Der Advent ist voller Lichter. Aber nicht immer verbinden wir eine brennende Kerze am Fenster mit der Erfahrung von Tod und Schmerz. Melanie Wurzer schärft unseren Blick aus pastoraltheologischer Perspektive zum alljährlichen Lichtermeer für Sternenkinder.

Haben Sie gestern in dem einen oder anderen Fenster eine Kerze brennen gesehen? Dann haben Sie das zarte Licht wahrgenommen, das an den Hauch von Leben eines frühverstorbenen Kindes erinnert. Denn jedes Jahr findet am zweiten Sonntag im Dezember das so genannte Worldwide Candle Lighting statt. An diesem Tag stellen Eltern in Gedenken an ihre frühverstorbenen Kinder um 19:00 Uhr eine Kerze ins Fenster. Das Licht soll im Zug durch die verschiedenen Zeitzonen um die Welt gehen und betroffene Eltern miteinander verbinden. Die jeweils einzelnen Kerzen müssten geradezu ein Lichtermeer erstrahlen lassen. Denn auch wenn eindeutige Statistiken fehlen, so gehen Expert*innen davon aus, dass immerhin in etwa jede dritte bis jede vierte Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet. Insofern mag es überraschen, dass dieses Thema in Relation zu dieser großen Anzahl nach wie vor wenig Aufmerksamkeit erhält und sowohl gesamtgesellschaftlich, als auch kirchlich und theologisch wenig Beachtung findet.

Das Tabu Fehl- und Totgeburt

Dass Erfahrungen von Fehl- und Totgeburten tabuisierst werden, zeigt sich unter anderen darin, wie wenig darüber gesprochen wird. Nach wie vor werden die ersten 12 Wochen, in denen das Risiko einer Fehlgeburt ungleich höher ist als im späteren Schwangerschaftsverlauf, abgewartet, ehe eine Schwangerschaft bekanntgegeben wird.1 Das bedeutet wiederum auf der individuellen Ebene, dass Frauen und ihre Familien mit ihren Verlusterfahrungen alleine sind, einfach deswegen, weil noch niemand von der Schwangerschaft wusste.2

Dieses – durchaus verständliche – fehlende Kommunizieren der Erfahrungen verstärkt aber auch den Eindruck, dass nur wenige betroffen sind, einfach weil man nicht davon weiß. Etwas anders verhält es sich bei Totgeburten oder Kindern, die kurz nach der Geburt versterben. Ihr Tod wird zwar deutlicher wahrgenommen, ist aber gleichzeitig wesentlich seltener.

Das Schweigen brechen

Wie viele tatsächlich betroffen sind, wird dann deutlich, wenn sich Frauen dazu entschließen, über ihren Verlust zu sprechen. Fast jede von ihnen macht die Erfahrung, dass ihre Geschichte wie der erste Dominostein wirkt, der andere anstößt. Denn beginnt eine zu erzählen, so öffnen sich auch die anderen und berichten entweder von ihren eigenen Erfahrungen oder von denen nahestehender Personen. Bis Betroffene jedoch die Kraft haben, sich zu öffnen, gehen sie meist einen langen Weg alleine, der immer wieder mit Scham, Verunsicherung und dem Gefühl des Versagens behaftet ist. Denn auch institutionell werden die Frauen kaum aufgefangen und in ihrer Trauer abgeholt. Ritual- und Begleitangebote, die über die Krankenhausseelsorge hinausgehen, gibt es kaum und müssen mitunter aufwändig gesucht werden. Das müsste nicht so sein, wenn über das Thema mehr gesprochen werden würde und wenn sich auch Institutionen wie die Kirchen mehr darum bemühen würden, die Frauen und ihre Familien zu unterstützen.

Wenn der katholischen Kirche, der Schutz des vorgeburtlichen Lebens so wichtig ist, wie sie ihn etwa im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen nimmt, dann müsste sie sich auch im umfassenden Sinn denen zuwenden, die ihr Kind unverhofft verloren haben.

Dazu reicht es – meiner Einschätzung nach – nicht, einmal im Jahr, am Tag des Worldwide Candle Lighting, einen Gedenkgottesdienst abzuhalten. Es bräuchte darüber hinaus viel mehr, um die verstorbenen Kinder und ihre Eltern aus dem Dunkel der Tabuisierung zu holen. Gleichzeitig wäre es aber auch wichtig, die Familien in ihren schweren Situationen wirklich angemessen zu begleiten, sie im kirchlichen Kontext gut zu integrieren und ihnen einen würdigen Raum zu geben.
Aus der Beschäftigung mit diesem Thema, die mit der Arbeit an meiner Dissertation einhergeht, möchte ich – vor allem für die pastorale Arbeit – an dieser Stelle ein paar Anregungen geben.

Seien wir achtsam in Sprache und Taten – besonders zu Weihnachten

Lässt man die besondere Rolle Jesu mal außen vor, so ist Weihnachten ein Fest, das sich ganz zentral um die Geburt eines Kindes und damit um das Thema Familie dreht. Dazu ist Weihnachten oft mit großen Emotionen behaftet und weckt Erinnerungen, aber auch Sehnsüchte. Umso herausfordernder ist dieses Fest für ungewollt kinderlose Menschen und Eltern von Sternenkindern.

Überall feiert man die Geburt eines gesunden Kindes und an den dazugehörigen Bildern, Liedern und Texten kann man kaum vorbei. Wie schmerzhaft muss es sein, wenn man sich genau das sehnlichst wünscht – nämlich, ein gesundes Kind in den Händen halten zu können, dieser Wunsch aber unerfüllt bleibt?

