Wie gehen lokale Pluralität und globale Uniformität zusammen? Anlässlich der Veröffentlichung des Dekrets „Traditionis custodes“ macht sich Simon Spratte auf die Suche nach einer glokalen Kirche und wird in der Kirchengeschichte und der Soziologie fündig.

Die Veröffentlichung des Dekrets „Traditionis custodes“ durch Papst Franziskus und die damit verbundene Einschränkung der Feier des sogenannten alten Ritus hat insbesondere in rechtskonservativ-traditionalistischen Kreisen für große Empörung gesorgt. So spricht Gerhard Ludwig Müller etwa vom fehlenden Einfühlungsvermögen des Papstes und von der Verletzung der religiösen Gefühle gerade von jungen Menschen.1 Einmal ganz abgesehen von der vorschnellen Inanspruchnahme einer scheinbar allgemeinen Einheit aller jungen Gläubigen ist der hier auftauchende Tonfall aus der letzten Zeit bekannt:

Er ist Teil des Sprechens von einem bald nahenden Schisma, das von jenen Kreisen quasi herbeigeredet wird. Insbesondere im Blick auf den Synodalen Weg werden wichtige Reformschritte als Untreue gegenüber Rom und als Vorzeichen einer nahenden Spaltung betitelt und herabgewürdigt.

Seien es die dringend notwendige Neuordnung der katholischen Sexualmoral, der Weg hin zu einer geschlechtergerechten Kirche oder auch das Beenden der krankhaften Verbindung von Macht und Missbrauch innerhalb des kirchlichen Systems. Doch hat dieses fast schon pathologische Herbeireden eines Schismas wirklich seine Berechtigung oder ist es nicht vielmehr ein vollkommenes Übersehen bzw. Nicht-Sehen-wollen von wichtigen synodalen Prozessen, die in Zukunft auch die gesamte Kirche betreffen werden? Alternativtexte, die als Reaktion veröffentlicht werden, haben oft selbst spaltenden Charakter und auch wenn sich innerhalb der Kirche momentan in allen Bereichen de facto eine tiefe Zerissenheit zeigt, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Synodalität und Schisma. Ein Blick in die Kirchengeschichte und dabei insbesondere in die frühe Zeit des Christentums lohnt sich an dieser Stelle und macht deutlich, dass schon damals in keiner Weise von einer auf Rom ausgerichteten, gleichförmigen Einheitlichkeit die Rede sein konnte.

Zurück ins zweite Jahrhundert

Insbesondere die Auseinandersetzungen rund um den Osterfeststreit des 2. Jahrhunderts und die dabei zentrale und vermittelnde Position des Irenäus von Lyon sind für unsere heutigen Diskussionen sehr interessant. Seit Beginn des frühen Christentums ist die Frage der Einheit von zentraler Bedeutung und wurde durch Tendenzen der Pluralisierung immer wieder auf die Probe gestellt. Hier ist nun auch der Osterfeststreit zu verorten.2 Der Festinhalt war dabei mit der Feier von Tod und Auferstehung Jesu bis auf geringe Feinheiten in der Akzentuierung grundsätzlich gleich, jedoch gab es Unterschiede in der Datierung des Festes.3 In Kleinasien wurde Ostern in den Gemeinden zur selben Zeit wie das jüdische Passah gefeiert, also am 14. Nissan. Auf der anderen Seite war dagegen Rom positioniert, welches sich dem Patriarchat von Alexandria angeschlossen hatte und den Sonntag zur Feier von Ostern gewählt hatte, der auf das Passahfest folgte. So ergaben sich zwei Ausrichtungen, die in der Forschung als die Quartodezimaner und die Protopaschisten bezeichnet werden.4 In ihren jeweiligen Argumentationen verbanden die Vertreter der quartodezimanischen Seite die Datierung der Osterfeier insbesondere mit dem letzten Abendmahl und dem Tod Jesu und setzten dadurch eine  biblisch begründete bleibende Verbindung mit dem Passahfest.5 Auf der anderen Seite existierte dagegen die Tradition der Protopaschisten, welche die Osterfeier mit der wöchentlichen Feier des Sonntags als Tag der Auferstehung verbanden und so auch auf das jährliche Osterfest übertrugen.6 Lange Zeit existierten nun beide Traditionen problemlos nebeneinander. Dies änderte sich erst, als kleinasiatische Christen in der Amtszeit des römischen Bischofs Viktor (189 bis 198 n. Chr.) ihre quartodezimanische Praxis auch in Rom einführen wollten. Viktor wollte diese Praxis nicht dulden und drohte die Abspaltung von den kleinasiatischen Gemeinden an. Um die Einheit der Kirche nicht zu gefährden, kam es zu mehreren vermittelnden Synoden, in denen nun auch Irenäus von Lyon eine wichtige Funktion einnahm.7 In der Argumentation des Irenäus war dabei zentral, dass sich der Streit nicht nur um den Termin des Festes, sondern auch um die Art des Fastens vor Ostern drehte.

