Papst Franziskus äußert sich abermals zu homosexuellen Menschen und ihren Partnerschaften. Das mediale und innerkirchliche Echo ist groß. Hendrik Johannemann, Mitglied im Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“, erläutert die Hintergründe solcher (kirchen-)politischer Statements und zeigt, dass gerade der deutsche Katholizismus in Teilen dazugelernt hat. Trotzdem besteht noch viel Luft nach oben.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Am 26. Juni 2017 äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Talkrunde, dass sie sich beim Thema Ehe für alle eine Gewissensentscheidung im Bundestag vorstellen könne. Nur fünf Tage später beschlossen die Parlamentarier*innen mit einer breiten überparteilichen Mehrheit die Ehe für alle, die am 1. Oktober 2017 in Kraft trat.

Auch Papst Franziskus überraschte mit einer Aussage, die Ende Oktober 2020 öffentlich wurde. Im Dokumentarfilm „Francesco“ sagt er:

Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben. Sie sind Kinder Gottes und haben das Recht auf eine Familie.

Und Franziskus geht noch weiter, indem er eine rechtliche Absicherung für gleichgeschlechtliche Paare fordert:

Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht.

Viele Kommentator*innen zeigten sich von den Aussagen und Geschehnissen überrumpelt. Was jedoch verkannt wird: Der Ehe für alle in Deutschland gingen jahrzehntelange Debatten und Kämpfe für Gleichberechtigung voraus, welche zum Beispiel in die endgültige Entkriminalisierung sexueller Handlungen zwischen Männern im Jahr 1994 und in die 2001 beschlossene eingetragene Lebenspartnerschaft mündeten. Auch kirchlicherseits ist in Bezug auf die Bewertung zivilrechtlicher Anerkennungsformen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ein vorsichtiger Lernprozess zu beobachten – zumindest in Deutschland. Papst Franziskus reiht sich, so scheint es, in diesen Lernprozess ein, auch wenn er in Vergangenheit durchaus ambivalente Haltungen zu Homosexualität an den Tag legte.1 So reagierte etwa Raymond Kardinal Burke höchst pikiert ob des neuerlichen papalen Zuspruchs für gleichgeschlechtlich liebende Menschen und tat Franziskus‘ Aussage als eine der kirchlichen Lehre widersprechende „Privatmeinung“ ab. Das vatikanische Staatssekretariat stellte zudem mittlerweile klar, dass Franziskus‘ Aussagen keineswegs darauf abzielten, die Lehre der Kirche zu ändern.2

Naturrecht natürlich rechtens?

Doch jede*r fängt mal kleinmütig an. Anfang der 2000er war die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) noch vollends auf der Katechismuslinie. Zum damals von der rot-grünen Bundesregierung geplanten Lebenspartnerschaftsgesetz formulierten die Bischöfe zwar, dass es sich nach kirchlicher Lehre verbiete, „homosexuell veranlagte Männer und Frauen in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen und ihnen wegen ihrer Veranlagung mit Missachtung zu begegnen“, um im Folgesatz jedoch genau dies zu tun:

Homosexuelle Beziehungen lehnt die Kirche indessen unmissverständlich ab, da die Geschlechtlichkeit nach der Schöpfungsordnung auf die eheliche Liebe von Mann und Frau hingeordnet ist.3

Insgesamt schienen die Bischöfe aus einem Schutzreflex heraus zu agieren, der die Institution „Ehe“ als gefährdet in ihrer sinn- und gesellschaftsstiftenden Funktion sieht, „nämlich dem Wohl der Gatten selbst und der Weitergabe des Lebens“4 dienlich zu sein. Diese explizit theologischen, genauer: naturrechtlichen und personalistischen Argumente5 verbanden die Bischöfe mit einer säkularrechtlichen Herangehensweise, indem sie auf den in Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes festgeschriebenen, besonderen Schutz von Ehe und Familie rekurrierten, der gleichgeschlechtlichen Paaren nicht zustünde bzw. sie nicht einschlösse.

Vatikanisches Lobbying gegen die Ehe für alle

Eine solche rechtliche Argumentationslinie, d. h. die Bestreitung der Verfassungskonformität von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe für alle, behielt die Bischofskonferenz über die Jahre hinweg bei. Es setzte sich wohl die Überzeugung durch, dass sich im säkularen Staat eher mit säkularen Argumenten Einfluss ausüben ließe. Man kann von Glück sagen, dass der deutsche Katholizismus auf allzu harsche moralische Bewertungen und Verletzungen – zumindest auf rhetorischer Ebene – in seinem Lobbying gegen die Gleichberechtigung im Eherecht verzichtete. Ganz anders die weltkirchliche Ebene. So polemisierte etwa die Glaubenskongregation in einem von Joseph Kardinal Ratzinger verantworteten offiziellen Schreiben aus dem Jahr 2003, in dem unter anderem katholische Politiker*innen weltweit dazu aufgerufen wurden, sich aktiv gegen zivilrechtliche Anerkennungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu stellen:

Jene, die diese [in vielen Gesellschaften vorhandene, gegenüber homosexuellen Menschen geübte; H. J.] Toleranz gebrauchen, um bestimmte Rechte für zusammenlebende homosexuelle Personen einzufordern, müssen daran erinnert werden, dass die Toleranz des Bösen etwas ganz anderes ist als die Billigung oder Legalisierung des Bösen.6

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin reagierte im Mai 2015 auf die Einführung der Ehe für alle per Referendum in Irland ähnlich drastisch wie anmaßend:

Ich glaube, man kann nicht nur von einer Niederlage der christlichen Prinzipien, sondern von einer Niederlage für die Menschheit sprechen.