Diese Tatsache gilt es in den pastoralen Angeboten, aber auch in der Gestaltung der Weihnachtsfeiern mitzubedenken, etwa indem man ein weihnachtliches Angebot für jene setzt, die der Anblick der Krippe aufgrund der schmerzlichen Erfahrung zu sehr verletzt? Oder aber indem man diese Menschen in den Weihnachtsgottesdiensten mit angemessenen Worten „abholt“ und ihren Schmerz würdigt.

Lassen wir die Hinterbliebenen von Sternenkindern nicht alleine

Aber auch im Bereich der pastoralen Begleitung gibt es im Kontext von Fehl- und Totgeburten wesentlichen Nachholbedarf. Frauen, die ihre Kinder in einem Krankenhaus totgebären, werden im Idealfall von einer Krankenhausseelsorger*in begleitet. Verlassen sie das Krankenhaus, so ergeht es ihnen wie Frauen, die ihre Kinder nicht innerhalb eines institutionellen Rahmens verlieren: Sie sind mit ihrer Trauer oftmals alleine und auf sich gestellt. Die Suche nach Beratungsstellen im Allgemeinen und nach spirituellen Angeboten im Speziellen stellt sich als äußerst schwierig dar. Es wäre wirklich nötig, gut geschulte Menschen als Ansprechpersonen in den Pfarren zur Verfügung zu stellen, die als Schnittstelle zur Krankenhausseelsorge fungieren und Familien nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gut weiterbegleiten können. Dazu könnte man Austauschmöglichkeiten für die Hinterbliebenen schaffen.

Integrieren wir die Sternenkinder in unsere Liturgien

Das Gebet für die Verstorbenen ist ein zentraler Bestandteil unserer Gottesdienste. In jeder Feier nehmen wir sie mit hinein, sei es im Hochgebet, oder auch in den Fürbitten. Doch außerordentlich selten werden in Gebeten und Texten Sternenkinder berücksichtigt.

Alleine das Erwähnen frühverstorbener Kinder in den Fürbitten wäre wohltuend für die Hinterbliebenen. Sie würden erleben, dass sie selbst, aber auch ihre frühverstorbenen Kinder gesehen werden und für sie gebetet wird.

Gleichzeitig würde das Thema auch für andere präsent und eine gewisse Sensibilität ermöglicht werden.

Schaffen wir respektvollen Raum auf unseren Friedhöfen

Auch wenn in den letzten Jahren und Jahrzehnten vermehrt Grab-, aber auch Gedenkstätten für Sternenkinder auf den Friedhöfen entstehen, so sind es noch viel zu wenige, um dem Schmerz der Familien Rechnung zu tragen und ausreichenden Raum für die individuelle Trauer zur Verfügung zu stellen. Dazu kommt, dass Gedenk- und Graborte für frühverstorbene Kinder sehr sensibel in der Gestaltung sind und eine eigene Dynamik haben. Die Eltern und Familien der Kinder haben ein Bedürfnis die Orte mitzugestalten und sie vor allem kindgerecht zu machen. So kommt es, dass oftmals nicht nur Engel, Kerzen und Laternen dort abgestellt werden, vielmehr kommen Spielzeuge, Kuscheltiere, manchmal sogar auch Süßigkeiten dorthin.

Diese Dinge haben einen besonderen Wert für die Familien und ihre Trauerprozesse, weswegen ein dementsprechender Platz für sie geschaffen werden sollte. Gedenkorte, die diese Tatsache nicht schon bei der Entwicklung mitbedenken, laufen fehl. Ebenso braucht es Personen, die diese Orte betreuen, sowie klare Regelungen, wie mit den Dingen an diesem Ort umgegangen wird.

Diese Anregungen könnte man um viele weitere individuell angepasste ergänzen, wenn man das Thema am Radar hat. Wie schön wäre es, wenn wir den Sternenkindern und ihren Eltern nicht nur an einem Tag im Dezember Zeit und Raum schenken, sondern sie auch im Laufe des Jahres mit ins Licht der Aufmerksamkeit nehmen würden.

Hashtag der Woche: #sternenkinder


(Beitragsbild @labrum777)

1 Zur Unterscheidung von Fehl- und Totgeburt: Als Fehlgeburt bezeichnet man ein Kind, das mit weniger als 500 Gramm und ohne Lebenszeichen geboren wird. Totgeburten sind hingegen Kinder, die mit mehr als 500 Gramm und ohne Lebenszeichen geboren werden. An diese Unterscheidung knüpfen sich rechtliche Regelungen wie Namensrecht, das Recht auf Eintrag ins Geburtenbuch oder auch Regelungen hinsichtlich Bestattungsrecht und Bestattungspflicht, wobei diese nicht nur nach Land, sondern auch nach Bundesland unterschiedlich geregelt sind.

2 Auf arbeitsrechtliche Problematiken, die sich aus den Regelungen für Mutterschutz nach Fehl- und Totgeburten ergeben, kann ich hier aus Platzgründen nicht weiter eingehen. Aber auch das ist ein Thema, dem man sich eingehend widmen sollte.

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melanie wurzer

studierte Katholische Religionspädagogik, sowie Kunstwissenschaften und Philosophie in Linz. Danach war sie einige Jahre als Religionslehrerin, sowie als Projektmitarbeiterin in der Diözese Linz und als Universitätsassistentin an der Katholischen Privatuniversität Linz tätig. Derzeit promoviert sie an der Goethe Universität Frankfurt im Bereich Pastoraltheologie. Das Thema behandelt die theologische Relevanz von Dingen am Beispiel von Artefakten auf einer Kindergrabstätte. Nebenbei verfasst sie Texte für die Homepage der Abteilung Pastorale Berufe der Diözese Linz.

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