(Hyper-)Maskulinität im Hip Hop
Hip Hop ist in weiten Teilen noch immer maskulin geprägt.1 Nicht nur die Artists und das Publikum sind überwiegend männlich, auch die verhandelten Themen und eingenommenen Perspektiven entsprechen einem stereotypen Männlichkeitsbild – es geht um Stärke, Toughness, Erfolg bei Frauen, Kontrolle und Dominanz.2 Im wettbewerbsgeprägten Klima des Hip Hop kommt es zu regelrechten Übersteigerungsversuchen hinsichtlich typisch maskuliner Attribute: Wer hat den trainiertesten Körper, den avantgardistischsten Style, wer kann seinen eigenen Erfolg und Reichtum am eindrucksvollsten präsentieren und wer in seinen Lyrics und Musikvideos mit den meisten sexuellen Eroberungen prahlen? Es scheint, als folge Hip Hop nicht nur einem stereotypen Bild von Männlichkeit, sondern als zeichne sich dieses Bild durch seine Übersteigerung sämtlicher Männlichkeitsattribute aus – seine Hypermaskulinität.3
Diese Hypermaskulinität konstruiert sich erstens in Abgrenzung gegenüber „dem Weiblichen“ und resultiert in dualistisch-stereotypen Genderkonstruktion, wie sie Bradley auf den Punkt bringt:
„Hip-hop masculinity is aggressive, dominant, and flattened while hip-hop femininity is submissive, (hyper)sexual, and silenced. This is especially prevalent in the visual aspect of hip-hop, with women being very much seen as video vixens.“3
Zweitens gehen solche Genderkonstruktionen – obwohl sie selbst aus einer Position intersektionaler Unterdrückung geboren wurden4 – häufig zu Lasten derer, die aus dem hypermaskulinen Raster fallen: in erster Linie Frauen, dann aber auch Personen, die nicht männlich genug auftreten.5 Denn wer nicht hypermaskulin ist, ist nicht männlich; wer nicht männlich ist, ist weiblich.6 Und diese Weiblichkeit wird assoziiert mit Passivität, Unterwürfigkeit und Verfügbarkeit.3 Dass dieses vermeintliche Ideal der Hypermaskulinität problematisch ist, ist evident. Folglich wird schnell klar:
Hip Hop braucht ein neues Bild von Geschlechtlichkeit im Allgemeinen und von Männlichkeit im Besonderen.
Subversionsstrategien der Hypermaskulinität im Hip Hop
Diskussionen um die Konstruktion eines neuen Männlichkeitsideals7 und anti-hypermaskuline2 oder feministische8 Genderartikulationen existieren an den Rändern des Hip Hop schon lange. Ihre anhaltenden Versuche, das hypermaskuline Männlichkeitsparadigma von innen heraus zu unterwandern, zeitigen zunehmend auch im Mainstream Hip Hop Erfolg.9 Solch immanente Subversionsstrategien von Hip Hop-Hypermaskulinität können auf zwei Arten vonstattengehen: erstens durch eine Zurücknahme des Übermäßigkeitsmoments aus den Darstellungen der Männlichkeit mittels eines Durchque(e)rens bestehender Männlichkeitsvorstellungen mit vermeintlich „femininen“ Aspekten, andererseits durch ein Parodieren dessen mittels einer rollenvertauschten weiblichen Hypermaskulinität.
Wie diese Subversionsstrategien konkret aussehen können, will ich am Beispiel der Songs Montero (Call me by your name) von Lil Nas X (2021) und WAP von Cardi B und Megan thee Stallion (2020) aufzeigen.
Subversionsstrategie I: Durchque(e)rung von Hypermaskulinität
Nach seinem kometenhaften Aufstieg durch seinen memehaften Song Old Town Road (2018)10 machte Lil Nas X mehrfach auf sich aufmerksam, als er sich 2019 öffentlichkeitswirksam als homosexuell outete und seine Queerness anschließend in Songs verarbeitete.
Vor diesem Hintergrund ist sein 2021-Song Montero (Call me by your name) zu verstehen. Wenn Lil Nas X einerseits an den Schilderungen sexueller Potenz und Eroberungen festhält, diese nun aber aus gleichgeschlechtlicher Perspektive artikuliert und durch vermeintlich „feminine“ Elemente anreichert, zielt dies darauf – wie er selbst erläutert – hypermaskuline Rollenerwartungen zu durchque(e)ren und andere Vorstellungen von Männlichkeit im und über den Hip Hop hinaus zu etablieren, zu enttabuisieren und zu normalisieren.
Bei dieser Arbeit an der Konstruktion eines neuen Männlichkeitsbildes referiert Lil Nas X auf biblische Motive – bspw. im Pre-Chorus, wo sich eine Anspielung auf die Paradieserzählung und (eine abwesende) Eva finden:
I’m not fazed, only here to sin
If Eve ain’t in your garden, you know that you can
Auch wenn diese Zeilen eine vermeintliche Verbindung von Sünde und Eva anklingen lassen, wird dieser Zusammenhang durch ihre Abwesenheit doch explizit durchbrochen. Denn Evas Abwesenheit hält den Protagonisten nicht davon ab, sich seinem Begehren hinzugeben und zu sündigen. Damit zeichnet Lil Nas ein Bild, in dem Eva nicht Urheberin der Sünde ist und durchbricht den konventionell-patriarchalen Zusammenhang von Eva = Sünde.
Diese Entbindung von Sündhaftigkeit und Weiblichkeit wird im Musikvideo, durch Lil Nas X einsames Verweilen in einem paradiesischen Garten, visuell inszeniert. Gleichzeitig findet hier eine bildhafte Neuzuschreibung von Sündigkeit statt, wenn er von einer androgyn anmutenden Schlange verführt wird, seine homoerotische Lust anschließend selbstbestimmt auslebt und in der finalen Szene die Rolle des Teufels einnimmt und sich mit der personifizierten Sündhaftigkeit identifiziert.
Subversionsstrategie II: Parodierung von Hypermaskulinität
Mit ihrem Song WAP produzieren Cardi B und Megan thee Stallion einen Song, der aufgrund seiner expliziten Thematisierung und sex-positiven Darstellung weiblicher Lustfantasien und Vorlieben weitgehend als „Hymne selbstbestimmter weiblicher Sexualität“11 gefeiert wurde.
In ihren WAP-Sexualitätsschilderungen knüpfen die Künstlerinnen an das hypermaskuline Paradigma des Hip Hop an – wo Männer aktiv ihre Fantasien schildern und Frauen als passive Sexobjekte herhalten –, übernehmen dabei jedoch die aktive Subjektrolle. Damit vertauschen sie die hypersexuellen Rollenerwartungen, setzen der scheinbar so männlichen Hypermaskulinität eine weibliche Hypermaskulinität entgegen – und parodieren dadurch das Hypermaskulinitätsparadigma, womit sie zugleich zur femininen Emanzipation aus diesem beitragen.
Das Musikvideo steigert diese parodierende Emanzipation weiter, indem es die weibliche Hypermaskulinität zusätzlich visuell untermalt. Und wenn sich Cardi B und Megan thee Stallion leichtbekleidet auf sandigem Boden räkeln und von bunten Schlangen umringt sind, klingen hierin Motive der Paradiesgeschichte an. In dieser Inszenierung mimen Cardi B und Megan thee Stallion die Figur der Eva, die sie dabei zwar eindeutig in einen Lust- und Versuchungskontext stellen, diese Lust und Versuchung aber von ihrer vermeintlichen Sündigkeit und deren negativen Konnotationen entkoppeln. Statt ihr zum Verhängnis zu werden und feminine Unterordnung bzw. -drückung zu rechtfertigen, werden Lust und Versuchung positiv wie emanzipativ gewendet – und ermächtigen Eva, über Sexualität, Genuss und Befriedigung zu bestimmen und als selbstbestimmtes Subjekt aufzutreten.
Eva und die Subversion von Hypermaskulinität
So lässt sich festhalten:
Lil Nas X sowie Cardi B und Megan thee Stallion wenden sich auf je eigene Weise gegen Hypermaskulinität im Hip Hop. Ersterer queert Hypermaskulinität durch das aktive Inszenieren seiner eigenen Homosexualität, letztere parodieren männliche Hypermaskulinität durch weibliche Hypermaskulinität.
So tragen sie jeweils zur Subversion von Hypermaskulinität im Hip Hop bei. Gleichzeitig greifen die genannten KünstlerInnen auf die biblische Paradiesgeschichte und die Figur der (abwesenden) Eva zurück, de- und rekontextualisieren diese und interpretieren sie neu. Innerhalb des Hip Hop trägt diese Neuaneignung einerseits als verstärkendes Element zur Subversion der Hypermaskulinität bei und setzt Impulse zur Neuorientierung von Genderstereotypen, Geschlechts- und Sexualitätsrollen. Andererseits wirkt sie mit bei der gesamtgesellschaftlichen Suche nach neuen Bildern von bzw. neuen Perspektiven auf die biblische Eva – und kann so zur lange überfälligen Überwindung patriarchaler Frauenbilder und der Neukonstruktion christlicher Frauenbilder beitragen.
Hashtag: #hyperhyper
(Beitragsbild: https://www.youtube.com/watch?v=6swmTBVI83k)
1 Perry, I., Prophets of the Hood. Politics and Poetics in Hip Hop. 2004, Durham, London: Duke University Press.
2 Lafrance, M., L. Burns, and A. Woods, Doing Hip-Hop Masculinity Differently. Exploring Kanye West’s 808s & Heartbreak through word, sound, and image, in The Routledge Research Companion to Popular Music and Gender, S. Hakwins, Editor. 2017, Routledge: London, New York. p. 285–299.
3 Bradley, R.N., Barbz and kings: explorations of gender and sexuality in hip-hop, in The Cambridge Companion to Hip-Hop, J.A. Williams, Editor. 2018, Cambridge University Press: Cambridge. p. 181–191.
4Shabazz, R., Masculinity and the mic: confronting the uneven geography of hip-hop. Gender, Place & Culture, 2013. 21(3): p. 370-386.
5 Penney, J., “We Don’t Wear Tight Clothes”: Gay Panic and Queer Style in Contemporary Hip Hop. Popular Music and Society, 2012. 35(3): p. 321-332.
6 Li, X.L., Black Masculinity and Hip-Hop Music. Black Gay Men who Rap. 2019, London: palgrave macmillan.
7Neal, M.A., New Black Man. 2015, New York, London: Routledge.
8 Morgan, J., When Chickenheads Come Home to Roost. A Hip Hop Feminist Breaks it Down. 1999, New York, London: Simon & Schuster.
9 Halliday, A.S. and A.N. Payne, Twenty-First Century B.I.T.C.H. Frameworks: Hip Hop Feminism Comes of Age.Journal of Hip Hop Studies, 2020. 7(1).
10 Tretter, M., By all Memes Necessary: Hip Hop, Memes, and the Internet. PopMeC, 2021.
11 Markitzyk, S., Pop-Feminismus 2.0. Meine Pussy gehört mir, in Tagesspiegel. 2020.