In unserem y-nachtlichen Advent-Special fragen wir, welche Probleme der römisch-katholischen Kirche der Weihnachtwerdung im Weg stehen. Dazu einleitend warnt unser neuer Redakteur Christoph Naglmeier vor einem kirchlichen Aussitzen dieser Problematiken und erklärt, warum das aus theologischer Perspektive zum Scheitern verurteilt ist.

Weihnachten ist immer auch ein Fest kirchlichen Pomps: Sowohl der treuen Gottesdienstbesucher*innen-Schar als auch den One-Hit-Wonder-Kirchgänger*innen soll etwas Besonderes geboten werden. Dabei haben diese großen Feiern, an denen die Kirche außerordentliche öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, spätestens seit der Veröffentlichung der MHG-Studie einen faden Beigeschmack. Auch in diesem Jahr ist es einmal mehr der sich nur mäßig verbessernde Umgang mit Missbrauch in der katholischen Kirche, der einen Schatten wirft. Dabei sind drei große Kategorien zu nennen, die meist miteinander verwoben sind: Machtmissbrauch, spiritueller Missbrauch und sexueller Missbrauch.1

Kritiker*innen dieses Textes mögen nun vielleicht einwenden: Dürfen wir als Kirchenmitglieder nun nicht einmal mehr freudig Weihnachten feiern? Man*frau darf, das steht außer Frage. Allerdings soll hiermit an die Verantwortungsträger appelliert werden, dass sie darauf verzichten mögen, die aktuellen Probleme mithilfe der Harmonisierungskraft des Weihnachtsfestes auszusitzen.

Es ist fraglos eine positive Eigenschaft der alljährlichen Erinnerung an die Geburt Jesu, dass es als „Fest der Liebe“ oder „Fest der Familien“ im säkularen Sprachduktus bezeichnet wird und mit diesen Zuschreibungen ein – zumindest kurzfristiges – Zurücktreten der Alltagsprobleme einhergeht. Problematisch wird dieser Umstand, wenn er von kirchlichen Verantwortungsträgern genutzt wird, um den Mist im eigenen Stall unter das Stroh zu kehren. Aus theologischer Perspektive betrachtet ist diese Weise des Krisenmanagements, vor der an dieser Stelle ausdrücklich gewarnt werden soll, ohnehin zum Scheitern verurteilt. Denn was im Hier und Jetzt unaufgearbeitet bleibt und durch eigenes Zutun bewusst verdrängt wird, steht einer Weihnachtwerdung massiv im Weg.

Eine kurze Geschichte der Zeit / Weihnachten ist immer

Das menschliche Zeitempfinden ist von der Abfolge von Momenten geprägt, was dazu führt, dass Zeit in die Trias Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft eingeteilt wird. Damit erinnern wir uns an vergangene Ereignisse (wie die geglaubte Menschwerdung Gottes), indem wir sie immer wieder vergegenwärtigen und dadurch in die Zukunft tragen. Jedoch sind aus der Perspektive eines ewigen Gottes2 punktuelle Ereignisse menschlichen Zeitgeschehens nicht begrenzt, sie sind immer im ewigen Jetzt. Weihnachten ist so gesehen kein punktuelles Geschehnis, das circa zweitausend Jahre zurückliegt. Weihnachten geschieht zu jeder Zeit, immer.

Die Verantwortung kann nicht in die Zukunft abgeschoben werden

Aber was ist daraus zu folgern? Dass sich der Mensch nicht darauf ausruhen kann, dass Gott die Welt damals durch Jesus Christus erlöst hat. Jede*r ist nach wie vor in eine Verantwortung für die Mitmenschen gestellt. Weihnachten ist nicht der punktuelle Start des Erlösungshandelns Gottes an der Welt, das mit der Auferstehung Jesu sein Happy End gefunden und uns damit einen Freibrief bis zur endgültigen Erlösung am Ende aller Zeiten ausgestellt hat. Im Gegenteil:

Es besteht eine innere Einheit zwischen Heilsgabe (Indikativ) und Heilsaufgabe (Imperativ).3

