Welche Richtung hat der Synodale Weg bei seiner Vollversammlung Anfang Februar eingeschlagen? Juliane Eckstein fasst die Ereignisse der digitalen Sitzung zusammen und berichtet von den offenen Baustellen, die es noch zu bearbeiten gilt.
Viel ist passiert seit den Regionenkonferenzen des Synodalen Wegs im September letzten Jahres. Noch mehr, seit die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt das letzte Mal explizit Thema auf dem Synodalen Weg war: Das Erzbistum Köln kündigte die Veröffentlichung einer schonungslosen Studie an und blies sie dann doch ab. In anderen Bistümern fanden Berichte und Gutachten ihren Weg in die Öffentlichkeit. Zahlreiche Tagungen und Schriften widmeten sich den Themen von sexualisierter und spiritualisierter Gewalt. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) rief einen Betroffenenrat ins Leben und beschloss ein System für Anerkennungszahlungen.
Zwar hält die Satzung des Synodalen Wegs fest, dass auf ihm regelmäßig über die Aufarbeitungs- und Präventionsarbeit berichtet werden soll, doch fiel genau dieses Thema bei den Regionenkonferenzen unter den Tisch. Damit dies nicht wieder passieren würde, hatte ich bereits im Vorfeld der Februarveranstaltung einen Antrag gestellt, zusammen mit rund 20 weiteren Synodalen: Aufarbeitung sollte zum Tagesordnungspunkt werden, genügend Zeit sollte es geben, Betroffene sollten zu Wort kommen und die Synodalen sich mit einem Dossier vorbereiten können. Immerhin drei dieser vier Forderungen wurden erfüllt, als vom 4.–5. Februar 2021 ein digitales Hearing stattfand. An eine Vollversammlung in Präsenz war aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht zu denken.
Prophetische Stimmen: Sprecher*innen des Betroffenenbeirates
Der Missbrauchsbeauftragte der DBK stellte seinen Bericht vor und sparte nicht mit Eigenlob. Danach kamen drei Mitglieder des neuen DBK-Betroffenenbeirats zu Wort. Johanna Beck, Johannes Norpoth und Kai Christian Moritz bezeichneten sich als „Überlebende“ sexualisierter Gewalt in der Kirche und zeigten sich als Kämpfer*innen, als Expert*innen, als kritische Begleiter*innen, die den Synodalen Weg „auf Kurs halten“ und die Synodalen immer wieder an den Ausgangspunkt erinnern wollen.
Sie sparten nicht mit klaren Worten. Die Krise im Erzbistum Köln sei
„Ausdruck eines unfassbar desaströsen Krisen- und Projektmanagements, einer absolut unprofessionellen Kommunikationsstrategie bei gleichzeitig fehlender, innerer Haltung des Führungspersonals“.
Die Stimme der katholischen Lai*innen sei
„sehr dünn, oftmals kaum vernehmbar, ja geradezu stumm“
gewesen. Der Synodale Weg selbst habe die
„Menschen, um die es in der MHG-Studie primär ging und deren Zeugnisse den Ausgangspunkt des Weges darstellten – die Betroffenen –, […] nicht fest beteiligt.“
„Dieses Kein-weiter-so stellte gleichzeitig auch ein Ohne-Uns dar.“
Das saß. Viele Synodale waren dankbar, zeigten sich bewegt und fassten sich selbstkritisch an die eigene Nase. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki gab immerhin Fehler zu und blieb die restliche Zeit ungewöhnlich ruhig. Wenig zu hören war auch von den Kölner Weihbischöfen und dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Das Präsidium gab eine Erklärung zu den Vorgängen im Erzbistum Köln ab, blieb aber auffällig zurückhaltend. Die Erklärung war auf Druck einzelner Synodaler zustande gekommen, wiederholt aber lediglich Selbstverständlichkeiten. In dieser Deutlichkeit formulierte es dann auch nur der BDKJ-Vertreter Lukas Nusser.
