In den letzten Jahren hat sich im Umgang mit psychischen Krankheiten viel verändert: jede:r weiß, was ein Burnout ist, ein Klinikaufenthalt bedeutet nicht mehr das soziale Aus und im Internet wird immer häufiger über eigene Erfahrungen mit Depressionen und Ängste gesprochen. Wie verhält sich die katholische Kirche dieser Entwicklung gegenüber? Dieser Frage ist Maja Goertz in einem Interview nachgegangen.

Hilflose Helfer:innen

Bereits in den siebziger Jahren hat der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer den Begriff „hilflose Helfer:innen“ geprägt. Dieser beschreibt die negativen Auswirkungen übermäßiger Hilfe auf helfende Personen. Besonders anfällig dafür sind Menschen, die in sozialen und seelsorgerischen Bereichen tätig sind. Durch einen Mangel an Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten, werden Muster mangelnder Abgrenzung und Überarbeitung verstärkt: Die eigenen Bedürfnisse werden zurückgestellt, stets benötigt jemand Hilfe, wenn man selbst nicht in Aktion tritt, wer tut es dann? Wird aus einer helfenden Person ein:e hilflose Helfer:in, dann verträgt sich dies laut Schmidbauer nicht mehr mit einer professionellen Berufshaltung, in der mit möglichst geringem zeitlichem Aufwand ein hohes Qualitätsniveau erfordert werde. Helfende Berufe lassen sich jedoch selten in festen Zeiten und Erfolgsraten organisieren und bewerten. Der persönliche Einsatz wird meist besonders hoch geschätzt und gefordert. Betroffen sein können Lehrer:innen, Therapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, Krankenpfleger:innen – und Mitarbeiter:innen der Kirche, die in der Seelsorge tätig sind.

Burnout in der katholischen Kirche

Nachdem ein Pfarrer, den ich seit vielen Jahren persönlich kenne, beschlossen hatte, nicht mehr als Pfarrer tätig sein zu wollen und die Gemeinde verlassen hat, bin ich auf das Thema „Burnout in der katholischen Kirche“ aufmerksam geworden. In einem Interview habe ich mit dem Pfarrer, der in diesem Text anonym bleiben möchte, über seine Erfahrungen und Beweggründe sein Amt niederzulegen, gesprochen.

In der katholischen Kirche gab es 2019 circa 10.000 Seelsorgestellen und Pfarreien, in denen knapp 13.000 Priester arbeiteten, daneben gibt es Diakone und Gemeindereferent:innen. Damit verglichen, dass laut Angaben der Deutschen Bischofskonferenz zur gleichen Zeit 23,9 Millionen Katholik:innen in Deutschland lebten, ist das nicht viel. Deshalb gibt es auch in der katholischen Kirche immer mehr Seelsorger:innen, die sich von ihren Aufgaben überfordert fühlen und mehr Menschen betreuen sollen, als eigentlich möglich ist. Jeder fünfte Priester in Deutschland arbeitet 65 Stunden in der Woche und liegt damit deutlich über der durchschnittlichen Arbeitszeit der Gesamtbevölkerung, knapp vierzig Prozent der Priester zeigen eine erhöhte Stressbelastung. Priester zu sein wird von vielen primär als Berufung verstanden, weniger als ein „normaler“ Beruf.

Über den Prozess, sich aus der Gemeinde zu verabschieden, erzählt der ehemalige Pfarrer: „etliche waren traurig oder besorgt wie es weiter geht. Die meisten gingen davon aus, dass sich vieles ändern wird.“ Viele Gemeindemitglieder fragen sich auch, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Auch als Pfarrer muss aber eine Trennung zwischen Amt und Privatem bestehen: „Das Privatleben eines Priesters ist für viele von höchstem Interesse. Über das Gemeindeleben kann ich offen (und mit Erwartungen) nur mit jemandem sprechen, der nicht in der Gemeinde beheimatet ist.“, so der ehemalige Pfarrer.

