Die katholische Kirche hat Handlungsbedarf, was die Anerkennung queerer Identitäten betrifft, so die Herausgeber*innen des Buches „Katholisch und queer“ Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann und Mara Klein. Katharina Mairinger folgt der Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln und stellt das Buch vor.

Ein Wandel ist längst überfällig! Der Grundtenor dieser Aussage zieht sich von der Einleitung der Herausgeber*innen Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann und Mara Klein über alle 49 Beiträge des im Bonifatius-Verlag erschienenen Sammelwerks „Katholisch und queer“ bis hin zu den am Ende angedeuteten Ausblicken. Angestoßen durch den Synodalen Weg tritt dieses Buch für eine Veränderung der katholischen Lehre und Praxis in Bezug auf queere Identitäten ein und artikuliert die Notwendigkeit dessen mit den im ersten Teil geteilten Lebenszeugnissen, den Perspektiven aus dem Nahbereich im zweiten Teil und den Perspektiven von Verantwortungsträger*innen. Deutlich wird in der Zusammenstellung der Teile wie auch dem Ausblick am Ende, dass es dem Buch um die „Idee des Wandels [geht], die eine Problemanzeige, Forderung nach und Hoffnung auf Veränderung in sich vereint“ (15). Inwieweit dies gelungen ist, soll abschließend beurteilt werden.

Teil I: Lebenszeugnisse von queeren Menschen in der katholischen Kirche erfordern Mut

Bereits die Tatsache, dass die Einklagung von Wertschätzung, Achtung und Anerkennung der eigenen Identität in der katholischen Kirche Mut erfordert, sollte das Volk Gottes nachdenklich stimmen. Besonders der Teil zu den Lebenszeugnissen, welcher die Hälfte des Buchumfanges ausmacht, konfrontiert die Leser*innen mit den vielfach verletzenden und diskriminierenden Strukturen der katholischen Kirche. Der Wert dieser Darstellungen aus dem persönlichen Umfeld und individuellen Nahbereich – seien sie anonym oder mit Namen – kann nicht hoch genug angerechnet werden. Denn tatsächlich wird so ein Gefühl der strukturellen Schieflage sichtbar gemacht, die erschreckenderweise in mancherlei Abhandlung als individuelles Einzelschicksal abgetan wird. Die Breite findet sich auch thematisch, denn es werden Erfahrungen aller queerer Gruppen einbezogen. Ob homosexuell, bisexuell, transgender oder intergeschlechtlich: Sie alle finden nebeneinander Platz. Was die Einzelberichte jedoch voneinander unterscheidet, ist die individuelle Beurteilung der erlebten Diskriminierung und die daraus resultierende Grundhaltung gegenüber der Kirche und ihrer Wandelbarkeit. Während sich wenige zuversichtlich zeigen, dass der Kampf um Anerkennung Früchte tragen wird, zeigt sich bei vielen Skepsis, wie weit ihr Einfluss tatsächlich reicht, und mancherorts sogar explizit ausgedrückte Resignation, was das Veränderungspotential der katholischen Kirche in Sachen Sexualmoral betrifft:

„Dass mein Erfahrungsbericht hier etwas ändern wird, daran glaube ich nicht.“ (96)

Teil II: Personen aus dem Nahbereich werden Zeug*innen von Diskriminierung und hinterfragen ihre Anbindung an die katholische Kirche

Der zweite Teil, welcher sich den Perspektiven aus dem Nahbereich widmet, schildert eindrücklich, welche Auswirkungen die Diskriminierung von queeren Personen auch auf das familiäre und berufliche Umfeld hat. Bei vielen Eltern zeigt sich, dass eine Haltungsänderung eintritt, sobald sie von der Queerness ihres Kindes erfahren. In Solidarität mit ihnen geraten sie in Konflikt mit dem kirchlichen Umfeld, welches lange Zeit zuvor das Familienleben geprägt hatte. Dabei scheint die Toleranzgrenze der direkt Betroffenen meist höher zu liegen, als diejenigen der Familienangehörigen:

„Stand jetzt scheint es mir eher so, dass ich mich innerlich nicht mehr ganz mit der Kirche versöhnen kann. Umso mehr staune ich über meinen Sohn und hoffe inständig, dass er nicht unglücklich wird durch seine kirchenfreundliche Haltung und seinen Glauben.“ (141)

Teil III: Plädoyers für einen Perspektiven- bzw. Kurswechsel der katholischen Sexualmoral

Die Perspektiven des dritten Teils, die unter dem Stichwort „Verantwortungsträger*innen“ (203) versammelt werden, enthalten programmatische Entwürfe zur Umsetzung des kirchlichen Wandels. Bischöfe, Verantwortliche in der Seelsorge, katholische Lai*innenverbände und Theolog*innen formulieren Plädoyers für wirkliche Begegnungen in offenen Gesprächen, die Wertschätzung von Vielfalt, ein verstärktes Engagement und eine Kurskorrektur, die sich Liebe, Inklusion und Wertschätzung zum Programm macht. Wie der angestrebte Perspektivenwechsel praktisch werden kann, stellt jedoch auch die Autor*innen des dritten Teils vor denkerische Herausforderungen. Auch hier ist man skeptisch, ob die katholische Kirche künftig lernfähiger und lernbereiter (vgl. 282) sein wird und ob sie Theolog*innen freimütiges Denken (vgl. 269) zugestehen wird. Einig ist man sich aber auch hier, dass der Wandel „geboten“ (263) ist, selbst wenn es noch viel zu tun gibt und der Weg zur vollen Anerkennung von queeren Identitäten in der katholischen Kirche noch weit ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Buch etwas geschafft hat, was in der kirchlichen Öffentlichkeit noch aussteht: Es gibt queeren Menschen einen Raum und eine Stimme, welche bisher ihre Enttäuschungen, Sorgen und Ängste im Kontakt mit der katholischen Kirche nicht äußern wollten oder konnten. Die „äußerst persönlich, intensiv und oft auch schmerzhaft zu lesen[den]“ (15) Lebenszeugnisse, in die man am besten wohl dosiert eintaucht, berühren auf eindrücklichste Weise. Sie, aber auch die Perspektiven derjenigen, die sich als Nahestehende oder Verantwortliche betrachten, tragen in der Schilderung ihres eigenen inneren Wandels zu einer längst fälligen Bewusstseinsveränderung im Katholizismus bei. Gerade das Nebeneinander der verschiedenen Perspektiven ist äußerst bereichernd, wirkt ausgewogen und authentisch.

So lässt sich zustimmen, dass mit diesem Sammelwerk eine notwendige Problemanzeige gemacht und die Forderung nach einer notwendigen Veränderung unmissverständlich in den Raum gestellt wurde. Eine echte Hoffnung auf Veränderung, und das muss bei aller Wertschätzung ehrlich eingestanden werden, weckt dieses Buch aber vermutlich nicht, da resignative Stimmen überwiegen, was auch den schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit geschuldet ist. Die beobachtbare Hoffnungslosigkeit spiegelt sich auch darin wieder, von wem primär Verantwortung eingefordert wird:

„Die Verantwortung, die Kirche zu verändern, liegt nicht bei den queeren Menschen.“(293)

Das erweckt gleichermaßen den Eindruck, dass sich viele Beitragende* nicht mehr als Teil der Gemeinschaft begreifen können, von der sie diese Verantwortungsübernahme einfordern. Nun ist es aber, und das wurde in der Vergangenheit mehr als deutlich, gerade das Problem der katholischen Kirche, dass Autonomie Großteils nicht zugestanden und Verantwortung meist nicht übernommen wird. Wenn also nicht die Hoffnung auf Veränderung den künftigen Weg bestimmen kann, wie mit diesen ungeklärten Fragen zur sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität in der katholischen Kirche umzugehen ist, dann wohl die sich aufdrängende moralische Verpflichtung, dem Leid der Diskriminierten ein Ende zu setzen. Das Buch liefert dafür eine entsprechende Hermeneutik: Wenn man der wie im Buchtitel formulierten Einladung zum Hinsehen gefolgt ist, wird man verstehen, dass Handeln gefordert ist.

 

Hashtag: #katholischundqueer


(Beitragsbild: @ctj)

 

Gräve, Mirjam/Johannemann, Hendrik/Klein, Mara (Hgg.): Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen du Handeln.

Der Redaktion wurde von Seiten des Verlags ein Exemplar des Buches zur Rezension zur Verfügung gestellt.

 

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katharina mairinger-immisch

studierte deutsche und französische Philologie sowie katholische Theologie in Wien und war eineinhalb Jahre als Gymnasiallehrerin in Oberösterreich tätig. Von 2018-2021 war sie Prae-doc-Assistentin und Doktorandin am Fachbereich Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, wo sie zum Thema Intergeschlechtlichkeit promoviert. Seit September 2021 arbeitet sie als Gymnasiallehrerin in Baden-Württemberg. Seit 2020 ist sie Teil der Redaktion von y-nachten.de.

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