Zwar blieb auch die deutsche Amtskirche standhaft in ihrer Ablehnung der Ehe für alle. Doch vielen katholischen Vertreter*innen in Deutschland schien zu dämmern, welch unermessliches Leid die Kirche homosexuellen Menschen und den von ihnen gelebten Partnerschaften angetan hatte (und leider durchaus weiterhin tut) 7 – auch und gerade unter dem Deckmantel des vermeintlichen Schutzes von Ehe und Familie. Dieser zaghafte, aber doch erstaunliche Sinneswandel soll hier kurz angerissen werden.

Schuldeingeständnis und Rückzugsgefechte

Ein Umdenken setzte zum ersten Mal nach der Familiensynode 2014/2015 ein, in dessen Nachgang die deutschsprachigen Synodenteilnehmer ein bemerkenswert offenes Schuldeingeständnis veröffentlichten – wohl auch, weil das Ergebnis der Synode in bestimmten Aspekten hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben war.

An dieser Stelle war uns ein Bekenntnis wichtig: Im falsch verstandenen Bemühen, die kirchliche Lehre hochzuhalten, kam es in der Pastoral immer wieder zu harten und unbarmherzigen Haltungen, die Leid über Menschen gebracht haben, insbesondere über ledige Mütter und außerehelich geborene Kinder, über Menschen in vorehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, über homosexuell orientierte Menschen und über Geschiedene und Wiederverheiratete. Als Bischöfe unserer Kirche bitten wir diese Menschen um Verzeihung.8

Auch im Agieren gegenüber dem Staat wandelte sich der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren. Die eingetragene Lebenspartnerschaft wurde gar indirekt als probates Rechtsinstitut anerkannt – wenn auch, um den angeblichen Unterschied zur Ehe zu wahren. So wiederholte Katharina Jestaedt, stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros, der Interessenvertretung der Bischofskonferenz in Berlin, bei einer Anhörung im Bundestag 2015 verfassungsrechtliche Bedenken gegen damals von Linken und Grünen ins Parlament eingebrachte Gesetzesentwürfe zur Einführung der Ehe für alle. Sie räumte jedoch auch ein:

Grundlegend verändert hat sich zum Glück die Einstellung gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und deren jahrzehntelanger Ausgrenzung und Diskriminierung. […] Lassen Sie es mich auf einen Punkt bringen: Das Grundgesetz verlangt die Differenzierung zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, aber keine Diskriminierung letzterer.9

Amtskirchliche Reaktionen auf die letztendliche Einführung der Ehe für alle in Deutschland fielen sodann gemäßigt aus, auf jeden Fall im Vergleich zum massiven katholischen Widerstand, den ein entsprechendes Gesetzesvorhaben in Frankreich 2013 ausgelöst hatte. Erzbischof Heiner Koch meldete sich in seiner Rolle als Vorsitzender der DBK-Kommission für Ehe und Familie einige Male zu Wort, um eine angebliche Missachtung des Willens der Väter und Mütter des Grundgesetzes sowie eine allgemeine und rechtliche „Verwirrung“ anzuprangern. Auch Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), zeigte sich verstimmt darüber, wie ein solch „nebenrangiges Thema“ angesichts weltweiter Probleme so in den Fokus gesellschaftlichen und politischen Interesses geraten konnte.

Laienkatholik*innen legen vor

Für andere Vertreter*innen des organisierten Lai*innenkatholizismus jedoch waren Liebe und Partnerschaft zweier Menschen mittlerweile längst keine Nebenschauplätze mehr. Ganz zentral wurden auf Antrag des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend bei der ZdK-Frühjahrsvollversammlung 2015 Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare eingefordert.10 Darauf folgte ein im November 2019 beschlossenes, ausführliches Papier, in dem die ZdK-Vollversammlung festhält:

Wo Paare sich für ihr gemeinsames Leben den kirchlich vermittelten Segen Gottes erbitten und aufgrund ihrer Beziehungsform abgewiesen werden, schafft die Kirche […] pastorale Härten, mitunter auch existentielle Notsituationen.

Dies gelte es zu überwinden, indem liturgische Formen zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare etabliert werden, wozu die lehramtliche Bewertung gelebter Homosexualität eine grundlegende Änderung erfahren müsse.

