Henry Frömmichen hat als Seminarist im Priesterseminar in München gelebt und wollte Priester werden. Vor ca. einem Jahr wurde er aus dem Seminar geworfen – wegen eines Selfies mit Alex von „Prince Charming“. Wie es dazu kam, warum er die katholische Kirche im Priesterseminar als „Angstapparat“ erlebt hat und ob er lieber Priester oder der nächste Prince Charming wäre, erzählt er uns im Interview mit unseren Redakteur*innen Claudia Danzer und Franca Spies.  

Hallo Henry! Vielen Dank für Deine Zeit. Für die erste Frage folgendes Szenario: Stell‘ dir vor, Du wärst Regens in einem Priesterseminar. Was wäre deine erste Amtshandlung?

Henry Frömmichen: Erst mal würde ich sagen: Wir sind ein offenes Haus, in dem jeder willkommen ist. Ich könnte auch ganz provokativ sein und sagen: Ich hänge am Fahnenmast vor dem Seminar die Regenbogenflagge auf. Warum?! Der Regenbogen ist Zeichen des Friedens, der Vielfalt und der Gleichheit. Mehr noch, im Alten Testament ist er das Bundeszeichen zwischen Gott und den Menschen. Böse Zungen in der Kirche können nun natürlich sagen: „Die Queer-Community missbraucht dieses Symbol des Regenbogens, das geht überhaupt nicht“. Ich aber halte dagegen und sage: Zunächst einmal sind wir Kirche. Wir sind die katholische Kirche, die „allumfassende“ Kirche und somit haben wir die Aufgabe und den Anspruch, eine offene Kirche für jede und jeden zu sein. Es ist ganz klar: Wir wollen diese Botschaft Gottes an die Menschen bringen; die bedingungslose Liebe, dass jede:r von Gott angenommen wird, so wie er oder sie ist. Genau das ist die Aufgabe eines Priesters – Mittler zu sein zwischen Gott und den Menschen. Das sollte man im Priesterseminar lernen.

Erzähle für unsere Leser:innen doch nochmal kurz deine Geschichte: Du musstest ja wegen eines Selfies das Priesterseminar verlassen. Wie kam es dazu?  

Henry Frömmichen: Genau. Vor fast einem Jahr hat die Geschichte ihren Anfang genommen, da ist das Bild mit Alex entstanden. Dem ging voraus, dass Papst Franziskus sich letztes Jahr öffentlich über homosexuell liebende Menschen geäußert hat. Über diese Thematik wurde auch im Seminarstüberl beim Bier gesprochen und diese Unterhaltung hat mich einige Zeit beschäftigt. Als ich eine Woche später Alex Schäfer auf dem Odeonsplatz hier in München gesehen habe, dachte ich: „Ach, das ist doch Prince Charming!“ Dann habe ich ihn angesprochen, habe mich vorgestellt als Priesterseminarist und wollte mit ihm über das Thema Homosexualität, Glaube und katholische Kirche sprechen. Nach dem spannenden Gespräch haben wir dann gesagt: „Komm, jetzt machen wir noch ein Selfie!“

Das Selfie wurde damals aber als „Fanbild“ für die Marke Prince Charming aufgefasst und es gehe ja nicht, dass ich mich mit so einem – um meinen Regens zu zitieren – „Softporno-Darsteller“ ablichten lassen würde. Ich sei Priesterseminarist und somit Aushängeschild des Erzbistums München und Freising. Somit sei ich natürlich nach diesem Bild, das ich da veröffentlicht habe, nicht mehr tragbar. Deswegen musste ich das Priesterseminar verlassen.

Damals ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich habe alles in Frage gestellt und habe es sehr lange Zeit für mich behalten. Es wussten nur die engsten Familienmitglieder, ganz wenige Freund:innen. Das ist alles im November passiert. Und im März kam dann eben dieses „Nein“ zu Segnungen von queeren Paaren aus Rom. Daraufhin haben mich einige Bekannte und Freund:innen angeschrieben; ich soll doch zu dem Thema etwas sagen oder sagen, wie die Stimmung im Priesterseminar ist. Dann habe ich erzählt, dass ich nicht mehr im Seminar bin, und habe auf Instagram ein Video gemacht mit einem Statement von mir. Das ist viral gegangen und hat relativ große Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Warum genau hast du dich damals entschieden, deine Geschichte öffentlich zu machen und was war deine Motivation?

Henry Frömmichen: Ich hatte eigentlich nie die Absicht, dass das so ein Hype wird bzw. dass es so Wellen schlägt. Es war einfach für mich persönlich eine Befreiung, weil mich das Thema lange umgetrieben hatte: Ich war gescheitert mit meinem Vorhaben, Priester zu werden. Das hat mich beschäftigt. Es hat mich kaputt gemacht, es hat mich krank gemacht. Der Gang in die Öffentlichkeit hat mich freier gemacht.

Du bist ja auch bei Instagram nach wie vor sehr aktiv…

Henry Frömmichen: Gerade eher weniger, weil ich für mich selbst schauen muss, wie ich das gestalte und mich frage: Das ist jetzt ein Jahr her. Wo will ich persönlich als Mensch stehen? Will ich immer mit dieser Geschichte verbunden werden?  Soll’s immer dieses Thema sein? Man muss da irgendwann auch mal herauskommen, neu denken und auch wieder in eine neue Richtung gehen.

Manchmal hört man die Meinung, dass das Priesteramt eben mit bestimmten Regeln (z. B. Zölibat) verbunden sei. Auch zu sog. „homosexuellen Tendenzen“ gibt es ja Vorgaben. Das wüssten auch die Seminaristen und darauf müsse man sich eben einlassen, wenn man Priester werden möchte. Was sagst du dazu?

Henry Frömmichen: Was Papst Benedikt XVI. 2005 als eine seiner ersten Amtshandlungen in der ratio fundamentalis festgehalten hat, ist das eine. Die Praxis ist eine ganz andere: Jeder weiß – und da braucht mir keiner was sagen –, dass ein gewisser großer Anteil in der katholischen Kirche, im Klerus, im Priesterseminar und in den Gemeinden homosexuell ist. Punkt. Das ist so, das ist Fakt. Das ist auch die Doppelmoral in der Kirche, die ich anklage: Es ist etwas da, eine Tatsache, und es wird verheimlicht, abgelehnt und verschwiegen – aus Angst.

Die römisch-katholische Kirche ist ein Angstapparat.

Eigentlich heißt es immer: Ich kann zu Gott, zu Jesus kommen, so wie ich bin. Und auf der anderen Seite muss ich mich vor anderen Menschen verstecken, muss mich verleugnen, muss in eine Rolle schlüpfen, die ich vielleicht gar nicht so unterstützen kann, die ich vielleicht gar nicht will. Aber um eben diesen Schritt zu gehen, um schlussendlich Priester zu werden, muss ich diese Rolle in Kauf nehmen. Und dann spiele ich eigentlich mein ganzes Leben ein Versteckspiel, bei dem ich Gefahr laufe, dass mich dieser Umstand krank macht.

Es ist schwierig, in diesem Kosmos „Priesterseminar“ untereinander aufrichtiges Vertrauen zu fassen, weil jeder natürlich seine eigene Geschichte mitbringt und jeder auf seine Art und Weise Angst hat, diese Geschichte könnte ihm zum Verhängnis werden – sei es wegen seiner theologischen oder spirituellen Einstellung oder aufgrund der eigenen Sicht auf die Dinge des Lebens. Man kann beobachten, dass der eine dem anderen nichts gönnt und dass versucht wird, den eigenen Schatten im Anderen zu bekämpfen. Diese Beobachtung deckt sich mit vielen Gesprächen, die ich im vergangenen Jahr mit Seminaristen und Priestern aus anderen Diözesen geführt habe.

In den Seminaren herrscht oft eine vergiftete, klerikale Atmosphäre. Deshalb plädiere ich dafür, diese Form der Priesterausbildung grundsätzlich zu überdenken.

Wurde Sexualität im Seminar auch als Teil der Ausbildung aktiv thematisiert? Und wenn ja, wie?

Henry Frömmichen: Wir Neuen hatten eine Präventionsveranstaltung zum Thema „Sexueller Missbrauch“ im Erzbischöflichen Ordinariat. Nach dieser Veranstaltung war die Stimmung sehr verhalten. Manch einer war entrüstet, dass man sich so etwas überhaupt antun und über so ein Thema reden müsse. Das Priesteramt werde wegen des Missbrauchsskandals in den Dreck gezogen. Über Sexualität an sich wurde kaum bis gar nicht gesprochen. Abschließend kann ich das aber natürlich nicht beurteilen, da ich ja nur kurze Zeit im Seminar war.

Nehmen wir mal eine andere Perspektive ein: Welche Rückmeldungen hast du zu deiner Geschichte aus der queeren Community bekommen? Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, damit sich homosexuelle und andere Menschen aus der LGBTQIA*-Community in der katholischen Kirche wohlfühlen?

Henry: Was sich ändern muss? Die Kirche hat’s einfach vermasselt.

