Heilige KI? Alexandra Palkowitsch stellt Ähnlichkeiten zwischen unserem Sprechen über Künstliche Intelligenz und Religion1 fest – und überlegt, was das für eine theologische Auseinandersetzung bedeutet.

Im November 2021 hat Mark Zuckerberg in online frei zugänglichen Videos die Umbenennung des Facebook-Konzerns in ‚Meta‘ sowie seine Vision eines ‚Metaverse‘2 vorgestellt und damit international Schlagzeilen gemacht. Theolog*innen, die sich diese Ankündigungen ansehen,3 fühlen sich vermutlich nicht nur an (möglicherweise mühsame) Stunden des Griechischvokabellernens erinnert, sondern vielleicht auch an Anderes aus den Anfängen ihres Studiums: Bei Zuckerbergs häufiger Wiederholung des Wortes ‚beyond‘ (jenseits, darüber hinaus) und der Rede von Erfahrungen, die „jenseits von allem, was wir uns vorstellen können“, „jenseits räumlicher und physikalischer Grenzen“ usw. liegen, mögen bei manchen die ersten Begegnungen mit dem Wort ‚Transzendenz‘ anklingen.

Es könnte fast so wirken, als ob Facebook/Meta die menschliche Frage nach dem Jenseitigen, dem Darüberhinausgehenden mit der Programmierung eines virtuellen Universums beantworten wollen würde.

Künstliche Intelligenz ist dafür von hoher Bedeutung, soll sie doch der „Kitt werden, der das Metaverse zusammenhält“.4

Zumindest noch einen Schritt weiter ging die 2015 gegründete Organisation „Way of the Future“.5 Sie verstand sich als eine Gemeinschaft, die an eine auf KI basierende Gottheit glaubte und sich darauf vorbereitete, diese in Gottesdiensten zu verehren. Auch wenn die „Way of the Future“-Kirche Ende 2020 wieder geschlossen wurde, ist ihr zuvor in Führungspositionen von großen Technologiekonzernen tätiger Gründer Anthony Levandowski von ihren Inhalten nach wie vor überzeugt – und damit im Silicon Valley auch nicht alleine.6

KI mit Religion zu verbinden und nach religiösen Konnotationen und Ansprüchen in der KI-Welt zu suchen, liegt vor diesem Hintergrund eigentlich sehr nahe – für die weitere Auseinandersetzung damit soll zunächst mehr Klarheit in den Ausdruck der Künstlichen Intelligenz gebracht werden.

Zum Begriff der Künstlichen Intelligenz7

Der Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ verleitet dazu, sich seiner Bedeutung ausgehend vom Phänomen menschlicher Intelligenz anzunähern und KI als eine computergenerierte Nachahmung eben dieser zu verstehen. Da damit Missverständnisse vorprogrammiert sind, schlagen Petra Grimm und Nadine Hammele stattdessen vor, vom computersprachlichen ‚Intelligence‘ auszugehen, was sie mit ‚Informationsverarbeitung‘ übersetzen. Menschliche Intelligenz wird demgegenüber breiter verstanden: Sie schließt Informationsverarbeitung zwar mit ein, geht aber weit darüber hinaus und umfasst beispielsweise auch emotionale und soziale Aspekte. Vor diesem Hintergrund meint KI nach den beiden Autorinnen „den computerbasierten Einsatz von Algorithmen, die Muster und/oder Zusammenhänge in komplexen Daten erkennen und auf deren Grundlage Lösungsvorschläge generieren können.“

Zum besseren Verständnis außerdem sehr wertvoll kann folgende Unterscheidung in starke und schwache KI sein: Während sich schwache KI-Systeme auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme beziehen (und dabei dem Menschen in manchen Bereichen „schon“ jetzt weit voraus sind), wäre eine starke KI (KI mit allgemeiner Intelligenz oder Superintelligenz) den intellektuellen Fähigkeiten des Menschen in allen Bereichen ebenbürtig bzw. überlegen. Ob es eine solche je geben wird, wird stark hinterfragt.

Mithilfe der Differenzierung in starke und schwache KI wird auch der Unterschied des KI-Verständnisses in den beiden oben genannten Beispielen deutlich. In der „Way of the Future“-Kirche erwartet man die Entstehung einer starken KI und bereitet sich darauf vor, diese als göttlich zu verehren. Die Ankündigungen des Metaverse kommen dagegen völlig ohne die Vorstellung einer starken KI aus, dennoch lassen sich die oben angedeuteten Analogien zum religiösen Bereich wahrnehmen.

KI und Religion / KI als Religion

Für besseres Verständnis dieser Parallelen bietet die Religionswissenschaftlerin Inken Prohl hilfreiche Grundlagen. Sie unterscheidet zwei Bereiche der Untersuchung von KI und Religion. Einerseits ist der Einfluss von KI auf Religionen bzw. der Einsatz von KI durch Religionen zu betrachten. Prohl nennt diesen thematischen Block ‚KI und Religion‘. Andererseits tritt KI als etwas Religionsähnliches in Erscheinung, Prohl dazu: „discourses and practices of AI increasingly adopt characteristics of a formation analogous to religion.“8 Diesen Aspekt kann man mit ‘KI als Religion’ betiteln.9 Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt auf dem zweiten Themenblock.

