Fesselnd, großartig grauenvoll und bis ins letzte Detail durchdacht – das ist wohl oder übel die passende Charakterisierung für das Serienhighlight Midnight Mass, das gerade seinen ersten Geburtstag feiern durfte. Doch das ist nicht der Grund, warum Felix Fleckenstein sich die Miniserie noch einmal genauer angesehen hat: Denn Midnight Mass pervertiert die christliche Hoffnungsbotschaft derart perfekt, dass es einem kalt den Rücken herunterläuft. 

Es steht schlecht um die kleine Gemeinde auf der fiktiven Insel Crockett Island. Durch eine Ölkatastrophe wurde die Gemeinschaft vor einigen Jahren schwer gebeutelt und viele der Einwohner*innen haben der Insel den Rücken gekehrt. Denn außer Krabbenfischerei gibt es hier nichts. Zudem ist das Zusammenleben der verbliebenen Menschen von Spannungen und traumatischen Konflikten geprägt. Die Stimmung auf der Insel ist also durchweg düster und mutlos. 

Einzig der Glaube scheint einen Funken Hoffnung und Zusammenhalt zu stiften und so versammeln sich fast alle Inselbewohner*innen sonntäglich in der katholischen Kirche St. Patrick. Doch Monsignore Pruitt – seit Generationen das Herz dieser Gemeinde – erholt sich auf dem Festland von einer beschwerlichen Pilgereise nach Israel, die dem schon stark dementen Priester wohl die letzten Kräfte geraubt hat. Und so kommt der junge, charismatische Father Hill vorübergehend als Seelsorger auf die Insel – im Gepäck eine große verschlossene Truhe, die der Gemeinde zum Verhängnis werden wird.

Theolog*innen, die auf Serien starren

Warum ist die Serie jedoch gerade aus theologischer Perspektive so interessant? Zum einen zeigt schon das Framing, dass Glaube hier keine Nebenrolle spielt. Denn die sieben Episoden sind nach Büchern der Bibel vom ersten bis zum letzten benannt: Genesis, Psalmen, Sprichwörter, Klagelieder, Evangelien, Apostelgeschichte und Offenbarung. Diese Titelgebung schlägt sich auch inhaltlich in den Episoden nieder, dort wird nämlich mehrfach aus dem entsprechenden Buch zitiert und Buchfragmente werden als allegorische oder wörtliche Erklärung für das Geschehen benutzt. Zum anderen präsentiert uns die Produktion von Mike Flanagan einen Katholizismus, der liturgisch, ekklesiologisch und systematisch-theologisch fehlerlos erscheint. Die Inszenierung ist musikalisch und visuell bis ins letzte Detail ein Meisterwerk: Hintergrundmusik, liturgische Farben, Gemeindegesänge, Gebete, Messablauf und theologische Diskussion sind in ihrer Darstellung tadellos und könnten ohne Zweifel das Leben einer realen kleinen Inselgemeinde darstellen. Doch springen wir nun direkt zum Kern der Handlung: ‚der Kommunion der Heiligen‘.

Die Kommunion der Heiligen

Die Mysterien beginnen als Father Hill die querschnittsgelähmte Leeza am Ende der zweiten Folge auffordert aufzustehen und zur Kommunion an den Altar zu treten. Die Gemeinde empfindet das als grausamen Scherz, doch Leeza erhebt sich und tritt wackligen Schrittes zur Kommunion – ein Wunder! Doch damit nicht genug, denn auch die demenzkranke Mildred, gewinnt – im Zuge täglicher Krankenkommunion – kontinuierlich an Lebensenergie und scheint um Jahrzehnte verjüngt. Brillen, Hörgeräte und Gehhilfen werden unter den Einwohner*innen überflüssig und die Gemeinde erfreut sich einer neuen Vitalität. St. Patrick füllt sich zu den täglichen Gottesdiensten zunehmend und ein szenischer Querschnitt in die Häuser und Leben der Menschen zeigt uns, wie idyllisch das Leben nun ist. 

Was geschieht nur auf dieser Insel? Father Hill hat für seine Gemeinde eine prophetische Antwort: Kommunion, Transsubstantiation, Wunder, Übers-Wasser-Gehen, Auferstehung von Leib und Seele und Ewiges Leben seien keine schillernden Übertreibungen, sondern werden sich auf dieser Insel ereignen. Den Grund, warum all das möglich sein soll, verschweigt der Geistliche jedoch. Nur wir Zuschauer*innen erfahren durch die Beichte des Fathers: Ein verwirrter Monsignore Pruitt (wir erinnern uns: der ehemalige Pfarrer) entfernte sich auf der Straße von Damaskus von seiner Reisegruppe, streifte verloren durch die Wüste und geriet während eines Sandsturms in eine freigelegte Höhle. In der Dunkelheit der uralten Höhle begegnete der Monsignore einem Engel. Dieser stürzte sich auf Pruitt und labte sich an dessen Blut. Aber statt ihn zu töten, gab er dem Geistlichen von seinem Blut zu trinken. Das Blut des Engels verjüngte den Monsignore und so kehrte er als Father Hill zusammen mit dem Engel zurück nach Crockett Island, damit auch seine Gemeinde diese heilige Kommunion empfange. Durch die Kelchkommunion erhalten nun auch alle auf der Insel Anteil am Blut des Engels und an der damit einhergehenden Vitalität des Leibes. 