Für eine Liebes-, Beziehungs- und Verantwortungsethik

Der Synodale Weg offenbart, dass viele Menschen in der katholischen Kirche gewillt sind, diese positiven Impulse aufzunehmen und weiterzutragen, um auch gleichgeschlechtlich liebenden Gläubigen und ihren Beziehungen einen sicheren Platz frei von Verletzung und Diskriminierung in der Kirche einzuräumen; einen Platz, der die Frohe Botschaft und die Liebe Gottes ernst nimmt. Der Blick auf Partnerschaft und Ehe muss sich grundlegend ändern und weiten. Es wäre viel gewonnen, wenn die synodalen Entscheidungsträger*innen von der leibfeindlichen und sündengetränkten Sexualmoral abrücken und an deren Stelle eine Liebes-, Beziehungs- und vor allem Verantwortungsethik setzen würden.

Angela Merkel übrigens stimmte im Bundestag letzten Endes gegen die Ehe für alle. Es wird sich zeigen, wie Papst Franziskus und die Kurie insgesamt mit den hoffentlich weitreichenden, reformorientierten Beschlüssen des Synodalen Wegs umgehen werden.

 

Einige der Erkenntnisse dieses Textes entstammen Hendriks Masterarbeit. Ausführlicher kann man seine Forschungsergebnisse nachlesen in: Hendrik Johannemann, Die heilige Familie: Das Lobbying des deutschen Katholizismus gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft im Wandel, in: Michael Brinkschröder/Herbert Horatz/Franz Kaern-Biederstedt/Michael Wörner (Hg.): Aufgehende Saat. 40 Jahre Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche. Stuttgart: Kohlhammer 2017, 118-130.

Hashtag der Woche: #machtmachtkritik


(Beitragsbild @mxrgo)

1 So empfahl Papst Franziskus etwa katholischen Eltern zum Psychiater zu gehen, wenn sich bei ihren Kindern homosexuelle Tendenzen zeigten. https://www.katholisch.de/artikel/18703-psychatrie-papstaussage-zu-homosexualitat-irritiert

2 Vielmehr bezögen sich Franziskus‘ Ausführungen auf die Debatte um die Einführung der Ehe für alle in seinem Heimatland Argentinien, wo er damals für ein zivilrechtliches Partnerschaftsmodell eintrat, um die Ehe einer Verbindung von Mann und Frau vorzubehalten. https://www.katholisch.de/artikel/27459-vatikan-stellt-papst-aeusserung-zu-homosexuellen-partnerschaften-klar

3 Deutsche Bischofskonferenz: Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, im Anschluss an die Frühjahrs-Vollversammlung vom 13. bis 16. März 2000 in Mainz. http://www.dbk.de/de/presse/details/?presseid=9&cHash=58f9a8520eaf71f56d367f7a94115fc2

4 Ebd.

5 Vgl. zu naturrechtlichen und personalistischen Sichtweisen des kirchlichen Lehramts auf die heterosexuelle Ehe und die damit verbundene, wie von Martin Höhl argumentierte, unterkomplexe Herangehensweise des katholischen Lehramts an homosexuelle Beziehungen: Martin Höhl (2020), Der „Bund der Liebe“ und das „Problem der Homosexualität“. Inkongruenzen in der lehramtlichen Bewertung im Hinblick auf theologisch-ethische Argumentationsmodelle, Münchener Theologische Zeitschrift 71 (2020/3), p. 225-242.

6 Kongregation für die Glaubenslehre (2003): Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen, Abschnitt 5. http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20030731_homosexual-unions_ge.html

7 Vgl. etwa den bewegenden Beitrag von Ruben Scheider: Found Again. Mein Leben als homosexueller Katholik im Kampf mit internalisierter Homophobie, in: Matthias Remenyi/Thomas Schärtl (Hg.): Nicht ausweichen. Theologie angesichts der Missbrauchskrise, Regensburg 2019, 38-51.

8 Deutsche Bischofskonferenz: Bischofssynode in Rom: Bericht über die Beratungen zum dritten Teil des Instrumentum laboris in der deutschsprachigen Gruppe. http://www.dbk.de/nc/presse/details/?presseid=2940

9 Deutscher Bundestag: Wortprotokoll der 68. Sitzung. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Protokoll-Nr. 18/68). https://www.bundestag.de/blob/401100/2abf98cc60216588674f75e52d8aa4e0/wortprotokoll-data.pdf

10 Zentralkomitee der deutschen Katholiken: Zwischen Lehre und Lebenswelt Brücken bauen – Familie und Kirche in der Welt von heute. http://www.zdk.de/veroeffentlichungen/erklaerungen/detail/Zwischen-Lehre-und-Lebenswelt-Bruecken-bauen-Familie-und-Kirche-in-der-Welt-von-heute-225w/

 

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hendrik johannemann

hat in Freiburg, Lissabon, Berlin und Seoul Politikwissenschaft und Portugiesisch studiert. Nun promoviert er an der Freien Universität Berlin über homosexuellenfeindliche christliche Bewegungen in Südkorea. Hendrik engagiert sich in der Initiative Homo Cusanus, einem Zusammenschluss queerer Stipendiat*innen des Cusanuswerks, und ist Mitglied im sogenannten Sexualmoralforum des Synodalen Weges.

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