Die Kirche hat es geschafft, Menschen dermaßen zu verletzen und vor den Kopf zu stoßen, dass sie den Großteil der Queercommunity vertrieben hat, weil so viel Leid und Schmerz verursacht wurde.

Nach diesem „Nein“ aus Rom braucht es mehr als medienwirksame Segnungsfeiern – nämlich tiefe, aufrichtige, seelsorgerliche Angebote für queere Menschen. Das hätte man schon die letzten 30, 40 Jahre machen und aktiv ausbauen können, aber dahingehend ist viel zu wenig passiert. Für mich persönlich war es immer so: Da ich in meiner Kindheit und Jugend Seelsorge als sehr heilsam erfahren habe, sodass ich mein Outing sogar im seelsorgerlichen Kontext hatte, waren Kirche und Glaube für mich ein Geschenk. Und dieses Geschenk, was ich damals erfahren habe, das wollte ich persönlich insbesondere an die queeren Mitmenschen weitergeben. Schlussendlich würde ich sagen, dass die Kirche erstmal zu sich selbst stehen sollte. Sehr viele Menschen, die in der Kirche Dienst tun, gehören selbst der Queercommunity an – sei es wegen ihrer sexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität. Es gilt, diese Doppelmoral zu durchbrechen und die nackte Realität anzunehmen.

Frage: Wenn du deinen Wunsch sofort erfüllt bekämst und die freie Wahl hättest: Wärst du lieber der Prinz in der nächsten Prince Charming-Staffel oder Priester?

Henry Frömmichen: Schwierig zu sagen. Wenn ich Priester wäre, müsste sich einiges in der katholischen Kirche ändern. Also aktuell muss ich sagen, ich kann mir nicht vorstellen, Priester zu werden. Das heißt aber nicht, dass ich für meine Überzeugungen und meinen Glauben nicht mehr kämpfe, dafür einstehe und darüber spreche. Ich muss nicht unbedingt katholischer Priester werden; jede:r einzelne getaufte:r Christ:in hat in der Taufe den Auftrag erhalten, priesterlich und prophetisch zu reden.

Wär‘ ich gerne der nächste Prince Charming? Auch nicht. Wie das im Fernsehen so dargestellt wird, ist es mir zu zu exhibitionistisch und zu persönlich. Das muss auch nicht sein. Ich würde sagen, ich bin einfach ich – einfach Henry. Und ich muss schauen, dass ich von allem – von diesem Regenbogen, der Teil von mir ist, und von dieser Spiritualität, von dieser Katholizität, die ich in mir habe, dass ich da irgendwie von beiden Seiten etwas rausziehe und was daraus mache: Das bin dann ich.

Frage: Möchtest du zum Schluss noch etwas loswerden?

Henry Frömmichen: Ich hänge – wie viele andere Menschen – an dieser Kirche, aber frage mich trotzdem immer wieder „bleiben oder nicht?“ Ich bin Bestatter und kenne mich mit dem Abschiednehmen sehr gut aus: Wir Menschen hängen oft an dem, was uns lieb und teuer ist und tun uns schwer mit dem Loslassen. Wir ergreifen oftmals Maßnahmen, um diese Dinge aufrechtzuerhalten. Man will etwas am Leben erhalten, was so in dieser Form nicht länger existent sein kann – was man nicht mehr so wie früher haben kann. Ich sage ganz klar:

Diese Kirche, wie wir sie jetzt kennen, hat es verdient zu sterben.

Um Kardinal Marx zu zitieren: „Wir sind […] an einem gewissen ‚toten Punkt‘“ in unserer Kirche angekommen. Aber nur durch dieses Sterben kann etwas Neues entstehen. Genau das ist ja unser christlicher Glaube: Den Tod Jesu am Kreuz können wir auch nur feiern, weil wir die Zusage der Auferstehung haben. Das Alte verdient es irgendwann, zu sterben. Die Kraft, diesen Prozess annehmen zu können, wünsche ich allen Christ:innen, aber auch die Freude darüber, dass schon heute etwas Neues in vielen Kirchengemeinden in unseren Diözesen keimt und heranwächst, dass etwas viel Schöneres entsteht, was sich noch niemand ausmalen kann.

Hashtag der Woche: #Angstapparat


(Beitragsbild @Margaux Bellott)

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henry frömmichen

ist 22 Jahre alt und ehemaliger Priesterseminarist. Er ist aktuell als Bestattungsberater in München tätig und begleitet Menschen, die einen lieben Angehörigen verloren haben. Sein Herzenswunsch: Eine katholische (allumfassende) Kirche für alle Menschen, wo jede:r willkommen ist und einfach er:sie selbst sein darf - ohne sich zu verstecken und Angst haben zu müssen.

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