Doch große Freude ist nur durch großes Leid zu gewinnen, und Gott wird schreckliche Dinge von seiner Gemeinde verlangen, bevor allen die Auferstehung zu Teil werden wird, predigt Father Hill am Karfreitag. Diese finale Glaubensprüfung ereignet sich schließlich in der Ostervigil – der Midnight Mass. Monsignore Pruitt (bzw. Father Hill) verspricht, dass jeder in dieser Nacht die Gelegenheit bekomme wie Christus aufzuerstehen. Jedoch müsse der irdische Körper sterben, damit der göttliche erwachen könne. Dafür brauche es eines kurzen Moments des Glaubens und des Mutes. Einer der Getreuesten macht den Anfang, trinkt einen Becher voll Rattengift, stirbt qualvoll vor den Augen der Gemeinde und kehrt ins Leben zurück. Die Situation beginnt zu eskalieren. Einige versuchen zu fliehen, viele Trinken das verteilte Gift und die ‚Auferstandenen‘ können ihren neugewonnen Durst nicht beherrschen: Sie stillen ihren Blutdurst an den verbliebenen Frauen, Männern und Kindern – das Haus Gottes wird zur Schlachtbank. Auferstehen werden nun nur diejenigen, die zuvor zur Kommunion der Heiligen gekommen waren, über den Rest werde Gott richten. Wer am Ende der letzten Episode jedoch richten wird, ist die Sonne. Der Tagesanbruch lässt sämtliche ‚Auferstandene‘ in Flammen aufgehen. Auch der ‚heilsbringende‘ Engel verglüht auf seiner Flucht. Die nun wieder querschnittsgelähmte Leeza und ihr Freund Warren sind die einzigen Überlebenden der todbringenden Ereignisse auf Crockett Island. 

Was heißt eigentlich „sterben und auferstehen“?

Mit Christus sterben und auferstehen bedeutet in Midnight Mass, den Tod willkommen zu heißen und anschließend auf dem biologischen Höhepunkt des eigenen Selbst zu erwachen. Der Preis dafür ist ein qualvoller Tod, unstillbarer Blutdurst und ein fortwährendes Leben in Dunkelheit. Kurzgesagt: Unsterblichkeit für die Auserwählten und todbringende Verdammung der ‚Ungläubigen‘. In Midnight Mass geht es also um viel mehr als unterhaltsamen Horror. Die Serie zeigt, wie leicht blinder Fanatismus um sich greifen kann, wie die biblischen Texte und die befreiende Botschaft des Christentums zur Unheilsmacht werden können und sogar grauenvollste Qualen legitimieren. Es ist fast schon surreal, wie perfekt Mike Flanagan die Botschaft der Auferstehung und die Glaubensüberzeugung der sakramentalen Gegenwart Christi dazu benutzt, dass Father Hill eine ganze Insel davon überzeugen kann, sich freiwillig umzubringen, um zu selbstsüchtigen Vampiren zu werden. 

Alles, was Nachfolge Christi ausmacht, wird hier auf den Kopf gestellt und im Gewand scheinbarer Frömmigkeit in narzisstische Bahnen gelenkt. Selbst Monsignore Pruitt gesteht zum Schluss, dass er all dies in Wahrheit nur tat, um mit seiner Jugendliebe eine zweite Chance auf ein gemeinsames Leben zu haben – ein letztlich unerfüllter Traum. Ironischerweise sind es ausgerechnet die scheinbar Frommsten, die am Ende alle Glaubenshoffnung aufgeben und mit größter Verzweiflung versuchen, dem sicheren Tod zu entkommen. Die übrige Gemeinde der hinters Licht geführten Inselbewohner steht stattdessen Hand in Hand am Ufer des Meeres und singt dem nahenden Sonnenaufgang entgegen: Nearer, my God, to Thee, nearer to Thee!

Midnight Mass ist eine bildgewaltige Serie, nach deren Ende man erstmal einen Moment zum Durchatmen und Verarbeiten braucht, die aber auch beim zweiten Ansehen nichts von ihrem Gänsehautfaktor verliert – ein absolutes Muss für alle theologisch-interessierten Horrorfans. 

Hashtag der Woche: #midnightmass


(Beitragsbild: Netflix)

felix fleckenstein

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Zurzeit arbeitet er an einer Promotion zur hermeneutischen Frage der Interpretation biblischer Texte zwischen Exegese und Dogmatik.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: