Warum fehlt es Kirche und Theologie an einer adäquaten Sprache für die Wirklichkeit von trans* Personen, fragt Stephanie Bayer für y-nachten.de. Sie plädiert dafür, die Erfahrungen Betroffener endlich wahr und ernst zu nehmen.

Ende September wurde ein Memorandum bekannt, das der Erzbischof von Milwaukee Jerome Listecki an alle Mitglieder der US-amerikanischen Bischofskonferenz versenden ließ. Darin berichtet der Vorsitzende der Kommission für Kirchenrechtsfragen und Kirchenverwaltung, dass in mehreren Fällen „a woman living under a transgendered identity“ unwissentlich in ein Priesterseminar aufgenommen wurde. Einige Mitglieder der Kommission sprechen sich daher für die Überprüfung des biologischen Geschlechts von möglichen Priesteramtskandidaten z.B. via DNA-Test aus, um sicherzustellen, dass es sich dabei um „only men“ handelt, „who possess the requisite physical and psychological qualities“. Das Dokument stellt ein befremdliches Beispiel für die Art und Weise dar, wie mit dem Thema Trans* und Betroffenen innerhalb der römisch-katholischen Kirche verfahren wird und demonstriert ein fehlendes Problembewusstsein.

(K)Ein Weg des Dialogs – ein Befund

Besagtes Memorandum sowie aktuelle Anfragen in Bezug auf den Umgang mit trans* Personen vor allem hinsichtlich Ehefähigkeit, Matriken, Anstellungsverhältnissen, Pat*innenschaften uvm. sind Symptome einer tief verwurzelten Problematik: trans* Personen werden in katholisch-kirchlichen Kontexten oftmals nicht wahrgenommen, bewusst ausgegrenzt oder schlicht ignoriert. Die Konsequenz daraus ist, dass Kirche und Theologie nicht sprachfähig sind, sowohl im Hinblick auf einzelne Betroffene als auch im wissenschaftlichen Kontext. Dass dies aber seitens des Lehramts als Problemlage wahrgenommen wird, lässt sich nicht erkennen – im Gegenteil. Trotz der Anfragen wird kein Anlass gesehen, sich mit dem Thema Trans* vor allem unter der Perspektive der Betroffenen auseinanderzusetzen, sondern bezieht sich höchstens immer wieder auf wenige bereits bekannte Stellungnahmen. Dabei verweigert man sich aber einem interdisziplinären Diskurs und ignoriert aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, wie das 2019 veröffentlichte Dokument „Als Mann und Frau schuf er sie“ aufzeigt. Darin wird beispielsweise davon gesprochen, dass sich trans* Personen ihr „Geschlecht frei wählen“ könnten – ein Schlag ins Gesicht für Betroffene. Zudem werden Begrifflichkeiten fälschlicherweise vermengt, pauschalisiert oder gleichgesetzt (vgl. Nr. 11 und 25). Von einem „Weg des Dialogs“, wie im Untertitel zu lesen ist, kann hier also nicht gesprochen werden – schon allein aufgrund seines selbstreferentiellen Charakters.

„Gender-Ideologie“ – der unsichtbare Feind

Die Ursache für diesen inadäquaten Umgang findet sich innerhalb der katholischen „Gender-Kritik“, in der vor einer „Gender-Ideologie“ gewarnt wird.1 Dabei wird mittels unzutreffender Vorwürfe und Narrative ein Feindbild erschaffen, das es zu bekämpfen gilt. Wer genau hinter dieser „Ideologie“ steht, ist unklar.

Teil des Feindbildes sind laut dem Dokument aber zumindest „die Gender-Theorien“, die einen „fortschreitenden Prozess der De-Naturalisierung oder der Entfernung von der Natur hin zu einer totalen Option für die Entscheidung des emotionalen Subjekts“ zeigen.

Innerhalb dieser „Ideologie“ verorten die römischen Dokumente auch das Thema Trans*. Demgegenüber zeigen Kritiker*innen seit Jahren immer wieder auf, dass naturrechtliche Argumentationslinien und das Negieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Pathologisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung geschlechtlicher Minderheiten zur Folge haben können. Die lehramtlichen Positionierungen erschweren einerseits die pastorale Praxis wie auch die seelsorgliche Begleitung erheblich und können Ressentiments schüren. Überdies entspricht sie nicht der pastoralen Praxis, wie sie in den vielen Pfarren und Gemeinden gelebt wird. Andererseits haben die Ausschlüsse auch negative Auswirkungen auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und unterstützen unterdrückende Systeme.

Diskriminierung und Benachteiligung von trans* Personen

Anstatt hier weiter Ausschlüssen einen Nährboden zu bieten, sollte die römisch-katholische Kirche an einer Gesellschaft mitarbeiten, die ein sicheres und gutes Leben für alle ermöglicht. Dass es diesbezüglich weitere Anstrengungen braucht, zeigen viele Studien und Berichte von Betroffenen. So sind trans* Personen überdurchschnittlich von diskriminierenden Erfahrungen im Erwerbsleben, finanziellen Belastungen, einer hohen Arbeitslosigkeit und Suizidalität betroffen. Diese Faktoren sowie der gesamte Prozess der Transition können erhebliche Auswirkungen auf die Partnerschaft, die Familie und das soziale Umfeld einer trans* Person haben und begünstigen soziale Abgeschiedenheit, Diskriminierung und das Gefühl von Einsamkeit und Alleingelassen-Sein. Hinzu kommen unfassbar viele trans*feindlich motivierte Hassverbrechen weltweit, aber auch Diskriminierung seitens rechtsnationaler Parteien und Regierungen wie beispielsweise herabwürdigende und polemische Äußerungen und neue trans*feindliche Gesetze.