Auch hier herrschten verschiedene Auffassungen, welche sich mit der Zeit immer mehr festigten und zu Verschiedenheiten führten. Dennoch, so Irenäus, bleibe der Frieden unter den Christ*innen durch die Verschiedenheit bestehen und fördere sogar noch die Einheit.

Aufgrund dessen fordert Irenäus Viktor am Schluss auf, keine Spaltungen hervorzubringen, sondern einen Kompromiss einzugehen und die Unterschiede in der Frage des Ostertermins anzunehmen, um durch sie die Einheit im Glauben zu stärken.8

Ein Kurzausflug in die Soziologie

Die vorgestellte Position des Irenäus von Lyon ist nicht nur stark durch ihre vermittelnde Absicht geprägt, sondern sie ist auch Beispiel für ein Ringen um Globalität und Lokalität innerhalb der Kirche des Antiken Christentums. Bei den Begriffen Globalität und Lokalität handelt es sich dabei jedoch um zwei Termini, die erst ungefähr seit den1960er Jahren im Kontext des Denkens von Globalisierung präsenter sind. Lokal bzw. regional meint dabei das Umfassen eines begrenzten Gebiets, wogegen global den Bezug auf die ganze Welt beschreibt.

Im Zuge des Diskurses über Chancen und Risiken ebendieser Globalisierung ist besonders der von Ulrich Beck 1998 herausgegebene Band „Perspektiven der Weltgesellschaft“ Wegbereiter einer weiteren Reflexion gewesen.9 Darin formuliert der britische Soziologe Roland Robertson den Begriff „Glokalität“ und führt aus,

dass das Globale selbst nicht dem Lokalenen entgegengesetzt ist, sondern das Lokale vielmehr unbedingter und konstitutiver Bestandteil des Globalen ist – deswegen der Begriff „Glokalität“.10

Die synodale DNA der Kirche

Kirche war und ist immer auch ein soziologisches Konstrukt – schon in der Antiken Kirche gab es sowohl Prozesse der Lokalisierung und Pluralisierung, aber eben auch Tendenzen zur Globalisierung und Vereinheitlichung. Beides stand hier immer nebeneinander und ereignete sich parallel. Auch eine plurale Verschiedenheit im Lokalen hatte in der Antiken Kirche so immer seine Legitimität und wurde in Einklang mit einer Vorstellung der Einheit in Glaube und Evangelium gelebt. Vielleicht kann das Bild einer glokalen Kirche also auch in der aktuellen Situation der Kirche hilfreich sein und vorschnelle Ängste vor einer Spaltung beruhigen: Die Kirche war auch schon im frühen Christentum von Prozessen der Lokalisierung und Pluralisierung geprägt und diese haben dabei nie die Einheit im Glauben übersehen. Der Synodale Weg ist dabei nur ein erster Schritt auf einem allgemeinen synodalen Prozess und im Blick auf notwendige Reformen, ohne die die Institution Kirche nur noch wenig Zukunft haben wird. Synodalität und Vielfalt sind dabei jedoch nicht etwas Neues oder sogar Spaltendes, sondern beide sind seit Beginn in die Geschichte, und dadurch vielleicht sogar in die DNA des Christentums, eingeprägte Dynamiken ihres eigenen Selbstverständnisses.

Hashtag der Woche: #GlocalityChurch


(Beitragsbild: Ben White)

[1] Vgl. Kardinal Müller: Papst Franziskus will, dass Alte Messe ausstirbt – katholisch.de (aufgerufen am 27.07.21).

[2] Vgl. Frank OFM, Karl Suso: Grundriss der Geschichte der Alten Kirche. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. Darmstadt 1984. 51f.

[3] Vgl. Huber, Wolfgang: Passa und Ostern. Verlag Alfred Töppelmann. Berlin 1969. 16.

[4] Vgl. Frank. Grundriss. 51f.

[5] Vgl. Huber. Passa und Ostern. 16ff.

[6] Vgl. Huber. Passa und Ostern. 48f.

[7] Vgl. Frank. Grundriss der Geschichte der Alten Kirche. 52.

[8] Vgl. Eusebius. H.E. (V, 24).

[9] Vgl. Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Suhrkamp Verlag. Berlin 1998.

[10] Vgl. Robertson, Roland: Glokalisierung – Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven derWeltgesellschaft. Suhrkamp Verlag. Berlin 1998. 208 f.

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simon spratte

studiert Katholischen Theologie, Islamwissenschaften und Jüdische Studien in Münster und ist dort Studentische Hilfskraft am Seminar für Zeit- und Religionsgeschichte des Alten Testaments.

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