Warum Christ*innen die AfD unterstützen, erscheint vielen Menschen unverständlich. Christoph Naglmeier wirft einen Blick auf den Verein „Christen in der AfD“ und stellt die Frage nach dem richtigen Umgang mit rechten Christ*innen.

Für die einen die logische Konsequenz ihres Denkens, für die anderen ein religiös-politisches Paradoxon: „Christen in der AfD“. Der eingetragene Verein zählt laut eigenen Angaben über 300 Mitglieder. Prominentestes Vereinsmitglied ist Beatrix von Storch, stellvertretende Bundessprecherin der AfD. 35 Prozent der Mitglieder sind katholischer oder orthodoxer, circa 65 Prozent evangelischer oder freikirchlicher Konfession. Man/frau kann nur Vereinsmitglied werden, wenn die Grundsatzerklärung unterschrieben wird.1

Die Schnittmenge zwischen AfD-Wähler*innen und Christ*innen wirft Fragen auf. Was bewegt Christ*innen dazu, sich in der AfD zu engagieren? Und wie stellt sich das Verhältnis der „ChrAfD (sprich: „kraft“) zum einen zur Gesamtpartei und zum anderen zu den christlichen Kirchen dar? Eines vorweg: Echte Wertschätzung findet „ChrAfD“ weder bei der Partei noch bei den Kirchen. Der Verein wird maximal geduldet.

Gesellschaftspolitische Positionen der „Christen in der AfD“

Als am 19. September 2020 rund 2.000 Menschen am „Marsch für das Leben“ teilnahmen, befanden sich darunter laut vereinseigener Aussage auch 65 Teilnehmer*innen von ChrAfD.2 Der Lebensschutz ist eine Position, die das rechte bzw. rechtsextreme Spektrum in der (Kirchen-)Politik für sich beansprucht. Auch in der Grundsatzerklärung von ChrAfD erhält der Lebensschutz einen prominenten Platz. Hinzu kommen in diesem Dokument eine Befassung mit Rechten und Pflichten gegenüber der Staatsmacht, die „ja Gottes Autorität vertritt“.3. Dieser Satz lässt in zweifacher Hinsicht aufhorchen. Denn er kommt von Mitgliedern einer Partei, welche eindringlich vor einer Islamisierung Deutschlands und vor einem politischen Islamismus warnen, der einen Gottesstaat errichten wolle und sich bei diesem Vorhaben auf die von Gott gegebene Autorität berufe. Außerdem gibt sich die AfD betont säkular, eine Berufung auf göttliche Autorität im Falle einer Regierungsbeteiligung erscheint unwahrscheinlich. Anschließend folgt eine Ode auf den entscheidenden Einfluss des Christentums auf „die Heranbildung der europäischen Nationen“ und die Beobachtung, dass durch die „‚Verdunstung‘ des Glaubenswissens (Benedikt XVI.) […] nichts weniger als die Grundlagen unseres Staatswesens und unserer Zivilisation“ auf dem Spiel stehe.

Kein leichter Stand in der AfD und unter Christenmenschen

Laut eigenem Leitmotiv ist die „ChrAfD […] ein wesentlicher Bestandteil der AfD“ und „setzt sich auf allen Ebenen für einen fairen und würdigen politischen Diskurs ein“. Dass es sich hierbei um Wunschdenken handelt, ist offensichtlich.4 Der Verein hat innerhalb der AfD keinen offiziellen Status, er wird lediglich toleriert. So wurde zum Beispiel beim AfD-Parteitag 2017 massive Kritik an der Besoldung der Bischöfe durch Steuermittel geübt. Armin-Paul Hampel (außenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion) forderte die Mitglieder sogar zum Kirchenaustritt auf und will Christ*innen nicht als organisierte Interessengruppe innerhalb der Partei haben. Die AfD gibt sich betont säkular, die Mehrheit fährt einen kirchenfeindlichen Kurs. Es muss damals in Köln keine einfache Zeit für ChrAfD gewesen sein. Drinnen fordert ein mächtiger Parteifunktionär zum Austritt aus den Kirchen auf, draußen protestieren christliche Gruppen unter dem Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“.

Überhaupt zeigt sich das schwierige Ringen der christlichen Kirchen um einen angemessenen Umgang mit christlichen AfD-Wähler*innen nicht nur anhand der Diskussionen um Einladungen zu den Kirchentagen. Wie sollen Seelsorger*innen in den Gemeinden mit Christ*innen umgehen, die sich offen zur AfD bekennen? Die Forderung seitens ChrAfD ist klar: „Christen in der AfD verdienen keine Ausgrenzung durch die Kirchen, sondern den gleichen Respekt für ihre Gewissensentscheidung und ihr Engagement wie alle anderen Akteure des politischen Spektrums auch.“5 An diesem Zitat zeigt sich exemplarisch die Diskrepanz zwischen der eigenen exklusivistischen Gesinnung und der für sich eingeforderten Toleranz. Einen „gleichen Respekt für ihre Gewissensentscheidung“ kann es eben dann nicht geben, wenn genanntes Gewissen bewirkt, Andersdenkenden und von woanders Herkommenden respektlos und feindlich gegenüberzutreten. Die konstruierte Gefahr einer drohenden Islamisierung sowie die Drohkulisse der vor der Abschaffung stehenden christlich-abendländische Kultur legitimiert in diesem Weltbild die eigenen Positionen. Hier müssen kirchliche Akteur*innen klar aufzeigen, dass derartige Begründungsmuster und konstruierte Gefahren schlichtweg nicht mit dem christlichen Menschenbild kompatibel sind.

Bleibende Gesprächsbereitschaft?

Wie sollten sich christliche Kirchen zwischen strikter Ausgrenzung derartiger Positionen und dem Anspruch, als Glaubensgemeinschaft keine Grenzen zu setzen, positionieren? Es ist wohl keine Lösung, christlich Glaubenden, die sich in Vereinen wie ChrAfD engagieren, ihren christlichen Glauben abzusprechen. Dieser Angriff auf das innerste Selbstverständnis als Glaubende und Getaufte führt zu Verhärtung, Radikalisierung und Abschottung. Jedoch ist es legitim und sogar notwendig (weil not-wendend), derartige politischen Konsequenzen, die aus dem Glauben gezogen werden, deutlich als irregeführt zu benennen. Papst Franziskus steht in der Tradition seiner und der von seinen Vorgängern veröffentlichten Enzykliken, wenn er sich in Fratelli Tutti entschieden gegen völkischen Ideen positioniert, nationalistische Engstirnigkeit (vgl. FT 11) und die Stilisierung des Islams zum Feindbild verurteilt (vgl. FT 141) – um klassische AfD-Themen aufzugreifen:

„Die geschlossenen populistischen Gruppen verzerren das Wort ‚Volk‘. […] In der Tat ist die Kategorie ‚Volk‘ offen. Ein lebendiges, dynamisches Volk mit Zukunft ist jenes, das beständig offen für neue Synthesen bleibt, indem es in sich das aufnimmt, was verschieden ist.“ (FT 160)

Um Christ*innen in und im Dunstkreis der AfD nicht in der Alternativwelt eines simplifizierten und dualistischen Weltbildes versumpfen zu lassen, braucht es eine unermüdliche Gesprächsbereitschaft seitens der christlichen Kirchen und deren Seelsorger*innen. Als christliche Herde sind wir dazu aufgefordert, die Schafe, die auf diesen „alternativen“ Wegen wandeln, nicht aufzugeben.


Hashtag der Woche: #chrafdlos

Beitragsbild: Jacob Weinzettel on Unsplash

1 Vgl. https://www.chrafd.de/index.php/ueber-uns

2 Vgl. https://www.facebook.com/ChrAfD/

3 Vgl. im Folgenden: https://www.chrafd.de/index.php/grundsatzerklaerung

4 Vgl. im Folgenden die TV-Dokumentation „Wahre Christen oder böse Hetzer? Spaltet die AfD die Kirchen?“, ausgestrahlt am 14.09.2017 im SWR.

5 Münz, Volker, Die Bundesvereinigung „Christen in der AfD“ und ihre Bedeutung innerhalb der Partei, in: Dirsch, Felix, Münz, Volker, Wawerka, Thomas (Hg.), Rechtes Christentum? Der Glaube im Spannungsfeld von nationaler Identität, Populismus und Humanitätsgedanken, Graz 2018, 169.

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christoph naglmeier-rembeck (er/ihm)

studierte von 2015 bis 2020 Katholische Theologie und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik in Regensburg. Er ist Teil der Redaktion von y-nachten.de.

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