Willkommen im Marienmonat Mai, den für uns Eva Puschautz mit einer Einladung zu einem marianischen Frühjahrsputz einläutet. Sie fragt sich dabei: Wie lässt sich die Figur Maria vom patriarchalen Überbau entstauben?
Mai. Frühling, Sonne, Blumen blühen, man kann der Natur förmlich dabei zuschauen, wie sie sprießt und neues Leben hervorbringt. Der Frühling als fruchtbare Zeit mit seinen länger werdenden Tagen und der Mai als Höhepunkt des Frühlings wurde im Christentum bald mit Maria, der Mutter Jesu, verbunden. Hauptsächlich wollte man wohl römische und germanische Maifeste, die sich nicht verbieten ließen, christlich besetzen. Maria, die als Jungfrau den Erlöser der Welt und damit das Licht der Welt geboren hat, wurde zum starken christlichen Zeichen für das Licht des Frühlings und das damit einhergehende neue Leben. Der Mai ist in der katholischen Tradition also schon lange der Monat, der eng mit Maria verbunden ist. Maiandachten, Rosenkranzgebete, Pilgern zu Marienwallfahrtsorten und besonders prächtiges Schmücken von Marienstatuen in Kirchen sind nur ein Bruchteil gläubiger Ausdrucksweisen, durch welche Maria im Mai besonders geehrt wird.
Die umstrittene Maria
Maria ist im katholischen Umfeld eine durchaus umstrittene Figur. Sie ist großes Vorbild, Trost für viele, oder Vertrauensfigur im Gebet. Aber in ihrem Namen werden (besonders) Frauen auch Erwartungen eingepflanzt, die sie in ihrem Ausdruck und ihrer Entfaltung beschränken, verängstigen oder gar traumatisieren.
Elizabeth Johnson beschreibt in ihrem Buch „Truly our sister“ wie anhand von Idealvorstellungen, wie Frauen sein müssen, Mädchen unter Druck gesetzt wurden, indem ihnen Maria als Vorbild vorgehalten wurde. Maria wird zu einer Art „Überfrau“ gemacht, an der alle anderen Frauen nur scheitern können. Das beginnt damit, dass sie Jungfrau und Mutter ist, ein Umstand, den wohl keine andere Frau erreichen wird, und setzt sich besonders dramatisch damit fort, wenn die Unterwürfigkeit und der Gehorsam Marias als Vorbild und nachahmenswert dargestellt wird. Gehorsam, der in unserer Zeit dann Männern zu erbieten ist und im katholischen Bereich besonders Klerikern. Maria präsentiert sich in all ihrer Glorie, ist aber immer gehorsam und schon gar nicht geweiht. Sie ist geschäftig, aber gleichzeitig unterwürfig. Sie ist die geduldige, leidende Helferin, die Fürbitte sprechen, aber nicht entscheiden kann.1
Verloren für den Feminismus
Die biblischen Quellen, die wir über Maria haben, sind spärlich. Zwölf Mal kommt sie in den Erzählungen des Neuen Testaments vor. Bereits in der Entwicklung der Evangelien zeigt sich, dass die Autoren ihre je eigenen Vorstellungen von dieser Person über die möglicherweise historischen Erzählkerne legen. Und kirchliches Lehramt hat die Figur der Maria sowieso immer wieder neu erfunden und neu betont, je nachdem, wie es kirchenpolitisch gerade opportun war. Feministische Bibelauslegung als Hermeneutik versucht die Frauengestalten in Texten sichtbar zu machen, Gottesbilder zu suchen und zu beschreiben, die über den alten Mann mit weißem Bart auf einer Wolke hinaus gehen, oder besonders mithilfe der Methoden der Sozialgeschichte auf die Lebensrealität von Frauen in der Entstehungszeit der biblischen Texte hinzuweisen. Sie hat Maria lange Zeit ihrem Schicksal überlassen, mit der resignativen Feststellung, dass das Marienbild zu sehr aus androzentrischer Typologie besteht, als dass man feministisch noch etwas an ihr finden könnte.2 Kari Børresen geht soweit zu sagen:
„Durch männliche Theologen auf den Begriff gebracht, entwirft die biblische und dogmatisch tradierte Maria ein feministisches Ideal, das sich eigentlich patriarchisch charakterisiert.“3
Männer entwerfen also in Maria die perfekte Frau als Vorbild für alle anderen Frauen und dieses Idealbild passt praktischerweise in die Vorstellung der Architekten des Idealbildes davon, wie Frauen sein müssen, damit Männer in ihrer Welt und vor allem in ihrer Macht möglichst wenig gestört werden. Deswegen – so Børresen – muss Maria hintangestellt werden. Sie ist verloren für feministische Bearbeitung.
