Die Beichte ist bis heute häufig ein zentraler Baustein der Kommunion- oder Firmvorbereitung. Moritz Kühn kritisiert eine Verpflichtung zu diesem äußerst persönlichen Ritual und fragt nach zeitgemäßen Formen der Beichtpraxis.

Ich erinnere mich an den März 2014. In den ersten Semesterferien meines Lebens engagierte ich mich in meiner Heimatgemeinde in Pforzheim und unterstützte dabei die Vorbereitungen auf die bald anstehende Erstkommunion. Der für die Durchführung verantwortliche junge und dynamische Kaplan hatte sich für die Vorbereitung auf die Erstbeichte ein umfassendes Tagesprogramm ausgedacht. „Versöhnungstag“ lautete das Motto dieses Tages, an welchem die Kinder meines Erachtens altersgemäß und rücksichtsvoll an das Sakrament der Buße herangeführt wurden. Ich war nachhaltig beeindruckt, wie sensibel und kindgerecht so eine Kommunionvorbereitung unter diesem Aspekt ablaufen kann. Dachte ich zurück an meine eigene Erstkommunion, musste ich innerlich regelrecht den Kopf schütteln – aus heutiger Sicht ist es mir zumindest rätselhaft, wie mein damaliges, neunjähriges Ich keinen Widerstand leistete, sondern alles mit einer provozierenden Selbstverständlichkeit über sich ergehen ließ.

Beichte und geistlicher Missbrauch

Die beiden Beispiele aus meiner Heimatgemeinde haben mir noch einmal eindrücklich vor Augen geführt, mit welchem „neuralgischen Punkt“ man es bei der Beichte und allem voran bei der Kinder- und Jugendbeichte im Rahmen von Erstkommunion oder Firmung zu tun hat. Lange ließe sich über Sinn und Unsinn dieser „Pflichtveranstaltung“ diskutieren. Dieses Bewusstsein wurde im Hochsommer dieses Jahres allerdings aufs Neue aktualisiert, als ich über einen Gedanken von Doris Reisinger gestolpert bin, den sie folgendermaßen auf Twitter artikuliert hat:

Dieser Tweet zeigt deutlich das mächtige Spannungsfeld auf, das die Beichte mit sich bringt und an dessen negativem Extrem schließlich der spirituelle Missbrauch steht. Einige Kommentator*innen dazu – aber auch Stimmen aus meinem persönlichen Umfeld – können beispielhaft negative Erlebnisse aus diesem Kontext beisteuern: eine Beichte wider Willen mit dem unguten Gefühl einer unnatürlich konstruierten Situation, oder das Aufzählen von „Sünden“, die man sich als Kind kurzerhand ausdenken musste, um nicht sprachlos dem Priester gegenüber sitzen zu müssen. Andere berichteten mir von ihrem persönlichen Unverständnis, warum sie diese speziellen Angelegenheiten denn gerade so zu verarbeiten hätten und wünschten sich eine andere Form.

Darüber hinaus muss regelmäßig daran erinnert werden, dass die Kombination aus privater Atmosphäre und spirituellem Machtgefälle nicht nur dem geistlichen, sondern auch dem körperlich-sexuellen Missbrauch Tür und Tor öffnet.1 So überrascht es kaum, wenn aus den entsprechende Studien und den Schilderungen der betroffenen Opfer jeden Alters immer wieder hervorgeht, dass der Beichtstuhl die Kulisse für sexuelle Übergriffe darstellte.2

(Un-)Beliebte Beichte

Unabhängig vom „Spezialfall“ der Beichte im Rahmen der Kommunions- und Firmvorbereitung ist sie wohl von allen Sakramenten am schwersten von einer Konjunkturkrise betroffen. Dies mag am zunehmenden Einfluss reformatorischen Gedankenguts auf die katholische Frömmigkeit (Stichwort „sola gratia“) liegen. Dazu kommen die wachsende Konkurrenz der Beichtväter durch gute Freund*innen, Bekannte, Lifecoaches, Psychotherapeut*innen sowie andere Verarbeitungs- und Aufarbeitungsmöglichkeiten.

Ich vergleiche die Beichte einmal mit Eucharistie und Taufe und betrachte sie aus der Vogelperspektive, gewissermaßen unter sterilen Laborbedingungen mit einer rein soziologischen Brille, die jeglichen sakral-göttlichen Nimbus herausfiltert. So sehen wir beispielsweise im Abendmahl zunächst nichts anderes als „nur“ den Konsum von ein bisschen Brot und Wein; bei einer Taufe wird ein Mensch lediglich sanft mit Wasser begossen.