„Ich bin jetzt 64 Jahre alt, und das letzte Ziel meines Lebens ist es nicht, Pfarrer zu sein.“

Welche strukturellen Probleme auf Stadt- und Bistumsebene dazu geführt haben, sich in seinem Amt nicht mehr wohl zu fühlen, beschreibt er wie folgt: „Ich wollte nichts mehr zu tun haben mit Verwaltung, Personalangelegenheiten, Reparaturen und Umbauten. Die Zusammenarbeit im Seelsorgebereich der Stadt war in der gegebenen personellen Besetzung perspektivlos. Wir kamen nicht voran, alles stockte, weil gerade die Pfarrer nicht zusammenarbeiten konnten und unterschiedliche Ziele/ Schwerpunkte hatten“. Die Gründe, den Schritt zu gehen, die Gemeinde zu verlassen, erklärt er so: „Es gab für mich nichts Neues mehr zu entwickeln oder zu erreichen. Jeder Pfarrer sollte nach einer Anzahl von Jahren wechseln, das tut ihm selbst, wie auch der Gemeinde gut. Ich habe aber nicht gewechselt, sondern ganz aufgehört. Ich begründete das mit ‚amtsmüde‘. Und ich glaube das trifft es nach wie vor ganz gut. Ich bin jetzt 64 Jahre alt, und das letzte Ziel meines Lebens ist es nicht, Pfarrer zu sein. Ich freue mich darauf, mehr Zeit für mich zu haben, möchte aber auch noch in der Seelsorge tätig sein.“
Auf die Frage, wie es nun weitergehe, antwortet er: „Ich will nicht mehr als Pfarrer in der ersten Reihe agieren, kann mir aber vorstellen, weiterhin im liturgischen und katechetischen Bereich in der Stadt tätig sein zu können. Gegebenenfalls auch mal was Neues ausprobieren. Vor allem aber will ich auch mehr Zeit für mich selbst haben.“

In den letzten Jahren sind immer mehr Pfarreien zusammengelegt worden, weil es einen Mangel an Priestern und Pfarrern gibt. Dies ist nicht nur im ländlichen Raum zu beobachten, sondern auch in größeren Städten. Neben wachsenden bürokratischen Aufgaben nimmt durch größere Gemeinden wegen Zusammenlegungen auch die Anzahl der Menschen, die seelsorgerisch von Einzelnen betreut werden müssen, zu. Gibt es beispielsweise einen plötzlichen Todesfall, muss der Pfarrer zur Stelle sein und folglich sein Privatleben zurückgestellt werden. Daraus resultieren immer häufiger Burnouts. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wird vom EKM und vielen Priestern gefordert, bürokratische Aufgaben anders zu verteilen, damit sich Priester ganz der Seelsorge und dem Leben innerhalb der Gemeinde widmen können.

Hilfe in Krisenzeiten

Als Reaktion auf gesundheitliche Belastung unter Seelsorgenden gibt es von der katholischen Kirche ein einzigartiges Angebot: Im Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach wird Seelsorge und Therapie bei psychischen, geistlichen und spirituellen Problemen angeboten. Nachdem sich der Pfarrer, der im Interview von den Hintergründen für die Entscheidung, sein Amt niederzulegen, erzählt, aus der Gemeinde verabschiedet hatte, verbrachte er selbst sechs Wochen in dem Therapiezentrum Münsterschwarzach. Darüber berichteter: „In den Recollectio-Kuren geht es um vieles: Beziehungen, Umgang mit Autoritäten und Macht, Burnout, Konfliktbewältigung, Suchtprobleme. Jede:r bringt sein eigenes Thema mit, und daran wird gearbeitet. Für die Kirche in Deutschland eine wirklich wichtige Einrichtung.“