Niemals befreiend
Auch Jürgen Becker schreibt, dass es weitgehend übereinstimmende Erkenntnis der feministischen Exegese ist, dass es interessantere Frauen zu bearbeiten gibt als Maria:
„Weiter dürfte wohl (fast) unwidersprochen gelten, dass die historische Mutter Jesu schon wegen der nur noch ganz schwach erkennbaren Konturen überhaupt ungeeignet ist, befreiungstheologisch oder feministisch begriffen zu werden.“4
Auch Elisabeth Schüssler Fiorenza hat sich durchaus kritisch zur Frage nach Maria in der Exegese geäußert: Schüssler Fiorenza versuchte Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts darzulegen, dass der Mythos rund um Maria, die Mutter Jesu, nie als für Frauen befreiend gestaltet wurde. Sie beschreibt die Position Marias als Jungfrau und Mutter, die keine andere Frau je erreichen kann, die Frauen jedoch auf eine dieser beiden Rollen festlegt. Schüssler Fiorenza tritt dafür ein, neue Bilder für Frauen zu eröffnen, die tatsächlich bestärkend wirken können in patriarchalen Strukturen und die auf Veränderung hinarbeiten können. Beispiel für sie ist Maria Magdalena.5
Die menschliche Maria
Meine Frage für diesen Marienmonat Mai ist: Reicht uns das? Müssen wir Maria als Feminist*innen verwerfen? Sind alle Bilder, die wir von ihr haben dermaßen patriarchal vermint, dass sie selbst darunter nicht mehr zu finden und nicht mehr zu retten ist? Oder können wir nach Ansätzen suchen, wie diese Frau, die so vielen Menschen so viel bedeutet, ein positives Vorbild für Menschen heute sein kann?
Elizabeth Johnson hat in ihrem Buch „Truly our sister“ eine Möglichkeit vorgeschlagen, das zu tun: Wir sollen Maria erlauben Mensch zu sein und sie von ihrer überhöhten, unerreichbaren Position befreien. Durch ihr Menschsein wird sie von der überhöhten, unantastbaren Königin, gegen die man als Frau*, aber auch als Mann*, nur verlieren kann, zur Schwester im Glauben. Sie bleibt Vorbild, aber sie wird greifbar.
Ich möchte einladen, diesen Mai zu nutzen, um die biblischen Texte zu Maria (wieder) zu lesen. Um zu überlegen, welche marianischen Vorbilder unser Denken von ihr prägen und um dann nach Ansätzen zu suchen, wie diese Frau unser (Glaubens-)leben heute positiv bereichern kann.
Hashtag der Woche: #mariafeminista
Beitragsbild: Jaunathan Gagnon/Unsplash
1 Vgl. Johnson, Elizabeth A., Truly Our Sister. A Theology of Mary in the Communion of Saints, New York, NY 2006, 11.
2 Vgl. Børresen, Kari E., Maria in der katholischen Theologie, in: Moltmann-Wendel, Elisabeth (Hg.). Was geht uns Maria an? Beiträge zur Auseinandersetzung in Theologie, Kirche und Frömmigkeit, Gütersloh 21991, 72–87, 83.
3 Ebd.
4 Becker, Jürgen, Maria. Mutter Jesu und erwählte Jungfrau (Biblische Gestalten 4), Leipzig 22013, 26.
5 Vgl. Schüssler Fiorenza, Elisabeth, Feminist Theology as a Critical Theology of Liberation, in: Theological Studies 36 (1975), 605–626, 624.