Analysieren ich nun das „Sakrament der Buße und Versöhnung“ unter derselben Brille, sehen wir Menschen (um einmal den Brettspielkarton zu zitieren) „von 9 bis 99 Jahren“, wie sie mit einem Priester so privat wie irgend möglich in einem isolierten Raum über persönliche Situationen sprechen, die alles, angefangen bei alltäglichen Kleinigkeiten bis hin zu schwerwiegenden Traumata, betreffen können. Dabei wurden ebendiese Priester im Rahmen ihrer Ausbildung bisweilen nicht mehr als eine Woche3 auf dieses Spannungsfeld mit seinen psychologischen Anforderungen vorbereitet. So weit, so gefährlich.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mit diesen Ausführungen möchte ich nicht polemisieren, sondern sensibilisieren. Ich kenne viele gläubige Frauen und Männer in meinem Umfeld, denen das Sakrament der Buße mit all seinem göttlichen Nimbus sehr am Herzen liegt und denen ich mit einem sofortigen Verbot dieses Ritus „aus Sicherheitsgründen“ eine spirituelle Kraftquelle trockenlegen würde.

Doch so positiv die Beichte hier empfunden werden kann, so zerstörerisch kann sie dort wirken, wo die Sensibilisierung für das missbräuchliche Potential fehlt.

Fünf Thesen zur Beichte

Wie könnte nun vor diesem Hintergrund ein konstruktiver Umgang in diesem Spannungsfeld aussehen? So vernünftig ich ein Ende der gängigen Beichtpraxis mit ihrem hierarchischen Gefälle finden würde, so unvernünftig fände ich allerdings auch, wenn im selben Schritt das Kind mit dem Bade ausgeschüttet würde. Nach wie vor wünsche ich mir nämlich, dass die Katholische Kirche einen Ort darstellt, an dem junge und alte Menschen mit ihren zerbeulten und brüchigen Biografien gehört werden – einen Ort, an dem sie Vergebung erfahren und Kraft für einen Neuanfang schöpfen können. Das ist mein frommer Wunsch und vor diesem Hintergrund möchte ich meine Ausführungen zwar nicht mit 95, aber immerhin fünf Thesen schließen:

  1. Einen Zwang zur Beichte darf es nirgends geben, andernfalls machen sich die Verantwortlichen des spirituellen Missbrauchs schuldig. Beichte muss aus freiem Willen heraus geschehen.
  2. Dort, wo das Angebot der Beichte von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Vorbereitung auf Erstkommunion und Firmung angenommen wird, muss mit höchster Sorgfalt darauf geachtet werden, dass die praktizierten Beicht-Riten den Gläubigen so zuträglich wie möglich sind.
  3. Wie so oft lohnt sich hier auch ein genauer Blick ins Kirchenrecht: Meines Erachtens muss es in Fällen einer verpflichtenden Erstbeichte für Kommunionkinder insofern eine besondere Beachtung erfahren, als sich die betroffenen Canones 914 und 988 §1 in Teilen widersprechen: Konkret besteht laut letzterem Canon zur Zulassung zur Eucharistiefeier nämlich nur eine explizite Beicht-Pflicht, sofern „schwere Sünden“ vorliegen. Spätestens hier wird klar, dass man die dazugehörigen Merkmale der „schweren Materie“, des „vollen Bewusstseins“ und der „vollen Zustimmung“4 nur unzureichend auf Kinder im Grundschulalter übertragen kann.5
  4. Pastoral- und sakramententheologisch sollte dementsprechend neu ausgehandelt werden, welche unterschiedlichen Formate und Riten neben der gängigen Beichte einen Platz in der Kirche finden können, die die Vergebung Gottes sakramental zugänglich machen.
  5. Alle Seelsorger*innen, ihnen voran die zukünftigen Priester, sollen sowohl zeitlich als auch inhaltlich umfassend aus- und fortgebildet werden, um sie für geistlichen Missbrauch zu sensibilisieren, damit dem Missbrauch vorgebeugt und schließlich eine möglichst fundierte psychologische Schulung gewährleistet werden kann.

Hashtag der Woche: #Beichtfreiheit


(Beitragsbild: @anniespratt)

1 Die Dogmatikprofessorin Gunda Werner fasst in ihrem Aufsatz zum Machtmissbrauch durch die Beichte zusammen: „Die Beichte verkörpert Macht und Ohnmacht im umfassenden Sinn und kann so zu einem prädestinierten Ort für übergriffiges Verhalten werden. Dies ist historisch längst belegt, wurde aber erst in den letzten Jahren als aktuelle Situation öffentlich.“ Gunda Werner: Machtmissbrauch durch die Beichte – eine kritische Rekonstruktion, in: Hilpert u.a. (Hgg.): Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen – Bilanzierungen – Perspektiven (QD 309), Freiburg 2020, S. 209-210; Zitat auf S. 210. Zum Thema Machtmissbrauch und Umgang mit individueller Schuld von Seiten der Leitungsverantwortlichen in der röm.-kath. Kirche lohnt sich die Lektüre von Rita Werden: Systemische Vertuschung. Zur Rede von Scham in den Stellungnahmen von Bischöfen im Kontext der Veröffentlichung der MHG-Studie, in: Dies. / Striet (Hgg.): Unheilige Theologie, Freiburg 2019, S. 41-77.

