Heute erscheint das Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ von Sarah Vecera. Daria Ronellenfitsch hat es schon gelesen und nimmt uns mit ins Buch:

Am 19. Februar 2022 jährte sich der rassistische Anschlag von Hanau bereits zum zweiten Mal. Vor zwei Jahren mussten neun Menschen sterben, weil in unserer Gesellschaft eine Ideologie strukturell und subtil eingepflanzt und weiter reproduziert wird, deren Überwindung notwendig und deren Enttarnung und Benennung häufig zu heftigen Abwehrreaktionen in der weißen Dominanzgesellschaft führt. Diese Ideologie heißt: Rassismus. Als gesamtgesellschaftliches Problem betrifft es auch die Kirche(n). In dem neuerschienenen Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ analysiert Sarah Vecera ihre Erfahrungen mit Rassismus in der Kirche, benennt dort (vor)herrschende Dynamiken, die Rassismus reproduzieren und plädiert für die Sensibilisierung und die Entwicklung hin zu einer Kirche, Rassismus kritisch ist und die Verantwortung für ihre Vergangenheit übernimmt.

Eine Einladung

Bereits in der Einleitung stellt Sarah Vecera heraus, woran ihr mit dem Buch gelegen ist: „Durch die Verflechtung von persönlichen Erfahrungen und Hinweisen auf allgemeine Strukturen will ich auch zum Ausdruck bringen, dass Rassismus viel mehr ist als individuelle Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung. Er ist ein Merkmal unseres Systems, unserer sozialen und kirchlichen Strukturen. Weil Rassismus unsere christliche Gemeinschaft vergiftet, ist er unser aller Problem und geht uns alle etwas an.“1

Diese Tatsache ist von grundlegender Bedeutung und Vecera erinnert so daran, dass die Wurzeln vieler Sachverhalte, die sie in ihrem Buch sichtbar macht, geschichtlich gewachsen sind und in komplexen Dynamiken existieren. Ihr Beitrag soll „keinen fertigen Masterplan darstellen wie wir nach einem Zehn-Punkte-Plan Rassismus aus der Kirche verbannen, vielmehr dazu dienen, miteinander ins Gespräch zu kommen.“2 Diese Einladung zur kritischen Auseinandersetzung und Selbstreflexion spricht Vecera dem*der Leser*in im Verlauf des Buches immer wieder aus und leistet durch gezielte Reflexionsfragen dem*derselben unterstützend Hilfe.

Von falschen safe spaces

An verschiedenen Stellen des Buches wird der*die Leser*in dazu aufgefordert, selbst zu reflektieren, wo ihm*ihr Rassismus in der Kirche und in kirchlichen Institutionen begegnet. Durch die Schilderung ihrer persönlichen Erfahrung bzw. die Erfahrung anderer People of Color, die Vecera durch deren Gäst*innenbeiträge zu Wort kommen lässt, wird dem*der weißen Leser*in die eigenen weißen Selbstverständlichkeit aufgedeckt. Vecera konfrontiert beispielsweise das proklamierte Selbstverständnis der Kirchen ein „Safe Space“ zu sein mit Sami Omars Anfrage, ob dieses Ideal des geschützten Raums auch unter dem Blick auf People of Color durchgehalten werden kann. Sarah Vecera folgt Omars Gedanken und stellt die Frage in den Raum, ob „Kirchen und Jugendarbeit nicht höchstens für heteronormative, weiße Mitttelschichts-Menschen ein Safe Space [sind]?“3 Dieser Perspektivenwechsel, den Sarah Vecera weißen Leser*innen spiegelartig vor Augen hält, wirft immer wieder die gleiche Grundanfrage auf, die auch in anderen Debatten über marginalisierte Gruppen dominiert: Wer hat die Macht und Deutungshoheit? Wer bestimmt, was die Norm ist? Vecera deckt auf, dass der Wunsch nach „Hier sind alle willkommen und gleichwertig!“ den Trugschluss enthält, den sie so zusammenfasst: „Wir sind hier nur ein Safe Space, solange alle derselben Meinung sind und unsere weiße, heteronormative, eurozentrische Mittelschichts-Perspektive auf diese Welt als die Norm wahrnehmen.“4

Was wissen wir alles nicht?