Anders gesagt: Das, was in der ersten Weihnacht – und im gesamten irdischen Wirken Jesu – aufgezeigt wurde, ist bezüglich der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen Gabe und Aufgabe zugleich.4 Wir sind gefordert, auf das Handeln Gottes an und für uns durch eigenes Handeln, welches Heilsverantwortung für Mitmenschen bedeutet, zu antworten.5

Kein Weihnachten ohne Übernahme von Verantwortung

Zurück zu Weihnachten: Diese uns zuvorkommende positive Grundintention Gottes feiert das Christentum mit diesem Fest. Es verweist auf die Erlösung im oben genannten Sinn und stellt uns in die Verantwortung, diesem Handeln Gottes gerecht zu werden. Sie – die Erlösung – ist kein Ruhepolster, auf dem wir uns nach dem Motto „Am Ende wird es Gott schon richten“ ausruhen können. Sie soll Antrieb sein, unser Bestmöglichstes zu tun, um das Gute, das Gott dieser Schöpfung mitgegeben hat, schon im irdischen Hier und Jetzt sicht- und erfahrbar zu machen. Bei diesem Vorhaben kann sich die röm.-katholische Kirche selbst im Weg stehen, wenn Missbrauch gebilligt, vertuscht und der Ruf der Betroffenen nach einer angemessenen Aufarbeitung und den daraus zu schließenden Folgen nicht gehört wird.

Aus diesem Grund wollen wir wöchentlich in der Adventszeit Menschen eine Plattform geben, die das Schweigen gebrochen haben6 und ihre Stimme hören, was sich für sie im Katholizismus ändern muss, damit Weihnachten als kirchliches Fest gefeiert werden kann.

Fazit: Es kann ein Weihnachten ohne den faden Beigeschmack nur dann geben, wenn Missbrauch in der Kirche transparent und ernsthaft aufgearbeitet wird. Es führt kein (Synodaler) Weg an den offenen Baustellen und vor allem nicht an den Betroffenen vorbei.

Hashtag der Woche: #ynachtsspecial


(Beitragsbild @greysonjoralemon)

1 Neben den Erkenntnissen der MHG-Studie bezüglich des Missbrauchs von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen zeigt sich mittlerweile deutlich, dass auch erwachsene Frauen massiv betroffen sind. Vgl. hierzu Haslbeck, Barbara/Leimgruber, Ute/Sandherr-Klemp, Dorothee (Hg.), Erzählen als Widerstand. Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche, Münster 2020.

2 Vgl. Schärtl, Thomas, Wie wirkt das Bittgebet? Ein Antwortversuch im Rahmen des klassischen Theismus, in: Theologie und Philosophie 91 (4/2016), 516-555 und ebd., Der Creatio-Modus des Handelns Gottes, in: Göcke, Benedikt P./Schneider, Ruben (Hg.), Gottes Handeln in der Welt. Probleme und Möglichkeiten aus Sicht der Theologie und der analytischen Religionsphilosophie, Regensburg 2017, 383-436.

3 Kraus, Georg, Wiederkunft Christi, in: Beinert, Wolfgang/Stubenrauch, Bertram (Hg.), Neues Lexikon der katholischen Dogmatik, Freiburg im Breisgau 2012, 689.

4 Vgl. Wendel, Saskia, Verantwortung, in: Franz, Albert/Baum, Wolfgang/Kreutzer, Karsten (Hg.), Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, Freiburg im Breisgau 22007, 424-425.

5 Vgl. den hier zugrunde gelegten Freiheitsbegriff: Dirscherl, Erwin, Freiheit, in: Neues Lexikon der katholischen Dogmatik, 219-221.

6 Dass dieses Schweigen ein schwierig zu überwindendes Faktum ist, zeigt exemplarisch Christiane Florin. Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/sexualisierte-gewalt-in-der-katholischen-kirche-das.886.de.html?dram:article_id=487571

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christoph naglmeier-rembeck (er/ihm)

studierte von 2015 bis 2020 Katholische Theologie und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik in Regensburg. Er ist Teil der Redaktion von y-nachten.de.

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