Eine Vielfalt unterschiedlichster Lebenswege

Und doch scheint es oft, als wäre Trans* im gesellschaftlichen Mainstream längst angekommen – zumindest in westlichen oder westlich orientierten Staaten.

Noch nie waren Queerness und Trans* so sichtbar und wahrnehmbar wie heute.

Seit mehr als zehn Jahren tauchen vor allem in der Populärkultur – in Filmen, TV-Serien, der Mode- und Popwelt sowie in der Literatur- und Kunstszene – Charaktere und Personen auf, deren empfundenes Geschlecht nicht ihrem biologischen entspricht.

Häufig zeichnen sie jedoch ein normatives Bild von trans*-Sein, das so nicht existiert und zu Stereotypenbildung führt. In den Biografien lassen sich zwar verbindende Elemente wahrnehmen, doch findet sich auch die ganze Vielfalt unterschiedlichster Lebenswege von trans* Menschen.

Auch in den Forschungen diverser wissenschaftlicher Disziplinen können in den vergangenen zwanzig Jahren Veränderungen in Bezug auf die Einordnung des Themas beobachtet werden. Hinzu kommen grundlegende Diskussionen innerhalb unserer Gesellschaft, die die strikte Kategorisierung in rein männlich und weiblich im körperlichen, psychischen und auch sozialen Bereich in Frage stellen. Medizinische Behandlungsmaßnahmen und gesellschaftliche Auffassungen wurden reflektiert und festgestellt, dass die Vielfalt menschlicher Körper mehr Berücksichtigung finden müsse.

Perspektivenwechsel und Solidarität

Diese Befunde fordern die römisch-katholische Kirche und Theologie auf, sich grundlegend mit dem Thema Trans* auseinanderzusetzen, aber auch auf die individuellen Lebensgeschichten von trans* Personen einzugehen.

Denn zum einen betrifft das Thema die Theologie als Wissenschaft und als Reflexion auf gesellschaftliches und kirchliches Geschehen. Zum anderen betrifft es auch die Kirche als eine Institution, die nach der Ekklesiologie des II. Vatikanums ein Interesse an allen Wirklichkeiten haben muss, und der „nichts wahrhaft Menschliches“ (Gaudium et Spes Nr. 1) fremd ist.

Will die römisch-katholische Kirche in der Welt von heute sprachfähig und relevant sein, so hat sie sich den Lebensfragen der Menschen in der jeweiligen Zeit und Gesellschaft zu widmen.

„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (Gaudium et Spes Nr.1) Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss er auch reale Folgen haben: Das bedeutet, die eigenen Aufgaben von jenen her zu verstehen, die bedroht und ungehört sind – und dies schließt auch trans* Menschen ein.

Einen zentralen Ausgangspunkt aller Überlegungen stellen dabei die Perspektiven der betroffenen Personen und deren Biografien dar. Es ist erforderlich, ihre Erfahrungen wie auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die diese Erfahrungen bedingen, sichtbar zu machen. Schlussendlich geht es um die Solidarität mit dem*der Nächsten und das gemeinsame Bemühen um eine lebensförderliche Gestaltung christlicher Praxis.

 

Hashtag der Woche: #transvisibility

Beitragsbild: Photo by Kyle on Unsplash 


Was bedeutet Trans*?: „Es ist ein Mädchen/Junge, herzlichen Glückwunsch!“ In der Biografie eines Menschen ist die Zuschreibung seines Geschlechts nach der Geburt je nach Erscheinungsbild seines äußeren Genitales ein folgenreicher Vorgang. Stimmt diese Zuschreibung nicht mit dem Geschlechtserleben einer Person überein, so wird diese Inkongruenz als Trans* (oder auch Transidentität/Transgender) bezeichnet. Trans* wird nicht mehr als psychische Erkrankung definiert, sondern als eine individuelle Variante menschlicher Geschlechtlichkeit.2


1 Einen guten Überblick zu dem Thema bietet Marschütz, Gerhard, Jenseits des biologischen Geschlechts? Anmerkungen zur katholischen „Gender-Kritik“ (Broschüre), Bregenz 2021. (https://plan-g.at/images/ueber-uns/news/2021/Marschtz-web-kl.pdf)

2 Vgl. https://www.euro.who.int/en/health-topics/health-determinants/gender/gender-definitions/whoeurope-brief-transgender-health-in-the-context-of-icd-11 [08.10.2021].

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stephanie bayer

studierte Katholische Theologie und Religionspädagogik in Linz und Paris. Seit 2019 arbeitet sie als Universitätsassistentin (praedoc) am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien und promoviert im Fach Pastoraltheologie zum Thema "Trans* im Kontext von Theologie und Kirche".

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