Genügend offene Baustellen
Noch weitere Punkte blieben unberücksichtigt, unterentwickelt, unbefriedigend. Nach wie vor gibt es kein überdiözesanes Monitoring der Aufarbeitungsbemühungen, der Anerkennungszahlungen, der Präventionsmaßnahmen. Die Betroffenenvertreter*innen selbst betonten, dass die Anerkennungszahlungen für sie nach wie vor ein Thema sind – sowohl was ihre Höhe als auch ihre Bezeichnung (nicht „Entschädigung“ oder „Schmerzensgeld“) anbelangt. Was aus den Plänen zur kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde, konnte keine*r sagen. Betroffene hatten um eine zentrale, deutschlandweite Anlaufstelle gebeten, Bischof Ackermann kündigte stattdessen mehrere dezentrale Stellen an. Unbeachtet bleiben darf auch nicht die Kritik anderer Betroffener, dass mit den Beiratsmitgliedern kooperationswillige Überlebende handverlesen worden seien, um sich unangenehme, öffentlich sichtbarere Personen vom Hals zu halten. Die Beiratsmitglieder erkannten diese Kritik selbst an.
Hier zeigen sich mehrere Baustellen, die wir Synodalen in den nächsten Monaten nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Und trotzdem bin ich froh, diesen ersten Schritt geschafft zu haben. Wir als Synodalversammlung haben es verpasst, von Anfang an auf die strukturelle Verankerung Überlebender zu dringen. Auch ich brauchte einige Monate, bis ich dieses strukturelle Defizit begriff. Geholfen haben mir dabei die Sozialen Medien. Durch sie habe ich erstmals direkt und ungefiltert die Stimme der Betroffenen hören können. Für mich sind sie Prophet*innen, die mich ermahnen, meine Handlungsmöglichkeiten, ja meine Macht zu nutzen, so gering sie auch sei. Mag sein, dass der „Laden unreformierbar“ ist. Aber erst wenn sich alle – Kleriker wie Lai*innen – ihrer Verantwortung bewusst werden und ihre Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen, werden wir sehen, wo die Grenzen der Reformierbarkeit liegen. Noch sind wir weit davon entfernt.
Am zweiten Tag der digitalen Veranstaltung boten die vier Themenforen Hearings an, um Rückmeldungen zum aktuellen Arbeitsstand einzuholen. Der Schwerpunkt lag auf dem Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, das ein Konvolut von rund 50 Seiten produziert hatte. Der umfassende Grundtext liest sich über weite Strecken wie eine Einführung in die Theologie. Eine „theologische Leistungsschau“ nannte ihn ein Pastoralreferent treffend. Schwierig – so die einen – seien die Länge der Texte, Redundanzen, die Unverständlichkeit der Sprache. Dem hielten andere entgegen, dass eine solide theologische Fundierung notwendig sei, um sich nicht dem Vorwurf des mangelnden theologischen Niveaus auszusetzen.
Fragen des Handlungsspielraums
Vorgelegt wurden aber auch sehr konkrete Handlungstexte. Für mich als pragmatisch denkenden Menschen sind sie eine erste Sternstunde des Synodalen Wegs: Sie fordern, die geltende Predigtordnung der DBK aus dem Jahre 1988 zu überarbeiten und dafür ein päpstliches Indult einzuholen. Eine zentrale Ombudsstelle soll es geben, an die sich jede*r wenden kann, der*die in der Kirche Machtmissbrauch erfährt. Sie soll die Betroffenen beraten und begleiten sowie regelmäßig Berichte erstellen. Weiterhin soll es eine Rahmenordnung für die Diözesanfinanzen geben. Sie soll verbindlich festschreiben, dass in den Finanzkontrollgremien keine Menschen sitzen, die in den Diözesen selbst Finanzentscheidungen treffen. Die Gremien sollen von den Gläubigen gewählt werden und nicht vom Bischof. Es sollen verbindliche Standards definiert werden, auch in ethisch-nachhaltiger Hinsicht. Personen, die vorsätzlich oder grob fahrlässig dagegen verstoßen, sollen persönlich haften müssen. Vieles klingt wie etwas, das selbstverständlich sein sollte. Indes zeigen immer wieder Finanzskandale, dass dem nicht so ist.
Das Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ versprach, bei der nächsten Versammlung weitere Handlungstexte vorzulegen. Auch die anderen drei Foren werden im September vermutlich nachziehen. Was bleibt darüber hinaus offen? Die Quadratur des Kreises – theologisch fundierte und gleichzeitig verständliche Texte. Eine stärkere Verknüpfung der Arbeit zwischen den Foren. Eine bessere Transparenz und Kommunikation. Eine prospektive Einbindung des Betroffenenbeirats. Und ein sofortiges Einschreiten bei inakzeptablen, menschen- und gruppenverachtenden Äußerungen.
Hashtag der Woche: #SynodalerWeg
(Beitragsbild @mahabis)