Füße, die man wegen der sommerlichen Trockenheit zu waschen hat, kannte Julius Kreiser bisher nur aus der biblischen Erzählung. Der trockene Sommer 2022 konfrontiert ihn aber damit und mit der Frage, wie man in Krisen bereits visionäre Alternativen aufbauen kann.
„Wow, this looks like a well needed cleaning.“ Ich schaue nach rechts und sehe einen Mann Ende 20, mit braunen Haaren und leichtem Bart. Dann richte ich meinen Blick wieder nach vorne auf das Waschbecken, in das ich meinen Fuß gehalten habe. „Yeah, it’s an opposite like day and night“, sage ich und deute dabei abwechselnd auf meine beiden Beine, das eine im Waschbecken und bereits gereinigt vom Dreck, das andere noch völlig eingestaubt und auf dem Boden. Es ist ein brauner, erdiger Staub und meine Füße sind an diesen Tagen immer wieder voll davon. So voll, dass ich sie mir schon zum zweiten Mal an diesem Tag wasche.
Was ist ein Klima-Camp?
Ich befinde mich auf dem „System Change Camp“ in Hamburg Anfang August, wo sich Klimabewegungen aus der ganzen Welt zusammenfinden. Hier wird über neue Perspektiven für diese diskutiert, von hier aus starten aber auch Aktionen mit dem Ziel, fossile Infrastruktur zu blockieren und zu stören. Das Camp funktioniert nur, weil sich alle beteiligen, ein bisschen so, wie es manche aus Taizé vielleicht kennen – mit dem Unterschied, dass hier niemand gezwungen wird, irgendwo zu helfen. Jede Person entscheidet selbst, für welche Aufgabe sie wann Zeit hat. Es ist auch kein richtiges Waschbecken, in dem ich nun auch meinen zweiten Fuß wasche, sondern viel eher ein meterlanges Rohr mit vielen Wasserhähnen und improvisierten Planen-Becken darunter.
Der Staub, den ich abwasche, kommt nicht von irgendwo her, denn der Boden ist so unfassbar trocken, dass wohl das letzte Wasser die sonst so weiche Erde verlassen hat und nur noch kleine Körnchen überbleiben.
Hamburg ist von einer großen Trockenheit betroffen, wie auch der Rest der Bundesrepublik und Europas. Das merke ich an Bildern von vertrockneten Flüssen und auf meiner Hinfahrt per Bahn, wo viele Landstriche beinahe gelb leuchten, weil ihre Wiesen so trocken sind.
Fußwaschung damals und heute
Die Klimakrise ist in Europa angekommen. Ich habe noch nie so eine große Trockenheit erlebt, dass ich mir mehrmals am Tag die Füße waschen musste. Das Waschen von Füßen ist ungewohnt für mich. Ich kenne es eigentlich nur aus der Erzählung aus dem Johannes-Evangelium, wo Jesus seinen Jüngern beim letzten Abendmahl die Füße wäscht, was so auch in der klassischen Gründonnerstags-Liturgie inszeniert wird.
Als Kind habe ich nie verstanden, was daran das Besondere sein soll. Warum denn ausgerechnet die Füße? Mir wurde damals erklärt, dass in Jesu Umwelt die Menschen nun mal alle immer Sandalen trugen und sich so der Staub und Dreck viel leichter direkt an den Füßen sammeln konnte. Die Logik hinter dieser Praxis erschließt sich mir nun ganz von selbst. Allerdings trage ich Adiletten statt Sandalen und der Staub in Hamburg ist wahrscheinlich weniger sandig als der in Jerusalem.
Was mir als Kind auch erzählt wurde, wenn ich nach der Sinnhaftigkeit dieser Praxis fragte, war, dass die ganze Handlung natürlich vor allem symbolisch zu verstehen sei.
Jesus wäscht die Füße nicht nur aus Höflichkeit, sondern um seinen Jünger*innen, wie er selbst auch andeutet, aufzuzeigen, dass mit ihm Herrschaftsmuster und Hierarchien durchbrochen werden. Wenn er selbst als Gottes+ Sohn schon bereit ist, Aufgaben, die sonst nur für Sklav*innen vorgesehen waren, zu übernehmen, dann kann das auch jede*r seiner Jünger*innen tun.
Diese Handlung ist, wie vieles andere in Jesu Praxis, Vorausgriff auf das Reich Gottes+, in dem also Menschen nicht mehr als Sklav*innen zu dienen haben, sondern in dem Gott+ und ihre Gerechtigkeit herrschen.
Vorausgreifen einer besseren Zukunft
Ein ähnliches Vorausgreifen merke ich auch hier im Camp vor Ort. Die Klimagerechtigkeitsbewegung kämpft nicht nur gegen den Ausbau fossiler Infrastruktur, die für uns alle den zivilisatorischen Kollaps bringen wird. Sie versucht dabei selbst auch Hierarchien und Herrschaftssysteme in ihrer gegenwärtigen Praxis schon zu durchbrechen und zu reflektieren. Denn diese Klimakrise wird sich nicht nur erschreckend ungerecht auswirken, sie ist, wie auch der Club of Rome jüngst bestätigte,[1] das Ergebnis von unfassbar gewaltvollen Herrschaftssystemen: Patriarchat, Kolonialismus, Kapitalismus. Möchte die Bewegung aus dieser Krise heraustreten und eine bessere Zukunft für uns alle möglich machen, dann muss sie zu diesen Systemen Alternativen aufzeigen können. Und das bedeutet auch, diese Alternativen in ihrer gegenwärtigen Praxis schon sichtbar zu machen.
Ich werde in Hamburg also nicht nur mit einem biblisch anmutenden Wetter und Staub konfrontiert, sondern auch mit ähnlichen Verweisen auf eine kommende größere Gerechtigkeit, wie sie auch Jesus mit seinen Gleichnissen vom Reich Gottes+ andeutet. Ich finde es darum schade, wie zurückhaltend sich Kirche bisher zur Klimabewegung verhält. Denn sind wir ehrlich:
Die alte Floskel der „Bewahrung der Schöpfung“ hat keine Dorfkirche im Rheinland vor dem Abriss bewahrt und sie ist von ihrem Naturverständnis her eigentlich nicht mehr anschlussfähig an zeitgenössische Debatten zur Klimagerechtigkeit.
Es sollte sich doch sicherlich lohnen, als Kirche nicht alleine nur an der eigenen Schuld zu verzweifeln, sondern auch mit Visionen von sich werben zu können. Visionen einer vollen Gerechtigkeit für die Menschen und einer Gemeinschaft, die sich den Armen dieser Gesellschaft zuwendet. Denn in Zeiten steigender Unsicherheit, sozialer Ungleichheit und Queerfeindlichkeit werden diese es sicherlich brauchen.
Hashtag der Woche: #fußwaschung
(Beitragsbild: Anton Ivanchenko)
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/club-of-rome-studie-103.html [20.10.2022]