Spannend ist, dass Prohl aus religionswissenschaftlicher Perspektive im Bereich von KI als Religion von einem starken ‚Glauben‘ an KI-gestützten Fortschritt und seine allumfassende (Er-)Lösungsmacht spricht. Den Religionswissenschaften schreibt sie angesichts der damit verbundenen Probleme der KI-Welt – sie nennt u. a. den Androzentrismus, die enge Verknüpfung von Macht- und Kapitalinteressen mit technologischer Entwicklung sowie die Verstärkung von Ungleichheit – diagnostisches Potential zu.10

Einen ähnlichen Beitrag könnte wohl auch die Theologie leisten, indem sie zur Analyse der verschiedenen Formen des KI-Glaubens die ihr eigene Denkweise einbringt und dadurch kritische Impulse setzt. So könnten z. B. Konzepte wie der eschatologische Vorbehalt, die Unverfügbarkeit Gottes, die Option für die Armen für einen solchen Zugang fruchtbar gemacht werden. Der Blick auf KI durch die Lupe von ‚KI als Religion‘ kann dann durchaus wichtige Aspekte der Thematik aufdecken, und das nicht nur in Gedankenexperimenten zu möglichen starken KIs der Zukunft, sondern auch in Bezug auf die (quasi-)religiösen Ansprüche, die mit so manch schwachen KI-Systemen der Gegenwart verbunden werden.

Hashtag der Woche: #HolyIntelligence


(Beitragsbild @Dominik Scythe)

1 Der Anstoß, sich diesem Verhältnis zu widmen, stammt vom Katholischen Bildungswerk Oberösterreich, das im März 2022 eine Tagung mit dem Titel „Künstliche Intelligenz als neue Religion?“ veranstaltet.
2 Der Begriff ‘Metaverse’ ist kein von Facebook/Meta erfundener, siehe z. B. Art. metaverse, in: Oxford Dictionary of the Internet 32013, verfügbar unter: https://www.oxfordreference.com/view/10.1093/acref/9780191744150.001.0001/acref-9780191744150-e-2104?rskey=YouZaS&result=1992 (16.02.2022).
3Die folgenden Sätze beziehen sich insbesondere auf Meta, Introducing Meta, verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=pjNI9K1D_xo (16.02.2022). Die Zitate stammen daraus.
4 Pichler, Georg, Alles für das Metaverse: Meta stellt Supercomputer „AI Research Supercluster“ vor, in: DerStandard.at, 24.01.2022, verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/2000132800276/alles-fuer-das-metaverse-meta-stellt-supercomputer-ai-research-supercluster (16.02.2022).
5 Den Hinweis auf die Existenz dieser Gruppierung verdanke ich Überlegungen von Irene Klissenbauer.
6 Vgl. Beuth, Patrick, Way of the Future: Man kann Kirche nicht ohne KI schreiben, in: Die Zeit online, 18.11.2017, verfügbar unter: https://www.zeit.de/digital/internet/2017-11/way-of-the-future-erste-kirche-kuenstliche-intelligenz/komplettansicht (16.02.2022); Graziosi, Graig, Alexander Levandowski: Former Google executive pardoned by Trump shutters AI church and donates funds to NAACP, in: The Independent, 19.02.2021, verfügbar unter: https://www.independent.co.uk/news/world/americas/alexander-levandowski-google-trump-pardon-ai-church-naacp-b1804927.html (16.02.2022).
7Vgl. als Grundlage für den gesamten Abschnitt: Grimm, Petra / Hammele, Nadine, Künstliche Intelligenz: Was bedeutet sie für die Autonomie des Menschen?, in: Grimm, Petra u. a. (Hg.), Digitale Ethik. Leben in vernetzten Welten, Ditzingen 2019, Kap. 10.2. Sowie Filipović, Alexander, Nur Science Fiction? Ethische Problemzonen der Künstlichen Intelligenz, in: Herder Korrespondenz 3 (2021), 13-15.
8 Prohl, Inken, The Materialities of AI Belief at the Futurium, Berlin, in: Material Religion 17/2 (2021), 286-290, DOI: 10.1080/17432200.2021.1897306.
9Siehe dazu auch die Übersicht über ihren Forschungsschwerpunkt auf ihrer Instituts-Website: https://religionswissenschaft.zegk.uni-heidelberg.de/mitarbeiter/pages/Prohl-AI/index.html (16.02.2022).
10Prohl Inken, Material Religion and Artificial Intelligence, in: Material Religion 17/4 (2021), 540-543, DOI: 10.1080/17432200.2021.1947028.

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alexandra palkowitsch

Alexandra Palkowitsch hat Katholische Religionspädagogik in Wien studiert. Ein Auslandssemester führte sie an die Universität Göteborg in Schweden. Seit Oktober 2019 ist sie Prae-Doc-Assistentin am Fachbereich für Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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