Was wurde aus #IchBinHanna? Benedikt Collinet hat das neue Buch zum Hashtag gelesen, fasst die zentralen Gedanken für uns zusammen und denkt sie gleich auf einen katholisch-theologischen Kontext weiter.

Dass der Kapitalismus auch die deutschsprachigen Universitäten erreicht, und dort zu befristeten Arbeitsverträgen, notorisch unbezahlten Überstunden und kompetitiver Verfahren geführt hat, ist längst keine Neuigkeit mehr. Als dann aber das Bundesdeutsche Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Video1 postete, in welchem es Werbung für das Wissenschaftszeitvertraggesetz (WissZEitVG) machte, indem die fiktiv-animierte Biologin Hanna ihre wissenschaftliche Karriere entlang der befristeten Verträge mit Freude plant und sich darüber froh zeigt, dass nicht „eine Generation alle Stellen verstopft“, ging der nicht-entfristete Mittelbau auf die Barrikaden. Besondere Aufmerksamkeit erregte die twitter Aktion #IchBinHanna2, die von drei Aktivist*innen 2021 ins Leben gerufen wurde und unter der Wissenschaftler*innen von ihren systemisch-prekären Situationen erzählen.

Ein Buch zur prekären Wissenschaft

Am 27. März ist nun das zweite Buch von Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon zu diesem Thema erschienen: „#IchBinHanna– Prekäre Wissenschaft in Deutschland“3 klärt dabei über Hintergründe und die Entstehung eines besonders kompetitiven Arbeitsrechts auf, das sich zwar nicht eins zu eins, aber doch in grundlegenden, teils sogar schärferen, Problemen auch in der österreichischen Forschungs- und Universitätslandschaft widerspiegelt. Was die Situation in der Theologie zusätzlich verschärft, darauf wird am Ende kurz eingegangen.

Das Buch erläutert in vier Kapiteln auf knapp 120 Seiten die Genese der aktuellen Diskussion sowie die Entstehungsstufen des WissZeitVG und dem damit ständig wachsenden Druck. Die Autor*innen zeigen dabei anhand von Zahlen und Beispielen die vielfältigen Dimensionen des Problems auf, das hier erzeugt wird. Der universitäre Aufstieg sei immer schon ein steiniger Weg für eine elitäre, finanziell abgesicherte und überwiegend männliche Gruppe gewesen. Dies wurde im 20. Jahrhundert durch diverse Stipendien, Frauenquoten u.ä. aufgelockert, doch mit der Zeit schlichen sich die Mechanismen auf anderen Wegen wieder ein. Noch härter ist es für Menschen mit Migrationshintergrund und People of Colour, die daher ergänzend #IchBinReyhan verwenden.

Probleme, Probleme, Probleme

Unbezahlte Überstunden und das Verfassen der Qualifikationsarbeiten außerhalb der Arbeitszeit sind vielerorts Realität, selbst wenn der Arbeitsvertrag anderes sagt. Doch wo sich beschweren, wenn man nicht entfristet ist und die Verlängerung des eigenen Vertrages primär bei den eigenen Dienstvorgesetzten und deren Unterstützung liegt?

Ein weiteres Problem ist die familiäre Situation (S.85): Von den Wissenschaftler*innen wird heute verlangt, dass sie global mobil sein sollen, ständige Forschungs- und Lehraufenthalte durchführen, Tag und Nacht erreichbar sind und darüber hinaus befristete Anstellungen in Kauf nehmen, die nicht selten auf Teilzeit laufen. In dieser Situation eine Beziehung zu führen, geschweige denn eine Familie zu gründen, ist sehr herausfordernd und drängt nicht selten vor allem die Partner*innen in eine klassische Rollenverteilung und zwingt damit gerade Frauen, ihren Karriereweg zu beenden. Viele Forschende sind daher Single oder zumindest erzwungen kinderlos.

Amrei Bahr, Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon: #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Suhrkamp 2022, Klappenbroschur, 144 Seiten, ISBN:
978-3-518-02975-6

Ein zweites Prekariat

Um sich die Situation in Zahlen vor Augen zu führen, belegt eine aktuelle Studie, dass derzeit im deutschen Sprachraum ca. 92% der unter 45-jährigen wissenschaftlichen Universitätsangestellten in einem befristeten Dienstverhältnis stehen (S.13), d.h. umgekehrt, dass nicht einmal jede zehnte Person einen gesicherten Arbeitsplatz hat, und deshalb, wenn sie Pech hat, in einem schlechten Alter auf den freien Markt gehen muss, wo sie maßlos überqualifiziert und spezialisiert ist für die Dinge, die dort nicht gesucht sind. Diese Zahlen, so die Autor*innen, sind auf dem Arbeitsmarkt in ihrem Ausmaß beispiellos und erzeugen damit neben den Bildungsmarginalisierten ein zweites Prekariat.

