Wie blicken wir im zweiten Corona-Winter Richtung Weihnachtsfest? Da Marlene Deibl sich nicht ins adventliche Treiben auf Weihnachtsmärkten stürzen kann, nimmt sie eben Friedrich von Spees „O Heiland, reiß die Himmel auf“ genauer unter die Lupe.

Ich wollte ja zur allgemeinen Erbauung beitragen. Gerade jetzt im Advent darf das auch die Theologin. Da wird unserer Profession allgemein Gehör geschenkt, und ich darf endlich mal nicht nur warnen und mahnen. Tja. Anstatt unter dem Vorwand der Recherche die Wiener Adventmärkte ebenso wie jene des Umlandes auf dreihundert Kilometer unsicher zu machen und dann von den stimmungsvollsten Sachen zu erzählen, sitzt die Autorin dieser Zeilen mal wieder daheim herum.

Leider kann ich nun keine feine Vorweihnachtsstimmung auf den Bildschirm zaubern für all jene, die gerade im Ruhrgebiet in einer S-Bahn sitzen (oder dergleichen). Für die Stimmung: Sucht euch doch Fotos von tollen Märkten im Internet. (Kurzfristige Wirkung.) Vielleicht dürft ihr euch ja noch mit euren Freund*innen auf einen Glühwein treffen. Tut es! (Herzenswärme hat potentiell eine langfristige Wirkung, für den Alkohol samt etwaiger mittelfristige Katers seid ihr selbst verantwortlich.)

Was ich aber schon geschafft habe vor dem Lockdown in Österreich war ein zünftiges Keksbacken, letzten Samstag. Vorrat für die Kontaktsperre.
Während des Backens ereilten uns freilich die Nachrichten von der Covid-Leugner*innen-Demo und auch noch einige andere weniger erfreuliche Dinge. Uns selbst ging es zwar gut, wir waren gesund und geimpft, aber doch etwas niedergeschlagen, trotz des herrlichen Keksdufts. Wie schön wäre es, da waren wir uns einig, wenn es einfach nicht ganz so blöd zuginge. Lass es Hirn regnen!, rief ich. Nicht sehr eloquent, aber durchaus ein frommer Wunsch und meine Verzweiflung, die war auch eine des Glaubens.

Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?
 
Natürlich ist die katholische Tradition eine wunderbare Tradition, in der sich für alle ein*e Heilige*r findet, für jede Situation ein Vorbild und immer ein Gedicht oder Lied. So auch hier. Bekanntlich ist unsere Zeit nicht die erste finster erscheinende. Zum 17. Jahrhundert nur ein paar Stichworte: Religionskriege, Seuchen, Massenmedialisierung (echt!), koloniale Ausbeutung, Hexenverfolgung. Und vieles mehr. Mittendrin lebte der Autor vieler Lieder, von denen etliche heute noch im Gotteslob zu finden sind, Friedrich Spee von Langenfeld, Autor des bekannten LassEsHirnRegnen-Adventschlagers „O Heiland reiss die Himmel auf“.

Der bleibende Erfolg dieses Liedes verdankt sich nicht nur seinen eingängigen Rhythmen, sondern der klaren Bitte, das Tor des Himmels aufzutun. Es schlägt an das Tor, klopft auf die Erde, schreit zum Himmel, um zu sehen, von wo der Heiland kommen könnte, wenn er denn kommen wollte.

Doch zuerst: Kontext. Sollten biographische Interpretationen überhaupt erlaubt sein, dann hier. Und zu Erbauungszwecken jedenfalls.

Friedrich Spee von Langenfeld, geboren 1591, stammte aus angesehenem kurkölnischen Adel und trat als knapp Zwanzigjähriger dem Jesuitenorden bei. Er wollte auf Mission nach Indien, aber man ließ den klugen Friedrich erst Philosophie studieren und unterrichten und schickte ihn dann lieber nach Niedersachsen, zur Rekatholisierung einiger Gemeinden. Von dort ging es nach Franken, wo Friedrich Spee als Seelsorger tätig war, vielleicht auch (hier sind sich die Historiker*innen uneins) für die dort in Hexen- bzw. Magieprozessen zum Tode Verurteilten.

Nebenher studierte er noch Theologie und erhielt mehrmals an unterschiedlichen Orten Professuren für Moraltheologie und Argumentationslehre.  Zu gewissen beruflichen Problemen führte hierbei eine Schrift, in der er ein mögliches Ende der damals in Deutschland weit verbreiteten und häufigen Hexenprozesse auf der Basis epistemischer Argumente entwarf, die „Cautio Criminalis”. Zwar veröffentlichte er diese Schrift anonym, aber allein die literarische Qualität deutete auf Spee als Autor. Sein schriftstellerisches Talent nutzte er jedoch nicht nur zur Abfassung scharfsinniger und den Gang der europäischen Geschichte Richtung Frühaufklärung maßgeblich beeinflussender Traktate, nein! Eigentlich war unser Friedrich eben Lieddichter, besonders zu mystischen Themen und verschiedenen religiösen Anlässen. Unter anderem Autor des „Güldenen Tugendbüchleins”, eines lyrischen Meditationsbandes.