Um die heute wirkenden Machtverhältnisse zu identifizieren und zu verstehen, wie das Konstrukt der Menschenrassen erfunden wurde, hilft ein Blick in die Geschichte. Sarah Vecera rekonstruiert ausführlich, wie gerade große Aufklärer wie Voltaire, Kant und Hegel – die heute in der wissenschaftlichen Theologie Symbolfiguren einer freiheitstheoretischen Theologie darstellen – dazu beitrugen, Rassismus zu implementieren und Schwarze Menschen als Unterdrückte systematisch zu entmenschlichen.5 Die Tatsache, dass dieser Teil der geschichtlichen Entwicklung in der weißen Dominanzgesellschaft und somit auch in der vorwiegend weißen Kirche in Deutschland häufig unerwähnt bleibt und bis dato zu wenig kritisch hinterfragt wird, lässt die Autorin fragen: „Was wissen wir alles nicht?“6

Das veranlasst Vecera dazu, einen Blick darauf zu werfen, wer wie in den Kirchen repräsentiert wird und welche Identifikationsangebote gemacht werden. Zentral wird hier dann auch die Frage, die dem Buch seinen Titel verleiht. Historisch unumstritten ist, dass Jesus Person/Jude of Color war. Die Frage „Wie ist Jesus weiß geworden?“ liegt daher nahe und Sarah Vecera zeichnet anschaulich nach, wie Jesus vom biblischen Bilderverbot, über die Römerzeit hin zur kolonialen, europäischen Missionarszeit nicht nur weiß, sondern auch Christ wurde. Sie fasst zusammen: „Im Prinzip geschah mit Jesus genau das, was generell zur Kolonialzeit geschah: Jesus wurde inkulturiert ohne zu benennen, dass dies passierte. Es wurde als Standard und Wahrheit verkauft. Das Christentum wurde instrumentalisiert und hat sich instrumentalisieren lassen. Das ist letztendlich das Problem.“7

Scherbenhaufen beseitigen

Rassismus als solchen zu identifizieren und zu benennen ist schmerzhaft für alle Beteiligten. Das wird beim Lesen des Buches immer wieder deutlich. An einer Stelle spricht Vecera von dem Gefühl, von einem Scherbenhaufen zum nächsten zu blicken. Sie verspricht jedoch, nach der Auseinandersetzung mit dem Schmerzhaften Ideen zu teilen, wie wir gemeinsam und langsam die Scherbenhaufen beseitigen können.8 Die Ermöglichung von Antirassismus-Trainings und die Befähigung zur kritischen Selbstreflexion kirchlicher Mitarbeiter*innen, ehren- oder hauptamtlicher müssen hierbei ein Anfang sein. Dabei fällt auf, dass es nicht einfach ist, von heute auf morgen Dinge zu ver- bzw. neu zu lernen, die uns bereits von klein auf immer und immer wieder eingewoben werden. Durch die kritische Auseinandersetzung, die unsere Dialogfähigkeit trainiert und durch das Zugeständnis, das Veränderung ein steter Prozess ist, fordern diese Worte Veceras zum Ende hin zur Verantwortungsübernahme auf: „Natürlich ist das 500 Jahre alte System des Rassismus nicht unsere persönliche Schuld, aber wir haben uns alle bereits schuldig gemacht, auch wenn wir dies nicht bewusst mit Absicht taten. Wir entkommen dem Ganzen nicht. Es ist wie mit dem Klimawandel oder globaler Ungerechtigkeit. Unser Leben in unseren Breitengraden baut darauf auf, dass wir in einem kapitalistischen und rassistischen Weltsystem auf Kosten anderer leben. Dass wir es schlussendlich nicht auflösen können, können wir aber zunächst anerkennen und gleichzeitig Verantwortung übernehmen.“9

Hashtag der Woche: #fightracism


(Beitragsbild: @Clay Banks)

1 Sarah Vecera, Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus, Ostfildern 2022, 15.
2 Ebd. 16.
3 Ebd. 26f.
4 Ebd. 27.
5 Vgl. ebd.72f.
6 Ebd. 73.
7 Ebd. 123.
8 Vgl. ebd. 109.
9 Ebd. 179.

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daria ronellenfitsch (sie/ihr)

studiert Katholische Theologie an der Universität Freiburg und arbeitet als studentische Hilfskraft am Arbeitsbereich Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie sowie am Arbeitsbereich Christliche Gesellschaftslehre.

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