Fehlschlüsse

Auf der anderen Seite verlieren die Forschungseinrichtungen laufend hochwertiges und langwierig ausgebildetes Personal, eine Strategie, die niemand in der freien Wirtschaft verfolgen würde. Dahinter steckt der Fehlschluss, dass durch Leistungsdruck und ständigen Wechsel Effizienz und Innovation erzeugt würde (S.39; 45f.), wohingegen unnötige Verkürzungen und Portionierungen von Forschung sowie das Abwandern der Höchstqualifizierten, das Ergebnis sind (S.51-53; 100). Darüber hinaus sinkt die Stellung der Lehre bei den Lehrenden immer weiter, weil sie nicht zum eigenen Prestige gerechnet werden kann und daher nebenbei betrieben werden muss, was wiederum mittel- und langfristig zu schlechter ausgebildeten Studierenden führen wird (S.110).

Matthäus-Prinzip

Ein weiterer Faktor sind die finanziellen Kürzungen im Bildungsetat bzw. das Umstellen auf kompetitiven Drittmittel-Verfahren (DM). Das Einwerben von Geldern ist sowohl für die Bewerbungen, als auch für die Erhaltung der eigenen Stelle essentiell, doch gleichzeitig gibt es im Grunde keine Möglichkeit von einer solchen Stelle aus entfristet zu werden, sodass man sich von Vertrag zu Vertrag hangeln muss (S.23). Die meisten DM werden außerdem nach dem Matthäus-Prinzip (Mt 13,12; 25,29par) vergeben (S.59) und nur an Trend-Themen vergeben, sodass Grundlagen- und nicht-vermarktbare Forschung seltener zum Zug kommen (S.93).

Österreich und die Kette

In Österreich verschärft sich dieses Problem noch, weil die DM in den Kettenvertrag und nach jüngster Neuregelung (UG Novelle 2021) in die maximalen Jahre einbezogen werden, d.h. man kann an einer Universität nur mehr acht Jahre (mit Unterbrechungen) befristet angestellt sein, danach gibt es Entfristung oder keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung dort. Dies ist folglich noch prekärer als die 12-Jahres-Regelung in Deutschland, bei der zumindest die DM-Projekte nicht mitgerechnet werden und so eine gewisse Standortstabilität möglich ist, auch wenn andererseits die Regelung nicht pro Universität, sondern bundesweit gilt.

Etwas muss sich ändern…

Die Forderungen der #IchBinHanna-Bewegung haben es zumindest in der BRD ins neue Regierungsprogramm geschafft, was aber keine Umsetzung garantiert. Die grundlegenden Forderungen sind dabei am Ende des Buches noch einmal aufgelistet (S.117-119). Es geht dabei um Perspektiven, Entfristungen, alternative Daueranstellungen neben einer Professur, z.B. in der Wissenschaftskommunikation und ein Bekenntnis zum Bildungsstandort (S.106; 112).

Und die Theologie?

Brechen wir an dieser Stelle den Durchgang durch das Buch ab und widmen uns noch kurz den Besonderheiten einer katholisch-theologischen universitären Laufbahn. Während die Geisteswissenschaften im oben beschriebenen System ohnehin schlechtere Karten haben, werden theologische Studien oft noch grundsätzlicher in Frage gestellt, was einen Wechsel in eine andere Disziplin deutlich erschwert. Die Theolog*innen wollen also nicht nur, sie müssen häufig auch in ihrer Disziplin verbleiben und sind daher dem Leistungsdruck noch stärker ausgesetzt.

Dazu kommen kirchliche und kirchenrechtliche Besonderheiten, welche die Situation weiter verschärfen, z.B. die Prüfung der eigenen Lebensumstände und die Konformität mit der kirchlichen Lehre in den (neuerdings wiederholten) nihil-obstat-Verfahren, verpflichtendes außer-universitäres Engagement, Priesterquoten, vollstipendierte Kleriker, die Forderung nach Familie oder Zölibat usw.

Es gäbe noch viele Beispiele und weitere Probleme hier aufzulisten, doch dafür wäre ein anderes Format vonnöten. Etwa ein #IchBinThea-Special, in welchem essayistisch über die aktuelle Situation reflektiert wird und Theolog*innen (auch anonym als Thea) ihre Erfahrungen schildern können.

 

Hashtag der Woche: #IchBinHanna

Beitragsbild: Oscar Keys / Unsplash


1 https://www.youtube.com/watch?v=PIq5GlY4h4E

2 https://twitter.com/hashtag/IchBinHannah

3 https://ichbinhanna.wordpress.com/

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dr. benedikt collinet

studierte katholische Theologie, Religionswissenschaften und Komparatistik. Er promovierte und habilitiert sich im HB/AT. Neben Biblischer Theologie und Hermeneutik interessiert er sich für Kirchenpolitik, kritische Männerforschung, erzählende Texte und Filme.

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