Warten auf Hirn und Mitgefühl

Gerade jetzt, wo viele uns – ich jedenfalls zuweilen – sich spirituell ausgebrannt fühlen, wo es wieder nicht nur draußen finsterer wird, ist der Advent nicht so recht als Zeit der Erbauung erfahrbar. Advent meint ohnehin Warten und ganz besonders Warten in der Finsternis. Sei es die innere oder äußere.
Hier der Text des angesprochenen Liedes für alle, die ihr Gotteslob gerade nicht bei der Hand haben (2013, Nr. 231), die aber gerne hätten, dass es Hirn und Mitgefühl regnet, dass ihnen etwas Last von der Schulter genommen werden könnte, dass es immerhin die Hoffnung auf Hoffnung geben kann.

O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

O Gott, ein Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,
dass Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring.

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal
komm, tröst uns hier im Jammertal.

O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.

Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.

(Erstdruck 1622, Quelle: Gotteslob/zeno/Wikipedia)

Hier sind wir zurück beim Heiland, den wir in „O Heiland reiss die Himmel auf“ nicht loben, sondern anflehen und zwar weil er nicht da ist.
Das Lied geht, einigermaßen kurios und ganz in den Konventionen barocker Gelehrtenlyrik, verschiedene Orte durch, von denen das überraschende Kommen des Heilands zu erwarten sein könnte. O Heiland, aus der Erden spring!…Du schöner Stern! Wir wollen Dich anschauen gern! Der Messias kommt womöglich nicht leise und vielleicht doch nicht ganz zu spät, vielleicht kommt er aber überhaupt nicht; das Lied Spees jedenfalls verlangt, fordert und begehrt, begehrt auf, im ganzen Sinn des Wortes Verlangen.

Advent heißt der ganzen Gefühlspalette Raum zu geben

Das Lied endet mit der uns heute bereits merkwürdig erscheinenden Sehnsucht nach dem Vaterland, der ewigen Heimat oder der gerecht gewordenen Welt. Aber wann wäre denn Gelegenheit, dieser Sehnsucht einmal Raum zu geben, wenn nicht jetzt? Jetzt gerade ist einmal der Fall eingetreten, dass die Weltläufe und das Kirchenjahr zusammenpassen, so weit weg uns auch als Theolog*innen die Kirche erscheinen und so verstrickt die Lage der Welt auch sein mag.

Advent heißt nicht einfach, das Licht der Halleluhjaherrlichkeit bereits erahnen zu können und sich fromm darauf vorzubereiten. Advent heißt eben gerade auch, alle Gefühlslagen von Verzweiflung bis Heiterkeit zu erleben, die im Dunkel begegnen, gerade dann, wenn ich mir nicht sicher bin, ob am Ende wirklich alles Butter und Gnade sein wird.

Das ist ein oft vergessener Aspekt des Advents, die Sehnsucht nach dem Ungewissen, die Hoffnung auf den Gerechten. Auch einmal ein paar Minuten lang bei der eigenen Sehnsucht, der Enttäuschung, dem Zorn bleiben und sie nicht gleich wieder produktiv umdeuten müssen. Auch mal zum Himmel schreien, nicht unbedingt weil es helfen könnte oder weil das ja eine tolle Übung für mehr Ausgeglichenheit im Alltag ist. Sondern weil hier auf Erden schon viel zu viel zum Himmel schreit.

Unser Friedrich war nun kein echter Regimegegner, er war spirituell sehr bewegt, aber doch ein Mann des Establishments, tief in die institutionellen und politischen Vorgänge seiner Zeit verstrickt. Seine Schrift gegen die Hexenverfolgung ist keine moraltheologische, sondern eine rechtstheoretische. Vernünftigen Maßstäben und der Unschuldsvermutung folgendes Handeln einzufordern, dabei Professor für Kasuistik sein und geistliche Betrachtungen über die theologischen Tugenden zu schreiben – ein gewisser Widerspruch in einer Person. Gerade deshalb ist Spees Leben immer wieder und ganz besonders in den letzten Jahrzehnten in den Fokus gerückt. Es war nicht einfach, es ist nicht einfach, und dieser Dichter und Theologe wusste das ganz besonders gut auszudrücken.

Friedrich Spee wurde bei der gegenreformatorischen Mission in Niedersachsen Opfer eines Attentats, verzweifelte in Würzburg an seiner eigenen theologischen Überzeugung hinsichtlich der Hexenverfolgung, die er zunächst befürwortete und deren Gegner er wurde. Aufgrund seiner bereits erwähnten Streitschrift und deren verschärfter Neuauflage wurde er mehrmals versetzt. In Trier unterrichtete er schließlich am Jesuitenkolleg. Er starb dort im Alter von vierundvierzig Jahren bei der Pflege von kranken Soldaten, möglicherweise an der Pest. Postum veröffentlicht wurde seine Gedichtsammlung “Trutz Nachtigall”, in der sich viele heute noch bekannte und übrigens bei evangelischen wie katholischen Christ*innen beliebte Lieder finden. Zahlreiche davon befinden sich bis heute im Druck. Wir brauchen sie.
Zu Weihnachten singen wir dann “Zu Bethlehem geboren“, versprochen.
Das ist auch vom Spee.

Hashtag der Woche: #OSpee


(Beitragsbild @freestocks)

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marlene deibl

arbeitet als Prae-doc-Assistentin am Fachbereich Theologische Grundlagenforschung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sie studierte in Wien und Tübingen Philosophie und Südasienkunde, kann schneller sprechen als denken, schießt aber wesentlich langsamer als ihr Schatten. Ihre weiteren Interessensgebiete sind Wissenschaftstheorie, Parfümgeschichte und Bier.

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