Der Missbrauchsskandal scheint bei weitem nicht aufgearbeitet. In diesem Artikel beschreibt Tilman Weis die Grausamkeit, die entsteht, wenn man wie der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, nicht dafür sensibilisiert ist, was für eine Kommunikationsmacht sein Amt begleitet.

Sprache korreliert unmittelbar mit Macht. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki ist ein erfahrener Rhetoriker und damit mächtig. Diese Kompetenz hat er in den letzten Wochen virtuos an den Zenit des Aushaltbaren getrieben:

„Ich habe mir für die Fastenzeit vorgenommen, mir darüber Gedanken zu machen, wie wir in Zukunft miteinander reden können. Wie wir in Gemeinschaft bleiben, auch wenn wir gegensätzlicher Meinung sind. Ich möchte Menschen noch mehr zuhören.“1

Diese versöhnlich und diplomatisch klingenden Worte – dieses bemühte Aufeinander-Zugehen – entwickeln, mit den sich jüngst immer weiter zuspitzenden Vertuschungsvorwürfen und dem offensichtlichen Informationsvorenthalt bezüglich der Missbrauchsskandale im Kölner Erzbistum, mit denen der Kardinal sich seit Wochen konfrontiert sieht, einen besonders subtilen Grusel. Denn Menschen wie Kardinal Woelki, der womöglich – nebst seiner Person – auch aufgrund seines Amtes von einem Nimbus des guten Hüters umgeben ist, beginnt nun durch sein kardinälisches Reden besonders perfide zu wirken. Ein jedes Wort verkehrt sich in sein beißendes Negativ: Wer Gutachten unter Verschluss hält, Betroffenenbeiräte hinhält und nun auch „noch mehr zuhören möchte“, der darf sich nicht wundern, wenn die eigene Rede – eben auch durch den bereits eintretenden Machtverlust gezeichnet – zur Fratze wird, der gute Hirte Zyniker geworden ist.

Machterhalt und Machtverlust durch Sprache

Wo fängt man da am besten an? Bleiben wir zunächst bei der Sprache, dem Sprechen – dem Quell der Macht. Der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler J. Reichertz hat den Begriff der Kommunikationsmacht geprägt: Darunter versteht er unter anderem eine Macht, die

„nicht das ,Wesensmerkmal‘ einer Person [ist], sondern sie ergibt sich aus der Beziehung, die Personen immer wieder aufs Neue miteinander eingehen. Gesichert wird dieser ‚zwanglose Zwang‘ der Kommunikation durch soziale Anerkennung. Je ‚enger‘ die Beziehung der Kommunizierenden zueinander, je relevanter sie füreinander sind, desto mehr Macht kann kommunikatives Handeln entfalten. Denjenigen, die ihren Worten die dazu passenden Taten folgen lassen, wird Identität, Verlässlichkeit und soziale Kompetenz zugesprochen.“2

Ferner heißt es, dass Verlässlichkeit berechenbar macht; was das Individuum spricht, hat Bestand; seine Aussage wird Fundament; man kann sich daran orientieren – sie stützt.3 Das Entscheidende bei der kommunikativen Macht ist der Umstand, dass sie im Kern nicht auf Gewalt und Herrschaft fußt, wobei sich dieser Blickwinkel auf den aktuellen Skandal definitiv auch lohnen würde, sondern in der gemeinsamen Geschichte der Beteiligten.4 Hinzu gesellt sich der Umstand, dass es beim Kundnehmenden auch immer „um Befürchtungen oder Hoffnungen [geht] – was man vom anderen aufgrund der Erfahrung mit ihm mit guten Gründen erhoffen kann oder befürchten muss.“5 Dieses positiv geprägte Beziehungsgeflecht zerfällt aktuell, weil sich jemand konsequent der Kritik im Diskurs nicht stellt und versucht, mittels eines standardisierten politikrhetorischen Phrasenkatalogs durch die Hintertür hinauszuschleichen. Da der Kardinal Kenntnis von der Wirkmächtigkeit von Worten hat, sei es Charisma, Autorität und sich auch im Klaren darüber ist, was eine Magie der Sprache ist, verdeutlicht dies die Heftigkeit der Eruption, welche eine bestehende Beziehungs- bzw. Machtkonstellation erschüttert. Man erhält ein Gefühl für die enorme Prekarität eines Wortführers und seiner Institution, wenn sich die Gruppe, vor der er Macht hatte, von ihm abwendet und somit seine Autorität in Frage stellt, da er seinen Taten keine Worte folgen lässt. Seine Macht beginnt zu diffundieren.

Kommunikationsmacht als Identitätsstiftung

Kommen wir nun zur zweiten Beobachtung. Kommunikationsmacht geht mit einer weiteren Bestimmung einher:

„Aber es ist eine Macht, die sich aus der Beziehung der Akteure zueinander ergibt und der Bedeutung der Anderen für die eigene Identitätsfeststellung. Diese Macht beruht letztlich auf Anerkennung, also auf Freiwilligkeit. Kommunikation schafft, […] Identität und weil Identität nie wirklich fixiert ist, kann Kommunikation Identität immer wieder neu bestimmen, verletzen oder im schlimmsten Fall sogar zerstören.“6

Das wichtigste Stichwort lautet: Identität. Da die Gestaltbarkeit von Identität immer fortwährt, jedoch Identität niemals statisch ist, sondern sich im Wandel befindet, kann sie zu- und abgesprochen werden. So bedarf Identität immer kommunikativer Erneuerung. Da Identität immer ein „vorläufiges Ergebnis“7 ist, ist es daher auch nicht möglich, Identitätsbildung anzuhalten, sie zu fixieren: Sie ist immer sensibel, lässt sich angreifen und will verteidigt werden. Und wenn sich Identität statt mit „Anerkennung, Bestätigung und Austausch“ mit „Beleidigungen, Herabsetzungen, Missachtung“ konfrontiert sieht, droht sie Schaden zu nehmen.8 Wenn nun Schafe ihre religiöse Identität lediglich aus ihrer hierarchischen Beziehung zum Hirten heraus konstituieren, das Selbstverständnis des Hirten aber auch von dem geprägt ist, was die Herde an ihn heranträgt, was er für sie ist, fängt man an zu begreifen, wie feinmaschig das Textil der Kommunikationsmacht gewebt sein muss.