2 Vgl. Tabelle 2.50 der MHG-Studie auf S. 123: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf [05.10.2020].

3 Diese Angaben beziehen sich zunächst nur auf das Erzbistum Freiburg und stellen nach einer Befragung mehrerer befreundeter Priester(amtskandidaten) des Erzbistums nur einen Mittelwert dar. Unter diesem Aspekt sind zumindest große Unterschiede zwischen den einzelnen Bistümern zu verzeichnen. Darüber hinaus ist es zumeist deutlich vorgeschrieben, dass die (zukünftigen) Priester in diesem Bereich adäquat ausgebildet sein müssen.

4 Der Canon 988 §1/CIC 1983 im Wortlaut: „Der Gläubige ist verpflichtet, alle nach der Taufe begangenen schweren Sünden, deren er sich nach einer sorgfältigen Gewissenserforschung bewusst ist, nach Art und Zahl zu bekennen, sofern sie noch nicht durch die Schlüsselgewalt der Kirche direkt nachgelassen sind und er sich ihrer noch nicht in einem persönlichen Bekenntnis angeklagt hat.“ Die Merkmale einer schweren Sünde werden im KKK Absatz 1857 aufgeführt: Damit eine Tat eine Todsünde ist, müssen gleichzeitig drei Bedingungen erfüllt sein: „Eine Todsünde ist jene Sünde, die eine schwerwiegende Materie (materia gravis) zum Gegenstand hat und die dazu mit vollem Bewusstsein (plena conscientia) und bedachter Zustimmung (deliberato consensu) begangen wird“.

5 Harald Dreßing fordert im nachstehenden Artikel sogar aus entwicklungspsychologischer Sicht ein Ende der Kinderbeichte und übt scharfe Kritik am Risikopotential der Beichte hinsichtlich missbräuchlicher Taten: https://www.katholisch.de/artikel/22183-missbrauchs-forscher-kritisiert-benedikt-xvi-und-beichte [04.09.2019]

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moritz kühn

hat Theologie und Geschichte in Freiburg auf Lehramt studiert und absolviert derzeit das Referendariat. 2019 hat er eine Promotion in der Fundamentaltheologie an der Uni Freiburg aufgenommen. Abseits vom Beruflichen geht es bei ihm vor allem um seine großen Leidenschaft für Comedy-Serien und Klassische Musik.

2 Replies to “Erzwungene Beichte? Über die Missbräuchlichkeit eines Sakraments

  1. Danke für diesen Artikel!
    Ich hatte bei meiner Kommunion furchtbare Angst vor dem Pfarrer und noch viel mehr vor der Beichte. Meine Mutter hat mir dann gesagt, dass ich nicht zur zweiten Beichte nach der Kommunion gehen muss, wenn ich nicht will. Wie soll den bitte eine Neunjährige nach zwei Wochen schon wieder so viel gesündigt haben? Ich bin also nicht hingegangen und meine Mutter hat sich bei den anderen Müttern extrem unbeliebt gemacht, weil deren Kinder natürlich auch nicht nochmal wollten.
    Bis heute ist für mich dieses Beichten ein rotes Tuch. Ich habe dadurch den Glauben und vor allem die Kirche nur mit Sünde, Angst und schlechtem Gewissen verbunden, was wirklich schade ist. Mein Motto bezüglich des Katholizismus war jahrelang: Hauptsache geschämt…

  2. Lieber Herr Kühn,
    liebe Leser/innen,
    endlich benennt jemand eines der letzten Tabus in der kath. Kirche. Die Zwangsverpflichtung kleiner Kinder zur Ohrenbeichte ist ein Skandal und wird zurecht als spiritueller/psychischer Missbrauch bezeichnet. Denn: bei nicht vollzogener Ohrenbeichte und fehlender priesterlicher Absolution droht auch dem kleinen Kind, wenn es stirbt, bei lässlichen Sünden das Fegefeuer, bei Todsünden jedoch die ewige Verdammnis im nicht endenden Höllenfeuer. Doch wie kann ein Kind im Stand der Todsünde sein, wenn es die Voraussetzungen dafür gar nicht erfüllen kann? Und dennoch ist es zur Ohrenbeichte verpflichtet. Spiegelt das alles nicht die unbarmherzige Macht der Kirche über die kleinen Seelen wieder? Warum sonst fängt die Kirche nicht früh genug an, um Menschen für den Rest ihres Lebens psychisch abhängig zu halten und mit Angst- und Drohgebärden einzuschüchtern? Welche Kinderschutzorganisation wird jemals ein Ende dieser zerstörerischen Praktik fordern? Für einen demokratischen Staat ist es höchste Zeit einzugreifen.

    thomasled65(at)web.de

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