„Es gibt immer noch Gründe hinter den Gründen.“

Von seinen persönlichen Erfahrungen erzählt er: „Für mich war wichtig, dass hinter all den Gründen, die dazu geführt haben, dass ich nicht mehr als Pfarrer arbeiten will, immer noch weitere Motive, Anlässe, eine persönliche Verfassung, Lebensgeschichten stehen. Es gibt immer noch Gründe hinter den Gründen. Und da ist einiges ans Tageslicht gekommen und aufgearbeitet worden, was für den weiteren Weg sehr hilfreich sein kann. Ich habe mich besser und klarer verstanden. Natürlich lernt man auch immer etwas von anderen. Deshalb war auch die Gruppe sehr wichtig.“ Eine Auswirkung auf den eigenen Glauben habe das Weggehen aus der Gemeinde nicht gehabt. Weiterhin befasse er sich ─ nun allerdings mehr im Privaten ─ mit dem Glauben: „Ich beschäftige mich mit dem Tod, der Auferstehung, dem ewigen Leben, feiere sonntags Gottesdienste, manchmal auch werktags, und halte auch (aber nur wenige) Beerdigungen.“ Das klassische Pfarrerdasein vermisse er nicht.

Wie soll es weitergehen?

Das Phänomen, dass immer mehr Menschen überarbeitet sind und dadurch in einen psychischen Überlastungszustand geraten, ist überall zu beobachten. Dennoch sind die Zahlen der an Burnout Erkrankten in sozialen Berufen besonders hoch. Um dem entgegenzuwirken, müssten sich in der katholischen Kirche Strukturen verändern, die dazu führen, dass zu viel Last auf Einzelpersonen liegt und diese mehr Aufgaben und Verantwortungsbereiche haben, als sie tatsächlich leisten können ─ viel davon hat mit Personalmangel zu tun. So wie die Kirchenaustritte in den letzten Jahren steigen, sinken die Zahlen an Priestern. Dennoch sollte hier niemals von Einzelpersonen auf die Allgemeinheit geschlossen werden. Wie es das Interview gezeigt hat, führte eine Verflechtung an persönlichen und strukturellen Angelegenheiten zum Niederlegen des Amtes als Pfarrer. Wie die katholische Kirche damit weiterhin umgeht und ob sich aus diesem Grund an dem Konzept, wie seelsorgerische Aufgaben verteilt werden etwas ändern wird, um den strukturellen Problemen entgegenzuwirken, bleibt zu beobachten.

 

Hashtag der Woche: #hilfloseHelferInnen


(Beitragsbild: @mariana beltrán)

Print Friendly, PDF & Email

maja goertz

ist 20 und lebt in Heidelberg. Parallel zu ihrem Studium wird sie an der katholischen Journalismusschule ifp München ausgebildet, weshalb sie fast so oft in Zügen, wie in Vorlesungssälen sitzt. In der Zeit daneben hat sie den Blog Semikolon über die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen gegründet und schreibt Kurzgeschichten.

One Reply to “„Mein letztes Ziel im Leben ist es nicht, Pfarrer zu bleiben“”

  1. Schmidbauers These ist hauptsächlich – wenn ich das richtig verstanden habe – dass viele Helfer*innen bereits mit einem übersteigerten „Liebesbedürfnis“ ihren Beruf wählen, und quasi „süchtig“ sind nach der Bestätigung von anderen, denen sie helfen möchten. Tiefenpsychologisch formuliert wehrt man so die eigene Hilflosigkeit ab – solange man denn helfen kann. Dieses Muster ist dann natürlich auch extrem burnoutgefährdet. Es ist nur komplexer als die Überforderung durch die schiere Anzahl: „Es gibt soviele, denen man helfen müsste“.
    Dieses Muster gilt es in der Ausbildung und später durch Supervision unbedingt zu bearbeiten.
    Die Argumente, inwiefern man deutlich mehr Menschen den Zugang zum geweihten Amt auch in der katholischen Kirche ermöglichen könnte, sind übrigens seit Jahrzehnten ausgetauscht. Jetzt müssten Entscheidungen fallen. Das würde so manchem Burnout – und noch ganz anderen Dingen vorbeugen.
    (Burnout ist übrigens noch nicht als Krankheit, schon gar nicht als psychische Störung klassifiziert worden.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: