In Debatten um die Säkularität Deutschlands wird sie längst kontrovers diskutiert und auch innerkirchlich wird angefragt, ob die Einnahmen der Kirchensteuer allen Zahlenden zugutekommt. Christoph Koller überlegt wie eine Kirchensteuer aussehen könnte, die in das ökonomische Selbstverständnis junger Menschen passt.

Wer zur Zeit in Köln aus der Kirche austreten will, steht vor einer unerwarteten bürokratischen Hürde: Termine für den Kirchenaustritt waren und sind nicht zu bekommen. Das hat aber nicht nur zur Folge, dass Austrittswillige noch ein paar Wochen länger als geplant Kirchenmitglieder sein müssen. Denn der Austritt aus der Institution Kirche ist in Deutschland nicht nur ein Akt identitärer Selbstbestimmung über den eigenen Konfessionsstatus, sondern hat auch, Kirchensteuer sei Dank, ganz konkrete Auswirkungen auf die eigene Gehaltsabrechnung.

Die Generation Y – aktuell austrittswillig

Empirisch ist es (noch) nicht belegbar, aber ich habe dein Eindruck, dass ein nicht geringer Teil der aktuell Austrittswilligen Angehörige meiner Generation sind, jener Generation Y, der y-nachten seinen Namen verdankt. Es sind die Twenty- oder mittlerweile auch schon Thirty-Somethings, die sich noch nicht lange in festen Arbeitsverhältnissen befinden und dementsprechend noch nicht allzu lange Kirchensteuer zahlen. Diese Generation hat in ihrer Kindheit – damals, in den 90ern, hach – noch die Ausläufer der guten alten Volkskirche erlebt, Kinder wurden noch zahlreich getauft, sind fast geschlossen zur Erstkommunion, und nicht wenige waren zumindest zeitweise in einer der vielfältigen Organisationen der katholischen Jugendarbeit aktiv. Und diese Ys stehen heute vor der Frage, ob sie in dieser Institution namens Katholische Kirche, in der sie seit twenty-something Jahren Mitglied sind, auch weiterhin bleiben wollen. Lassen wir einmal diejenigen beiseite, die sich dezidiert als nicht gläubig bezeichnen, dann gibt es immer noch viele, denen ihre Mitgliedschaft in der Kirche zumindest so viel bedeutet, dass sie bisher keinen Grund dafür sahen, bewusst auszutreten. Dass sich das jetzt so massiv ändert, liegt vielfach an inhaltlichen Positionierungen der katholischen Kirche: Ausgrenzung von Frauen und Homosexuellen, die Gender-Problematik und ganz aktuell wieder der Umgang mit sexueller Gewalt in der Kirche. Aber erst wenn sie die eigene Gehaltsabrechnung unter die Lupe nehmen, realisieren viele, dass sie nicht nur auf dem Papier Kirchenmitglieder sind, sondern dass sie diese Institution jährlich mit einem nicht unbeträchtlichen Geldbetrag finanzieren: Um einmal beispielhaft Zahlen zu nennen: Ein*e wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in an einer Universität mit halber Stelle zahlt knapp 200 € Kirchensteuer im Jahr, ein*e frisch verbeamtete*r Gymnasiallehrer*in über 1.000 €.

Wie war das noch gleich mit der Kirchensteuer?

Dass die Kirche Geld braucht, ist klar. Irgendwie muss sie ihre Ausgaben bestreiten, ihre Geistlichen und Angestellten bezahlen, Gebäude unterhalten, Aktivitäten von der Krabbelgruppe bis zum Seniorenbesuchsdienst unterstützen. Die Pflicht der Gläubigen, dafür einen finanziellen Beitrag zu leisten, ist sogar kirchenrechtlich vorgeschrieben (vgl. c. 222 § 1 CIC). Allerdings ist die Norm sehr allgemein gehalten, und so ist es dann auch weltweit sehr unterschiedlich geregelt, wie die Mitglieder ihren Beitrag zur Unterstützung leisten. Ein Kirchensteuersystem wie in Deutschland ist allerdings die Ausnahme und nicht die Regel: Hierzulande zieht das Finanzamt von jedem Einkommenssteuerpflichtigen 9 bzw. 8 % der Einkommenssteuer ein und überweist sie der Kirche, deren Mitglied man ist. Auch auf Kapitalerträge sind Kirchensteuern fällig. Über 6,6 Milliarden Euro nahmen allein die katholischen Bistümer in Deutschland im Jahr 2019 auf diese Weise ein.

Dieses System hat zunächst einmal Vorteile. Neben der relativ einfachen und kostengünstigen Erhebung (das Vorurteil, die Kirche schmarotze sich vom Staat den Einzug der Kirchensteuer, stimmt übrigens nicht: Dieser erhält als Entgelt für den Steuereinzug 3 % der eingezogenen Kirchensteuer, was den Aufwand der Finanzämter mehr als deckt) ist dies vor allem die Gerechtigkeit: Durch die Orientierung an der Einkommenssteuer wird jeder gemäß seinem Einkommen belastet, Geringverdiener wenig bis gar nicht, Vielverdiener haben die Möglichkeit, eine Kappung zu beantragen. Das führt allerdings zu der etwas skurrilen Situation, dass ein nicht geringer Teil des Kirchensteueraufkommens von denjenigen bezahlt wird, die in den klassischen kirchlichen Milieus durchs Raster fallen: gut verdienende Singles in der Lebensmitte. Ein solches Konzept einer solidarischen und einkommenssensiblen Beitragsgestaltung kann nur in einer Volkskirche (also bei entsprechend großer Mitgliederbasis) funktionieren, in der breite Bevölkerungsschichten das Hauptsteueraufkommen tragen. Und von ihrem Status als Volkskirche verabschieden sich die Kirchen in Deutschland gerade rasant.

regional, saisonal, bio – ein Motivationskick für Ys?

Was also könnte die Generation Y dazu bewegen, trotzdem Kirchensteuer bzw. einen irgendwie gearteten Kirchenbeitrag zu zahlen? Eine mögliche Lösung könnte in dem Erfolgsslogan liegen, der zumindest Lebensmitteln dazu verholfen hat, ihren festen Platz in den Einkaufskörben der Generation Y zu finden: regional, saisonal, bio.

Im deutschen Kirchensteuersystem gehen die Einnahmen zunächst an das Bistum, das dann etwa die Hälfte an die Kirchengemeinden vor Ort weiterverteilt. Wir zahlen aber lieber, wenn wir wissen, was genau mit unserem Geld passiert und wer davon profitiert. Die Jugendarbeit der Gemeinde, der sympathische Pfarrer, kreative Ideen und ansprechend gestaltete Gottesdienste, die tolle Kirchenmusik. Oft ist es auch heimatliche Verbundenheit: Die Gemeinde, in der man groß geworden ist und in der die eigene Familie noch engagiert ist, möchte man gerne unterstützen, das Bistum, von dem man vielleicht am neuen Wohnort gar nicht mehr weiß, welches das eigentlich ist, eher nicht. Überhaupt die Verbundenheit mit der Ortsgemeinde – soziologische Untersuchungen belegen, dass ein Umzug einer der häufigsten Gründe für ein Abreißen kirchlichen Engagements und gelebter religiöser Praxis ist. Deshalb sollte jede*r selbst entscheiden können, an welchem Ort ich die Kirche finanziell unterstützen möchte.

Kirchliche Angebote nehmen Angehörige der Generation Y vor allem dann in Anspruch, ‚wenn sie dran sind‘: Kirchgang an Weihnachten und zu entscheidenden Punkten der Lebenswende, also Taufe, Hochzeit, Beerdigung. Warum also nicht das stetige, monatliche Zahlen eines Kirchenbeitrages ersetzen durch ‚saisonale‘ Beitragsleistungen? Das vielfältige Angebot an freien Redner*innen, die zu solchen Anlässen bereitstehen, und nicht zuletzt deren Preisgestaltung beweisen, dass auch Ys grundsätzlich bereit sind, für ihre spirituellen und rituellen Bedürfnisse zu zahlen. Ein solches saisonales Beitragskonzept würde auf jeden Fall einer oft bemühten Eigenschaft der Generation Y entsprechen: keine Verbindlichkeiten eingehen, bloß kein lebenslanges Engagement wagen.

Ich höre die Schnappatmung aus den bischöflichen Seelsorgeämtern bis hierher: Seelsorge und Gottesdienst als ‚Ware‘, die auf dem offenen Markt der Sinnangebote bestehen muss? Und außerdem fiele ja der solidarische Aspekt weg, der Kirche als Gemeinschaft spürbar werden lässt. Diese Gefahren wären allerdings zu bannen, wenn eine ansprechende Struktur und Kultur kirchlicher Finanzierungsmodelle aufgebaut würde: Also nicht einfach nur ‚Stolgebühren‘ erheben, also Gebühren für das Feiern von Gottesdiensten und kirchlichen Amtshandlungen, wie es sie vor Einführung der Kirchensteuer gab und wie sie das Kirchenrecht immer noch ermöglicht (vgl. c. 1264 CIC). Stattdessen sollten Gläubige offen und zielgerichtet aufgefordert werden, kirchliche Arbeit zu unterstützen (z.B. anlässlich einer Taufe die Kinder- und Jugendarbeit, anlässlich einer Beerdigung die Renovierung der Friedhofskapelle).

Und was ist mit ‚bio‘? Wenn ein Produkt dieses Label trägt, erweckt es eine ganze Fülle an Erwartungen: In erster Linie natürlich, dass es ökologisch hergestellt wurde. Gleichzeitig schwingt aber auch die Erwartung mit, ein solches Produkt sei darüber hinaus ursprünglicher, natürlicher, unverfälscht und deshalb auch intensiver, ‚echter‘ als das konventionelle. Wenn Menschen merken, dass es der Kirche und deren Repräsentant*innen wirklich um sie selbst geht, um ihr eigenes Leben, dann erfahren sie Seelsorge und Seelsorgende als ursprünglich, als natürlich, als echt, als lebendig – ‚bio‘ eben. Und wie im Supermarkt ist ‚bio‘ das Argument, auch etwas mehr Geld auszugeben, wenn es dem eigenen Wohlbefinden dient.

Freie Wahl für die Zahlenden

Was wäre also zu erwarten, würde die deutsche Kirchenfinanzierung von bisherigen Kirchensteuersystem auf „regional, saisonal, bio“ umgestellt? Zunächst sicherlich ein spürbarer Rückgang der Einnahmen, vor allem der verlässlich zu kalkulierenden. Aber der ist mittelfristig sowieso zu erwarten; spätestens wenn die Babyboomer Ende des Jahrzehnts in Rente sind, steht den Kirchensteuer-Einnahmen ein großer Einbruch bevor. Durch Corona wurde auch die dem wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre geschuldete paradoxe Situation beendet, dass trotz spürbar sinkender Mitgliederzahlen die Kirchensteuereinnahmen nicht zurückgingen, sondern sogar anstiegen. Deshalb sollten die Verantwortlichen jetzt, solange noch Finanzmittel da sind, überlegen, wie es weitergehen könnte. Eine vielversprechende Überlegung könnte zum Beispiel eine Kultursteuer sein, wie es sie bereits in Italien und Spanien gibt: Dort kann jede*r Steuerpflichtige nach eigenem Gusto einen gewissen Prozentsatz seiner*ihrer Einkommenssteuer an eine soziale oder kulturelle Organisation seiner Wahl weiterleiten. Davon kann die Kirche profitieren, auch wenn sie dadurch in eine ungewohnte Holschuld gerät: Sie muss Menschen überzeugen, dass ihr Angebot es wert ist, dafür zu zahlen. Und das geht umso besser, je klarer es ist, wofür sie zahlen: Nicht für eine anonyme Institution, nicht für einen vermeintlichen Kinderschänder*innen-Verein, nicht für protzige Kirchenfürst*innen, sondern für ihre lebendige und vielfältige Kirche vor Ort: regional, saisonal, bio.

 

Hashtag: #steuerparadies


Die Idee zu diesem Artikel verdanke ich meinem geschätzten Kollegen Steffen Engler und einem Freiburger Pfarrer, der von einer regional-saisonal-biologischen Kirchenfinanzierung sicherlich nur profitieren würde. Vielen Dank!

 

(Beitragsbild: @markuswinkler)

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christoph koller

ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Kirchenrecht der Universität Freiburg. Dort arbeitet er an einer Dissertation zum Thema Barmherzigkeit und Kirchenrecht.

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