen und Glauben ihrer Ortskirchen auf dem Laufenden zu halten.

Gemeinsam Theologie betreiben

Die inneruniversitäre Begegnung ist ein so großes Thema, dass ich dazu eigens und andernorts noch einmal nachdenken will – also steht es jetzt auf meiner Liste. Bleiben noch die Studierenden. Für die vielen kleinen und großen Entwicklungsschritte, für die Diskussionen und Rückmeldungen bin ich unglaublich dankbar. Gemeinsam mit ihnen treibe ich Theologie und entwickle ich auch meinen Glauben weiter. Mein Gefühl ist, dass sie die moderne Grenze von rein rationaler akademischer Tätigkeit und gelebtem Glaubenszeugnis nicht mehr akzeptieren, aber auch keinesfalls zur vorneuzeitlichen Form der referierten Glaubenswahrheit zurückkehren wollen. In meiner Lehre erreiche ich sie dann am besten, wenn ich neben den harten Fakten auch auf mein eigenes Ringen, die Entscheidungen der Auslegungsgemeinschaft, für die ich durch missio und venia legendi spreche, und auf ihre Anfragen reagierend, meine eigenen Antworten und Zugänge offenlege. Das Theologiestudium wird damit auch zum Ort des Zeugnisses und der Verkündigung und ist nicht mehr nur „katechetisch“ und/oder „rational“.

Ein Spagat

Dieser Spagat aber verlangt viel mehr von mir, als der Karrieredruck erlaubt. Und doch scheint er mir auch das zu sein, was Gesellschaft, Geisteswissenschaften und Glaubensgemeinschaften heute brauchen: ein kompetent-authentisches Gesamtpaket, das in der Antike noch mit der Tugend der Weisheit identifiziert werden konnte – heute aber in-time produziert sein soll.

Ich danke euch, dass ihr meinem gedanklichen Ausflug heute für eine Teelänge gefolgt seid. Nächstes Mal befinden wir uns schon in der adventlichen Zeit der Jahresrück- und ausblicke. Ich freue mich schon, wenn wir uns dort wiedersehen!

Eure Thea

Hasthag: #IchBinThea


Bild: Drew Coffman auf Unsplash

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#IchBinThea

ist weiblich, Ende 30, seit kurzem verheiratet und hat (noch) keine Kinder. Ihre Promotion in katholischer Theologie hat sie auf einer Assistenzstelle in Deutschland verfasst. Derzeit arbeitet sie in einem Drittmittel-Projekt in Österreich an ihrer Habilitation. Wie ihre Kolleginnen Hanna und Reyhan ist sie keine reale Person, sondern eine statistische. Unter diesem Profil werden auf y-nachten.de Beiträge und Geschichten zur prekären Lage junger Theolog*innen erscheinen. Wenn auch du von deinen eigenen Erfahrungen berichten möchtest, schreib uns an thea@y-nachten.de

One Reply to “#IchBinThea – Eine Teelänge dem Wozu nachhängen”

  1. Ich habe lange überlegt, ob ich hierzu überhaupt etwas schreiben soll, insbesondere zu der Frage: Ist Theologie noch relevant? Hier sind wohl in erster Linie Theologen angesprochen, die sich also bereits auf dieses Fach festgelegt haben. Sie stellen sich teilweise selbst Fragen nach der Sinnhaftigkeit dieses Studiums, könnten sich aber letztlich nicht eingestehen, dass ihr Fach nicht sinnvoll wäre, weil sie sonst nicht einfach weitermachen könnten, zumal die Berufsperspektiven nicht die besten sind.

    Ich bin Ingenieur und war um das Abitur zeitweise interessiert, ob Theologie mir mehr über Gott sagen könnte, ob sie meine Zweifel ausräumen könnte. Mein offensichtlichster Kritikpunkt waren einige in der Bibel berichteten Wunder, die sich naturwissenschaftlich so nicht zugetragen haben konnten. Es gab auch noch andere Punkte, z. B. das Theodizeeproblem, die Trinitätslehre, Erlösungslehre, erkennbare Widersprüche zwischen den Autoren verschiedener biblischer Bücher usw., aber dort konnte man sprachlich-philosophisch-dialektisch vieles irgendwie lösen oder zumindest solange weiter diskutieren, bis einer Kontrahenten es satt hatte und aufhörte, ohne überzeugt zu sein.

    Aber um ganz offensichtliche Widersprüche zu den Naturwissenschaften kommt man nicht herum. Die Theologie versucht meinem Eindruck nach aber genau dieses, selbst wenn sie sich dadurch bei vielen Menschen unglaubwürdig macht. Möglicherweise ist es sogar so, dass sie es genau wegen der Wichtigkeit der Wundergeschichten, insbesondere der (körperlichen) Auferstehung Christi, nicht erlauben kann, auf naturwissenschaftliche Argumente einzugehen, was das Ganze einem echten Dilemma werden lässt.

    Ich mache deswegen einen großen Bogen um Theologie. Das, was daran wissenschaftlich wertvoll ist, könnte man von mir aus in den Bereichen Alte Sprachen, Kunstgeschichte, Philosophie, evtl. auch Psychologie unterbringen.

    Viele Grüße

    Thomas Jakob

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