Vom Gänsehautfaktor einer Entschuldigung

Begegnen wir heute nicht grundsätzlich, aktuell eben besonders sichtbar in Köln, einer Kirche, die kaum sensibilisiert ist für ihre eigene Macht, sogar womöglich blind und taub ist gegenüber den Gefühlen der Gläubigen, unter denen auch Betroffene eines jahrzehntelangen Missbrauchs sind? Tiefen Einblick in diese Ahnungslosigkeit konnte man zuletzt am Ende der Feier der Christmette im Kölner Dom erleben, als Kardinal Woelki mit einer eisigen Selbstherrlichkeit Folgendes verlauten ließ:

„Was die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten. Für all das bitte ich Sie um Verzeihung.“9

Der Eindruck täuscht nicht: Kardinal Woelki hat sich soeben für die Kritik an seiner Person vor der versammelten Kirchengemeinde entschuldigt, die in den Augen des Kardinals mit der Kritik an seiner Person nicht sonderlich gut lebt – und diese Absurdität erzeugt bei mir eine ausgeprägte Gänsehaut. Wenn sich der rhetorische Weihrauch allmählich lichtet, beginnt man zu erahnen, welchem Maß seelischer Gewalt sich Betroffene sexuellen und geistigen Missbrauchs durch die Kirche nach wie vor fast täglich ausgesetzt sehen. Selten lässt sich eine solche Taktlosigkeit so kristallklar und unverblümt betrachten, wenn der gute Hirte als Protagonist an Festtagen besonders glänzen möchte. Höchstwahrscheinlich steht der Wunsch nach einer unabhängig stattfindenden Aufklärung, die sich eine gewisse Aufrichtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, doch ein wenig konträr dazu.10

Wenn man in solchen Aussagen eine ganz subtile emotionale Gewalt gegenüber Betroffenen sehen möchte – die letztlich auch von einem wohl ziemlich verschroben wirkendenden Selbstverständnis der eigenen Person getragen ist und es stimmt, was H. Arendt einst schrieb: „Macht und Gewalt sind Gegensätze: wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden[;] Gewalt tritt auf den Plan, wo Macht in Gefahr ist“11, dann möchte man am liebsten peinlich berührt zu Boden blicken. Denn man wird Zeuge, wie das eigene System, deutlich von seinen Missständen geprägt, Zeugnis vor sich selbst ablegt und sich bei einer ehrlich gemeinten – aber völlig fehlgeleiteten – Entschuldigung zur falschen Sache unermüdlich weiter selbst zerlegt.

Hashtag der Woche: #woelki


(Beitragsbild: @danielsandvik)

1 Kardinal Woelki (2021) Nix bleibt wie et wor, in: Wort des Bischofs am 14.02.2021 in Text und Video zu finden auf Domradio.de, online einsehbar unter: https://www.domradio.de/radio/sendungen/wort-des-bischofs/nix-blieb-wie-et-wor-wort-des-bischofs.

2 Reichertz, J. (2011) Kommunikation, Macht, Identität. Verlässlichkeit als Schlüsselkategorie kommunikativer Macht. In: Communicatio Socialis 44, Nr. 1, 69.

3 Vgl. Reichertz (2011) 70.

4 Vgl. Reichertz J. (2009) Kommunikationsmacht. Was ist Kommunikation und was vermag sie? Und weshalb vermag sie das? In: Wissen, Kommunikation und Gesellschaft Schriften zu Wissenssoziologie (hrsg.) Hans-Georg, S. u. A., Wiesbaden, 201.

5 Reichertz (2009) 201.

6 Reichertz (2009) 242.

7 Reichertz (2009) 242.

8 Reichertz (2009) 242.

9 Kardinal Woelki (2020) Erzbistum Köln – Weihnachtsfest 2020 – Unabhängige Untersuchung, am 25. 12. 2020 am Ende der Christmette. Text und Mittschnitt zu finden auf erzbistum-köln.de, online einsehbar unter: https://www.erzbistum-koeln.de/news/Aufarbeitung-von-sexualisierter-Gewalt-Kardinal-Woelki-bittet-um-Verzeihung/.

10 Bisher hat sich Woelki nicht eindeutig zu strukturellen und systematischen Problemen der katholischen Kirche positioniert. Es bleibt abzuwarten, ob sich das am 18. März ändert.

11 Arendt, H. (1970): Macht und Gewalt, München.

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tilman weis

studierte Altertumswissenschaften, Vergleichende Religionswissenschaften und Philosophie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Neben seinem Masterstudium der Katholischen Theologie schreibt er zur Zeit an seiner Masterarbeit in Philosophie über ästhetische Unmöglichkeiten tierischer Produkte in deutschen Kühlregalen und der gutbürgerlichen Küche.

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